Rudolf Stapenhorst hat im Bielefelder Westen Spuren
hinterlassen. Einige Wegmarken hat Bernd J. Wagner recherchiert
Es gibt im Viertel niemanden, der die Stapenhorststraße
nicht kennt. Aber wenn nach Rudolf Stapenhorst gefragt wird, müssen viele
passen. Dabei verbindet sich mit seinem Namen nicht nur die längste Amtsperiode
eines Bürgermeisters in dieser Stadt, Stapenhorst hat auch im Bielefelder
Westen deutliche Spuren hinterlassen.
Gerade 30 Jahre alt war Rudolf Stapenhorst, als die
Bielefelder Stadtverordneten 1895 den promovierten Juristen zum zweiten
Bürgermeister wählten. Damit war er für die Polizei und das städtische
Schulwesen verantwortlich. Im Kaiserreich gehörte die Polizei zwar zu den
kommunalen Pflichten, die Verantwortung des zweiten Bürgermeisters beschränkte
sich aber auf die Umsetzung des geltenden Rechts. Waren bei der Bielefelder
Polizei zu Beginn seiner Amtszeit außer einem Inspektor jeweils drei Kommissare
und Wachtmeister sowie 30 Sergeanten beschäftigt, die zur Hälfte noch
Nachtschutzleute hießen, so forderte die Städteordnung wenige Jahre später,
einen Polizeibeamten auf 1.000 Einwohner einzustellen. Um den Ausbildungsbedarf
zu decken, wurde auf Stapenhorsts Anraten hin in der Niedermühle eine kommunale
Polizeischule errichtet. Sie wurde 1919 wieder aufgegeben, als das Polizeiwesen
eine rein staatliche Aufgabe wurde.
Wesentlich nachhaltiger war sein Engagement für die
Bielefelder Schulen. So erhielten noch vor dem Ersten Weltkrieg fünf
Bürgerschulen, zu denen auch die spätere Gutenbergschule gehörte, die
Mädchen-Mittelschule, die Oberrealschule an der Paulusstraße und das Gymnasium
am Nebelswall Neu- oder Erweiterungsbauten. Diese Maßnahmen erhöhten bei
steigenden Schülerzahlen die Anzahl der Klassen und reduzierten die
durchschnittliche Klassengröße von 74 Kinder im Jahr 1895 auf 50 im Jahr 1914.
Dem Verhandlungsgeschick Stapenhorsts schrieben es die Zeitgenossen zu, dass
die konfessionelle Cecilienschule, an der die von-Bodelschwinghschen-Anstalten
Bethel Interesse bekundeten, 1913 in kommunalen Besitz überging. Und nicht
zuletzt war Stapenhorst an der Gründung der Handwerker- und Kunstgewerbeschule
am Sparrenberg sowie der Metallfachschule an der Heeper Straße beteiligt. Mit
diesem Engagement erwarb er sich schon frühzeitig den Namen eines
Schulbürgermeisters.
1910 wurde Rudolf Stapenhorst von den Stadtverordneten
einstimmig zum Oberbürgermeister gewählt. Diese uneingeschränkte Unterstützung
wurde nach dem Ersten Weltkrieg aufgekündigt, als er sich dafür aussprach,
Notstandsarbeiten zur Linderung der Arbeitslosigkeit nicht nur für Straßen- und
Kanalisationsprojekte, sondern auch für den Bau neuer Parkanlagen zu nutzen.
Manche Stadtverordnete sprachen von Geldverschwendung, andere wollten nicht
verstehen, welchen Sinn es mache, im Westen der Stadt einen Park zu schaffen.
Dieses Gelände einer ehemaligen Ziegelei, so meinten die Kritiker, sollte von
Anwohnern besser als Gemüsegärten genutzt werden. Stapenhorst ließ sich nicht
beirren: Der Bürgerpark wurde 1921 eröffnet und 1926 folgte der Volkspark
Kesselbrink.
