Webwecker Bielefeld: Wege zur Stadt (28.03.2010)

Wege zur Stadt (28.03.2010)



Foto: Stadtarchiv Bielefeld


Rudolf Stapenhorst hat im Bielefelder Westen Spuren hinterlassen. Einige Wegmarken hat Bernd J. Wagner recherchiert

 

Es gibt im Viertel niemanden, der die Stapenhorststraße nicht kennt. Aber wenn nach Rudolf Stapenhorst gefragt wird, müssen viele passen. Dabei verbindet sich mit seinem Namen nicht nur die längste Amtsperiode eines Bürgermeisters in dieser Stadt, Stapenhorst hat auch im Bielefelder Westen deutliche Spuren hinterlassen.

Gerade 30 Jahre alt war Rudolf Stapenhorst, als die Bielefelder Stadtverordneten 1895 den promovierten Juristen zum zweiten Bürgermeister wählten. Damit war er für die Polizei und das städtische Schulwesen verantwortlich. Im Kaiserreich gehörte die Polizei zwar zu den kommunalen Pflichten, die Verantwortung des zweiten Bürgermeisters beschränkte sich aber auf die Umsetzung des geltenden Rechts. Waren bei der Bielefelder Polizei zu Beginn seiner Amtszeit außer einem Inspektor jeweils drei Kommissare und Wachtmeister sowie 30 Sergeanten beschäftigt, die zur Hälfte noch ›Nachtschutzleute‹ hießen, so forderte die Städteordnung wenige Jahre später, einen Polizeibeamten auf 1.000 Einwohner einzustellen. Um den Ausbildungsbedarf zu decken, wurde auf Stapenhorsts Anraten hin in der Niedermühle eine kommunale Polizeischule errichtet. Sie wurde 1919 wieder aufgegeben, als das Polizeiwesen eine rein staatliche Aufgabe wurde.

Wesentlich nachhaltiger war sein Engagement für die Bielefelder Schulen. So erhielten noch vor dem Ersten Weltkrieg fünf Bürgerschulen, zu denen auch die spätere Gutenbergschule gehörte, die Mädchen-Mittelschule, die Oberrealschule an der Paulusstraße und das Gymnasium am Nebelswall Neu- oder Erweiterungsbauten. Diese Maßnahmen erhöhten bei steigenden Schülerzahlen die Anzahl der Klassen und reduzierten die durchschnittliche Klassengröße von 74 Kinder im Jahr 1895 auf 50 im Jahr 1914. Dem Verhandlungsgeschick Stapenhorsts schrieben es die Zeitgenossen zu, dass die konfessionelle Cecilienschule, an der die ›von-Bodelschwinghschen-Anstalten Bethel‹ Interesse bekundeten, 1913 in kommunalen Besitz überging. Und nicht zuletzt war Stapenhorst an der Gründung der Handwerker- und Kunstgewerbeschule am Sparrenberg sowie der Metallfachschule an der Heeper Straße beteiligt. Mit diesem Engagement erwarb er sich schon frühzeitig den Namen eines ›Schulbürgermeisters‹.

1910 wurde Rudolf Stapenhorst von den Stadtverordneten einstimmig zum Oberbürgermeister gewählt. Diese uneingeschränkte Unterstützung wurde nach dem Ersten Weltkrieg aufgekündigt, als er sich dafür aussprach, Notstandsarbeiten zur Linderung der Arbeitslosigkeit nicht nur für Straßen- und Kanalisationsprojekte, sondern auch für den Bau neuer Parkanlagen zu nutzen. Manche Stadtverordnete sprachen von Geldverschwendung, andere wollten nicht verstehen, welchen Sinn es mache, im Westen der Stadt einen Park zu schaffen. Dieses Gelände einer ehemaligen Ziegelei, so meinten die Kritiker, sollte von Anwohnern besser als Gemüsegärten genutzt werden. Stapenhorst ließ sich nicht beirren: Der Bürgerpark wurde 1921 eröffnet und 1926 folgte der Volkspark Kesselbrink.

Nicht weniger umstritten war sein Bemühen, das Stadtgebiet durch Eingemeindungen zu vergrößern. Vor allem die rechte nationalkonservative ›Deutschnationale Volkspartei‹ (DNVP) befürchtete den zunehmenden Einfluss der Sozialdemokraten, wenn auch die von Arbeitern bevölkerten Vorstädte das Stadtparlament wählen konnten. Die nationalliberale ›Deutsche Volkspartei‹ (DVP), der auch Stapenhorst angehörte, begrüßte aus wirtschaftlichen Gründen die Vergrößerung Bielefelds und stand zusammen mit der SPD hinter seinen Plänen. Bürokratische Hürden zögerten aber die Eingemeindungspläne über den Mai 1930 hinaus, dem Termin für die offizielle Pensionierung Stapenhorsts. Die Stadtverordneten verlängerten seine Amtszeit kurzerhand um drei weitere Jahre.

Bielefeld wird Großstadt – und braun

Als das ›Gesetz über die Erweiterung des Stadtkreises Bielefeld‹ am 1. Oktober 1930 in Kraft trat, wurden mehrere Gemeinden und Bauerschaften wie Schildesche, Sieker und Stieghorst dem Stadtgebiet zugeschlagen: Die Einwohnerzahl stieg um mehr als 38.000 auf 120.000. Dieser Einschnitt in die Gebietskörperschaften machte kommunale Neuwahlen am 30. November 1930 notwendig, aus denen die NSDAP als Wahlsieger hervorging. Ihre Mandate erhöhten sich von zwei auf zwölf, und obwohl sie damit nur ein Viertel der Stimmen im Rathaus erhielt, wurde der Nazi Emil Irrgang mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien zum Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung gewählt. Während sich die KPD der Stimmen enthielt, konnten die Sozialdemokraten, obwohl stärkste Fraktion im Rathaus, ihren Kandidaten nicht durchsetzen.

Mit dem Einzug der braunen Fraktion verschärfte sich das Klima im Stadtparlament. Das bekam auch Stapenhorst zu spüren. Die NSDAP war Wortführer einer heftigen Obstruktionspolitik, deren einziges Ziel die Überwindung des Parlamentarismus war. DNVP und und die mittelständische ›Wirtschaftspartei‹ bliesen in das gleiche Horn. So wurde die mit der Weltwirtschaftskrise angewachsene Arbeitslosigkeit und desolate Finanzlage der Kommune dem Oberbürgermeister angelastet. Die Parlamentarier hielten ihm auch vor, in den 1920er Jahren Geld für unnötige Projekte verschwendet zu haben. Als vor dem Hintergrund der Finanzkrise der Regierungspräsident im Januar 1931 für Magistrat und Stadtverordnetenversammlung Staatskommissare einsetzte, versuchte die NSDAP die Integrität des Oberbürgermeisters zu beschädigen. Sie machte ihn persönlich verantwortlich für die Maßnahme der Regierungsbehörde und stellte gegen ihn einen Missbilligungsantrag. Während sich die SPD und vier bürgerliche Parlamentarier nicht an diesem unwürdigen Spektakel beteiligen wollten, votierten Kommunisten und Nationalsozialisten gemeinsam für den Antrag. Ihre schwache Stimmenmehrheit reichte, um dem Oberbürgermeister durch den nationalsozialistischen Vorsteher eine Missbilligung auszusprechen.

Stapenhorst erklärte im Dezember 1931 vorzeitig seinen Rücktritt. War bereits im Mai 1930 anlässlich seines 65. Geburtstags der Bürgerweg in Stapenhorststraße umbenannt worden, so schlugen nun viele Parlamentarier vor, dem scheidenden Oberbürgermeister die Ehrenbürgerrechte zu verleihen. Stapenhorst, von den verletzenden Debatten im Rathaus gezeichnet, lehnte ab und ließ sich auch nicht mehr feierlich verabschieden. Die letzten Monate seiner Amtszeit spiegeln die politische Krise am Vorabend der nationalsozialistischen Diktatur wider. Obstruktion, Verhöhnung und Destabilisierung mündeten 1933 in der Zerschlagung der Parlamente. Rudolf Stapenhorst starb am 26. Oktober 1944 bei einem Bombenangriff.

 

Info:
Bernd J. Wagner ist Historiker des Stadtarchivs. Seit Januar 2007 setzt das Stadtarchiv mit dem ›Historischen RückKlick‹ monatlich Artikel zur Geschichte Bielefelds ins Internet. Ein Überblick der Artikel findet sich unter: www.bielefeld.de/de/biju/stadtar/rc/rar