Im organisatorischen Umfeld diene Klatsch zudem dazu, das Führungspersonal zu validieren. Allzuehrgeizige könnten so sozial bestraft werden. Schließlich habe Klatsch die Funktion, ein- und auszugrenzen, also eine gemeinschaftsbildende Wirkung. Damit verhelfe Klatsch Gruppen dazu, sich zu bilden und eine Grenze zwischen sich und den Anderen, der Gesellschaft, zu ziehen. Für Imhof liefert Klatsch sogar ein »soziales Wunder«: Er ermögliche die Aufrechterhaltung von Geheimnissen. Und das, obwohl alle davon ein wissen. Der Grund: Klatsch unterliege der Diskretion, niemand stelle Unmittelbarkeit her.
Geheimhaltung ist allerdings kein Merkmal des Skandals. Hier geht es vielmehr darum, ein »Geheimnis« hinter dem Vorhang hervorzuziehen und es mit samt den handelnden Personen auf die beleuchtete Bühne der Öffentlichkeit zu stellen. Dabei würden die Medien heute die Rolle übernehmen, die früher soziale Bewegungen hatten. Die seien heute mangels Masse nur noch selten in der Lage, zu skandalisieren, sagt Imhof. Doch damit hätten sich die Medien auch auf eine gefährliche Ebene begeben: Behaupten nachweislich Unwahrheiten, können sie ihre gesellschaftliche Anerkennung und damit auch ihre Existenzgrundlage gefährden.
Medien können soziale Bewegungen nicht ersetzen
Ein Kommentar von Manfred HornDoch Skandalisierung den Medien zu überlassen, ist nicht ohne Brisanz: Schließlich bestimmen so die Medien, was ein Skandal ist. Ein zunächst einfaches Spiel: Die Medien wissen aus Erfahrung, worauf die Mehrheit der Gesellschaft mit Empörung reagiert. Häufig sind es Sex & Crime -Geschichten. Doch ohne soziale Bewegungen kommen so viele Themen gar nicht auf die Medien-Agenda. Wenn vor wenigen Tagen der US-Präsident verkündete, die USA seien bereit, eine Milliarde Dollar in den Weltgesundheitsfond einzuspeisen, wenn die Europäische Union dies auch tue, wurde dies in den TV-Medien als Nachricht gebracht, jedoch nicht skandalisiert. Der Skandal wäre nicht, dass die USA ihr eigenes Engagement in dieser Frage an die Handlungsbereitschaft der EU koppeln. Der Skandal wäre, dass die US-Regierung sich als besorgt um die Weltgesundheit gibt. Dabei sind eine Milliarde Dollar bei einer Weltbevölkerung von fünf Milliarden, von denen mindestens vier Milliarden keine ausreichende oder gar keine Gesundheitsversorgung haben, weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die ganze Geschichte ist eine offensichtliche Public-Relations-Aktion der US-Regierung, um sich nach dem Irak-Krieg als fürsorgliche Weltmacht aufzuspielen. Dieser doppelte Boden der gebende Patriarch, der in Wirklichkeit nur Brotkrümmel verteilt und selber die Wurst behält wäre ein Skandal, wenn er denn skandalisiert werden würde.
Dieses Beispiel ist eines von zahllosen, die sich jeden Tag auf der politischen Bühne ereignen. Niemand kann sich hier auf Medien verlassen, die deutliche Tendenzen zur Boulevardisierung haben und sich eher als imaginär repräsentativ der suggerierten Bevölkerungsmehrheit verpflichtet denn als kritische Begleiter gesellschaftlicher Entwicklungen begreifen. Zwar recherchieren Medien immer »härter«, will heißen, dringen immer skrupelloser in Privatsphären ein, doch dabei geht es ihnen selten um Themen, die eigentliche Themen sozialer Bewegungen sind. Die aktuelle Entsolidarisierung von Gesellschaft, Privatisierung von Kapital und Neoliberalisierung der Köpfe ist ein Wertewandel, den die Medien, ohne in zu skandalisieren, im Gegenteil mit voranbringen, indem sie diese neuen Werte einfach als hegemonial und vernünftig setzen. Kohl und sein Beratervertrag bei Leo Kirch oder das totalitäre Mediensystem Berlusconis in Italien sprechen eine deutliche wirtschaftliche Sprache, wie Medienunternehmen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen mit politischen Eliten verknüpfen. Skandale, die kaum jemand interessiert und die diejenigen, die in dieses Abhängigkeitssystem bereits eingewickelt sind, auch gar nicht mehr skandalisieren können.