Webwecker Bielefeld: Der Entwicklung eine Freiheit geben (28.03.2010)

Der Entwicklung eine Freiheit geben (28.03.2010)




In einem Hinterhof der Friedrichstraße arbeitet Jochen Geilen mit der uralten Technik des Kupferstiches. Der Künstler hat für Gábor Wallrabenstein und Bernhard Wagner sein Atelier geöffnet


Gerade im Winter zeigt der Ort wenig Romantik. Alte Garagen, eine nicht mehr ganz rostfreie Feuerleiter und viel Schatten. Der eigentliche Hof ist weitgehend verbaut und auch dem unscheinbaren Anbau des Hinterhauses sieht man das Atelier nicht an

Die frühere Wohnung  ist ein ungewöhnlich hoher Raum, der nun von einer großen Tiefdruckpresse beherrscht wird. An den Wänden stehen Regale voller Folianten und Kunstbände, Tageslichtlampen, Arbeitstische voller Papier, Kartons mit Holz und Kupferplatten und etliche Anschauungsobjekte. Da ist etwa eine alte Schautafel, die ein Krokodil zeigt, ein menschliches Skelett oder Vitrinenkästen mit mumifizierten Mäusen. Ein wenig verzweifelt weist Jochen Geilen auf das Sammelsurium. »Man schafft und schafft und verkauft nicht. Es ist ja nicht wie in der Bäckerei.« Das Atelier ist ihm längst zu klein geworden.

Dabei hatte der Künstler auch gute Umsatzjahre. Nach seinem Studium an der Werkkunstschule Bielefeld und der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf erschienen seine Arbeiten in Zeitschriften wie dem ›Stern‹ oder der ›Zeit‹. Er illustrierte Bücher und seine bildsatirischen Arbeiten verkauften sich mitunter gut. Aber es gab auch schlechte Zeiten und Jochen Geilen weiß von dem Risiko, das Künstler eingehen, die mit freier Kunst ihr Leben fristen wollen. Darum ist er für den Rückhalt dankbar, den er aus seinem Elternhaus im sauerländischen Winterberg erfahren hat.

Seit 1995 hat Jochen Geilen eine Professur am Fachbereich Design der Fachhochschule Bielefeld. Neben Zeichnungen gilt sein Interesse der Druckgraphik, Holz-und Linolschnitten sowie vor allem dem Kupferstich.

Im Gegensatz zu Ölgemälde oder Aquarell, die immer Einzelstücke sind, können von Druckgraphiken Abzüge in hoher Zahl hergestellt werden. Der Kupferstich entstand vor mehr als 500 Jahren. Der bekannteste Künstler Albrecht Dürer verlegte seine Blätter im eigenen Verlag und verkaufte sie über Buchhandlungen.

Noch heute wird beim Kupferstich wie zu Dürers Zeiten das Bild mit einem Stichel spiegelverkehrt in die Kupferplatte gegraben. Dabei ist exaktes Arbeiten erforderlich, denn Korrekturen sind kaum möglich. »Ich hätte auch Uhrmacher werden können«, beschreibt Jochen Geilen die Feinarbeit. Die Tiefe der Linie entscheidet dabei über deren Farbintensität. Je tiefer sie ist, desto mehr Farbe nimmt sie auf und die Stellen auf dem Bild werden dunkler. Im Gegensatz zum Holzschnitt sind so Grautöne in allen Abstufungen möglich.

Immer wieder muss sich der Künstler an die Tiefdruckpresse stellen und mit Probedrucken seine Arbeit überprüfen. Für Jochen Geilen ist Altmeister Dürer immer noch inspirierend. »Dürer ist für mich unheimlich befruchtend«, sagt er, »und ein Anreiz, nicht aufzuhören«.

Die Faust als Symbol

Nicht nur mit den fertigen Bildern geht Jochen Geilen an die Öffentlichkeit, sondern er demonstriert auch immer wieder die Techniken. Mit seinen Studentinnen und Studenten arbeitete er zum Beispiel eine Woche lang in einer offenen Druckwerkstatt der Galerie ›Artists Unlimited‹. Dabei verwendeten die Künstler auch ungewöhnliche Materialien. So entstanden Linolschnitte aus dem Linoleum, das der Fachhochschule früher als Fußbodenbelag diente. Auch bei seiner letzten Ausstellung im vergangenen Herbst wurde die Druckpresse bedient. »Es ist wichtig, dass man über seine Arbeit redet«, sagt Jochen Geilen.

Neben der Bildsatire ist es diese Energie, die auch in seinen Bildern spürbar ist. Das kommt auch in dem immer wiederkehrenden Symbol der Faust zum Ausdruck. »Das ist ein zeitloses Symbol der Solidarität«, erklärt Jochen Geilen. Es steht gegen die Dominanz ökonomischer Denkstrukturen in der Gesellschaft. Die kritisiert der Fachhochschullehrer auch in der Bildung. »Der Entwicklung eine Freiheit geben, das ist es, was unserem Bildungssystem fehlt«.

Abgeschiedenheit des Hinterhofs

So sehr der Künstler die Öffentlichkeit braucht, an seinem Atelier schätzt er die Abgeschiedenheit des Hinterhofes. Der Arbeitsprozess ist etwas sehr Intimes. »Ich brauche diesen Raum, um mich auch einmal zurückzuziehen, für Reflexion und Entscheidungsfindung«, sagt Jochen Geilen. Stellt sich noch die Frage nach den mumifizierten Mäusen. Er lächelt. Die hat er im Sauerland gefunden. Auf dem Land besteht eine engere Beziehung zur Natur und Mäuse haben ihn immer inspiriert: »Ich hatte fast immer Mäuse auf dem Tisch liegen«. Dann holt er eine große Mappe mit Zeichnungen, Kaltnadelradierungen, Scherenschnitten, Collagen Aquarellen und Kupferstichen von Mäusen. Aber das ist privat, denn nicht alles gibt der Künstler für die Öffentlichkeit frei.