Nicht weniger umstritten war sein Bemühen, das Stadtgebiet
durch Eingemeindungen zu vergrößern. Vor allem die rechte nationalkonservative
Deutschnationale Volkspartei (DNVP) befürchtete den zunehmenden Einfluss der
Sozialdemokraten, wenn auch die von Arbeitern bevölkerten Vorstädte das
Stadtparlament wählen konnten. Die nationalliberale Deutsche Volkspartei
(DVP), der auch Stapenhorst angehörte, begrüßte aus wirtschaftlichen Gründen
die Vergrößerung Bielefelds und stand zusammen mit der SPD hinter seinen
Plänen. Bürokratische Hürden zögerten aber die Eingemeindungspläne über den Mai
1930 hinaus, dem Termin für die offizielle Pensionierung Stapenhorsts. Die
Stadtverordneten verlängerten seine Amtszeit kurzerhand um drei weitere Jahre.
Bielefeld wird Großstadt und braun
Als das Gesetz über die Erweiterung des Stadtkreises
Bielefeld am 1. Oktober 1930 in Kraft trat, wurden mehrere Gemeinden und
Bauerschaften wie Schildesche, Sieker und Stieghorst dem Stadtgebiet
zugeschlagen: Die Einwohnerzahl stieg um mehr als 38.000 auf 120.000. Dieser
Einschnitt in die Gebietskörperschaften machte kommunale Neuwahlen am 30.
November 1930 notwendig, aus denen die NSDAP als Wahlsieger hervorging. Ihre
Mandate erhöhten sich von zwei auf zwölf, und obwohl sie damit nur ein Viertel
der Stimmen im Rathaus erhielt, wurde der Nazi Emil Irrgang mit den Stimmen der
bürgerlichen Parteien zum Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung gewählt.
Während sich die KPD der Stimmen enthielt, konnten die Sozialdemokraten, obwohl
stärkste Fraktion im Rathaus, ihren Kandidaten nicht durchsetzen.
Mit dem Einzug der braunen Fraktion verschärfte sich das
Klima im Stadtparlament. Das bekam auch Stapenhorst zu spüren. Die NSDAP war
Wortführer einer heftigen Obstruktionspolitik, deren einziges Ziel die
Überwindung des Parlamentarismus war. DNVP und und die mittelständische
Wirtschaftspartei bliesen in das gleiche Horn. So wurde die mit der
Weltwirtschaftskrise angewachsene Arbeitslosigkeit und desolate Finanzlage der
Kommune dem Oberbürgermeister angelastet. Die Parlamentarier hielten ihm auch
vor, in den 1920er Jahren Geld für unnötige Projekte verschwendet zu haben. Als
vor dem Hintergrund der Finanzkrise der Regierungspräsident im Januar 1931 für
Magistrat und Stadtverordnetenversammlung Staatskommissare einsetzte, versuchte
die NSDAP die Integrität des Oberbürgermeisters zu beschädigen. Sie machte ihn
persönlich verantwortlich für die Maßnahme der Regierungsbehörde und stellte
gegen ihn einen Missbilligungsantrag. Während sich die SPD und vier bürgerliche
Parlamentarier nicht an diesem unwürdigen Spektakel beteiligen wollten,
votierten Kommunisten und Nationalsozialisten gemeinsam für den Antrag. Ihre
schwache Stimmenmehrheit reichte, um dem Oberbürgermeister durch den
nationalsozialistischen Vorsteher eine Missbilligung auszusprechen.
Stapenhorst erklärte im Dezember 1931 vorzeitig seinen
Rücktritt. War bereits im Mai 1930 anlässlich seines 65. Geburtstags der
Bürgerweg in Stapenhorststraße umbenannt worden, so schlugen nun viele
Parlamentarier vor, dem scheidenden Oberbürgermeister die Ehrenbürgerrechte zu
verleihen. Stapenhorst, von den verletzenden Debatten im Rathaus gezeichnet,
lehnte ab und ließ sich auch nicht mehr feierlich verabschieden. Die letzten
Monate seiner Amtszeit spiegeln die politische Krise am Vorabend der
nationalsozialistischen Diktatur wider. Obstruktion, Verhöhnung und
Destabilisierung mündeten 1933 in der Zerschlagung der Parlamente. Rudolf
Stapenhorst starb am 26. Oktober 1944 bei einem Bombenangriff.
Info:
Bernd J. Wagner ist Historiker des Stadtarchivs. Seit Januar
2007 setzt das Stadtarchiv mit dem Historischen RückKlick monatlich Artikel
zur Geschichte Bielefelds ins Internet. Ein Überblick der Artikel findet sich
unter: www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar