In der Gaststätte Kochsiek üben sich die Herren
der Grüne Neune in einer der deutschesten Sportarten. Silvia Bose hat die
Kegelbrüder besucht
In The Big Lebowski war er großartig. Unvergessen, wie
Jesus Quintana zu Hotel California der Gipsy Kings seine lilafarbenen
Seidensocken lupft, sich sein Körper im knallengen Bowlingdress spannt, wie er
die Kugel zärtlich mit der Zungenspitze streichelt, antritt und... Trotzdem,
wer ist schon dieser Bowler Jesus Quintana gegen die Kegelbrüder der Grüne
Neune?!
Eckhard Brinkmann zum Beispiel. Der Mann greift die Kugel
mit beiden Händen, beugt sich nach vorn. Die Arme hängen. Die Kugel berührt
fast den Boden. Ganz leicht hebt er den Kopf nur so viel, dass er noch einmal
die neun Kegel am Ende der Bahn fixieren kann. Dann tritt er an: Schritt
rechts, links, rechts in die Hocke. Der linke Wurfarm holt aus, schwingt nach
vorn und wirft die Kugel. Ein grollendes Donnern lässt die Kegelbrüder am Tisch
verstummen und an Ecki vorbei auf die Scherenbahn blicken. Die Kugel rollt erst
gerade, schert genau dort nach links aus, wo sich die Bahn weitet, kracht in
die Gasse neben dem ersten Kegel und lässt alle Neune purzeln.
Ecki schlendert betont lässig an den Tisch, hebt sein Bier
und grinst: »So sehen Sieger aus!« »Unglaublich. 73 bei 10 Wurf. Das macht er
sonst nie«, meint Achim Weber. Der Gerichtsvollzieher heißt hier Kuckuck und
führt das Kegelbuch. Durch das Buch geht nichts verloren. Nicht Verfehlungen
wie Michael in Spanien. Ecki kommt etwas zu spät. Dafür mit Promille, aber
auch nicht die Leistungen. Kuckuck vermerkt Eckis Neun mit einem Kopfschütteln
und raunt. »Muss am Damenbesuch liegen.«
Trauma: Gegen Damen verloren
Besuch von Damen ist überaus selten. Die Grüne Neune ist
ein bekennender Männerclub, schon seit 1947. »Unsere Frauen kennen uns ja«,
begründet Kuckuck. Ralf Kaeser, genannt Ede, ergänzt: »Wir wollen Spaß und ohne
Frauen ist das einfach unbefangener.« Ein paar Begegnungen mit Frauen hatten
die Kegelbrüder natürlich schon, aber darüber sprechen sie nicht gern. Und
wenn, dann kommt die Rede schnell auf »DEN Damenverein«, der mal mit einem
Pokal vorbeikam. »Und die haben auch noch gewonnen und den Pokal wieder
mitgenommen«, erinnert sich Kuckuck. »Mensch, war das peinlich«. Die anderen
nicken betreten. Viel lieber erinnern sie sich an einen Tag im Jahr 1988. »Das
war ein Tag, wo einfach alles geklappt hat«. Damals war der Club nach Münster
zu Müllers Kegelparty gefahren, »einem
der wichtigsten Kegelereignisse im norddeutschen Raum«. Die Grüne Neune holte
unter fast vierhundert Clubs den vierten Platz. »Aber da standen wir noch
anders im Saft«, meint Ede. Früher dürften die Herren der Runde
Traumschwiegersöhne gewesen sein. Sie sind glatt rasiert, gescheitelt oder
gegelt, tragen Poloshirt oder kariertes Hemd. Sie stehen allesamt im
Berufsleben als Bauleiter, Vertreter, selbstständiger Kaufmann, Autohändler
oder Gerichtsvollzieher. Bunt zusammengewürfelt bleibt die Arbeit außen vor.
Hier geht es nur um das eine: Kegeln.
Der Kegelvater und Dienstälteste der Runde, Gerd Ackermeier,
schwingt die Tischglocke. »Nächste Runde. Der edle Spender ist?« Der edle
Spender meldet sich und bringt einen Toast aus etwa: »Auf den schönen Abend«
oder »So jung kommen wir nicht mehr zusammen«. Gerd nickt zufrieden und ruft
»Gut!«. Die anderen antworten noch lauter mit »Holz!«. Dreimal hallt »Gut!«
»Holz!« durch das Hinterzimmer der Kneipe. Die Herren heben ihr Glas, prosten
sich zu und Gerd gibt die Runde frei mit einem »Schmecken!«.
