Nach Meinung der Studierenden gefährdet Lehrermangel am Westfalenkolleg das Recht auf Bildung. Am vergangenen Freitag suchten sie auf einer Vollversammlung nach Wegen, um auf den»Bildungsnotstand« aufmerksam zu machen.Von Mario A. Sarcletti»Wir haben in vielen Studierenden so etwas wie Verzweiflung ausgelöst, weil vielen gar nicht bewusst war, was da auf sie zukommt«, beschreibt Niko Damianidis vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) des Westfalenkollegs die Stimmung nach der Vollversammlung am vergangenen Freitag.
Was da auf die Studierenden zukommt klingt tatsächlich erschreckend. Da eine Lehrkraft das Kolleg verlassen wird, eine weitere ein Sabbatjahr nimmt und zwei Lehrerinnen krankheitsbedingt langfristig ausfallen, droht den Kollegiaten die Streichung von Kursen. Vor allem die Soziologie ist betroffen. Der Leistungskurs in diesem Fach für das dritte Semester kann nicht mehr angeboten werden, in den ersten beiden Semestern sollen jeweils zwei Stunden des Grundkurses entfallen. Im fünften Semester, dem vorletzten vor dem Abitur, müssen fünf Stunden Leistungs- und drei Stunden Grundkurs gestrichen werden. Vom Lehrermangel betroffen sind aber auch andere Fächer: Volkswirtschaftslehre könnte ganz wegfallen, das Angebot in Informatik stark eingeschränkt werden.
Neu sind die Personalprobleme an der Weiterbildungseinrichtung, in der Menschen mit einer Berufsausbildung ihr Abitur nachholen können, nicht. Die Probleme um die Soziologie brachten das Fass jetzt jedoch zum Überlaufen. In einem Brief an die zuständige Bezirksregierung Detmold, der dem Webwecker vorliegt, beschreibt Heike Ullmann vom AStA die Probleme: So gibt es seit geraumer Zeit ein Losverfahren für die Fächer Spanisch und Kunst, die Zahl der Studierenden pro Kurs sei viel zu hoch, kritisiert Ullmann. Für die zwei Vorkurse Deutsch gibt es bereits mehr als sechzig Anmeldungen.
»Da ist es nicht mehr möglich einen Unterricht vernünftig zu gestalten«, beschreibt Niko Damianidis die Auswirkungen auf den Lernalltag der Kollegiaten. Dabei sei gerade in den Vorkursen eine gute Lernatmosphäre wichtig. »Einen Vorkurs müssen diejenigen besuchen, die nur einen Hauptschulabschluss haben und wir haben da sehr viele Schüler, die Spätaussiedler sind und es gibt auch ein buntes Spektrum bei uns auf der Schule aus anderen Ländern«, erklärt Damianidis. Man sei an der Schule stolz auf dieses multikulturelle Flair. »Aber wir haben auch die Pflicht, denjenigen, die zum Beispiel in Deutsch nicht so gut sind, zu helfen«, beschreibt er die Kehrseite der Medaille.
Die Kollegiatinnen und Kollegiaten wollen das, was sie Bildungsnotstand nennen, »auf keinen Fall tatenlos hinnehmen«, schrieb Heike Ullmann nach Detmold. Unterstützt wird diese Kampfansage von 204 Unterschriften, die in nur drei Tagen unter den etwa dreihundert Studierenden gesammelt wurden. »Wir werden uns diesmal nicht mit irgendwelchen Floskeln beruhigen lassen«, lässt sie keinen Zweifel an der »sprichwörtlichen Kampfbereitschaft der Bielefelder Kollegiaten«.
Deren Proteste könnten sich zum Flächenbrand entwickeln. »Wir möchten eine Vernetzung von Schulen wie vor zwei Monaten beim Irakkrieg, jetzt wollen wir dasselbe für Bildung«, kündigt Niko Damianidis an. »Wir möchten Schülervertreter und engagierte SV-Lehrer an einen Tisch bringen um zu überlegen, wie die Problematik an anderen Schulen aussieht oder ob es das nur am Westfalenkolleg gibt«. Davon ist in Zeiten von allgemeinen Kürzungen der öffentlichen Ausgaben eher nicht auszugehen. Dann droht Detmold Ungemach: »Wenn es so ist, dass auch andere Schülerinnen und Schüler dieses Problem haben, dann sollten wir eine gemeinsame Kampagne aufziehen und größer wirken, dann erreichen wir auch mehr«, kündigt Niko Damianidis an.