Früher antrinken ist verboten. Wie vieles andere auch. Hier
herrschen strenge und vor allem unzählige Vorschriften. »Nein, mit Zwängen hat
das nichts zu tun«, versichert Ede. »Die gibt es bei uns nicht, nur gewisse
Regeln.« Und damit die auch befolgt werden, gibt es einen ausgefeilten Bußgeldkatalog:
Unentschuldigt Fehlen kostet fünfzig Euro, Handyklingeln drei Euro und
Scheisße sagen zehn Cent. Das Geld wandert wie der Abendbeitrag von zehn Euro
in den hölzernen Kegel.
So kommen im Jahr 3.000 bis 4.000 Euro für die Kegelfahrt nach
Willingen oder Norderney zusammen. Vier, fünf Tage verbringen die Kegelbrüder
dann gemeinsam und verprassen ihre Kasse. Mit den randalierenden und lauthals
zotige Sprüche klopfenden Kegelclubs will die Grüne Neune nichts zu tun
haben. »Wir sind überall willkommen«, beteuert der Gerd. »Wir dürfen sogar da
rein, wo draußen Schilder hängen mit Keine Kegelclubs.« Warum? »Wir trinken
aus und zahlen bar!«, sagt Ede.
Auch bei Kochsiek. Als die Grüne Neune vor sechs Jahren
eine neue Bahn und Heimat suchte, ging dem Club der Ruf einer gewissen
Verzehrfreudigkeit voraus. Daran hat sich nichts geändert. »Die sitzen hier
nicht den ganzen Abend vor einer Flasche Wasser«, sagt die Bedienung Kerstin
Jeßler, als sie wieder mal eine Runde zapft. »Erst letztens haben sie allein
für 300 Euro Bier getrunken.« Alle fünf bis zehn Minuten stemmt sie ein Tablett
mit Bier in das Hinterzimmer. »Das ist unsere Vereinbarung. Ich mache das so
lange, bis sie abwinken.«
Noch winkt keiner ab. Wieder einmal schallt das »Gut!« »Holz!«.
Atze, mit bürgerlichem Namen Andreas Vogt, setzt sein Glas ab und macht sich
bereit. Im Gegensatz zu Ecki kegelt er recht schnörkellos, greift zur Kugel,
tritt an und wirft einen Naturkranz. »Das ist ein ganz, ganz seltenes Bild.
Dafür weckt er nachher seine Frau«, meint Kuckuck und lobt: »Ja, als Kegler ist
Atze ein Guter. Aber als Lottofee ist er total unfähig.« Jedenfalls hat Atzes
Tippschein mit den ewig selben Zahlen noch nie einen nennenswerten Gewinn
gebracht. Übel scheint ihm das keiner zu nehmen.
Lottofee, Kegelvater, Kassierer, Präsident oder Mitglied im
Vergnügungsausschuss, der Fahrten, Feiern und Geburtstagsgeschenke organisiert
bei der Grüne Neune hat so ziemlich jeder ein Pöstchen, fühlt sich wichtig
und wohl. »Kegeln, das ist Geselligkeit, Spaß, Kameradschaft und'n bisschen
Sport«, beschreibt Ede den Reiz des Kegelns und erzählt von Gästen, die den
Hermannslauf locker bewältigen, aber nach einem Abend mit der Grüne Neune
schmerzhaft ganz neue Muskeln entdecken.
Dennoch, sportliche Leistung ist hier Nebensache. »Für uns
ist Kegeln die Klammer.« Sie treffen sich auch jenseits von Kochsieks
Bundeskegelbahn. Man hilft sich. Zu Gerds 60. Geburtstag sind alle in die
Rehaklinik gefahren. Der Mann erholte sich gerade von einer Krebs-Operation und
fühlte sich auf seinem Krankenzimmer in Bad Oeynhausen einsam. Bis die Bande
kam, Häppchen und Schnittchen, Sekt und Becher auspackte. »Da waren alle
dabei«, schwärmt Gerd. Er lächelt und schluckt, seine Augen strahlen. Verlegen
streicht er sich über die Stirn, als müssten die Haare seines akkuraten
Scheitels geordnet werden. »Ja, das war schon eine tolle Sache.«.
Kegel kein Larifari
Eine tolle Gemeinschaft, die längst nicht jeden aufnimmt.
Anwärter müssen ihr Interesse beweisen ein Jahr lang, pünktlich. Danach muss
der Neue mit einem einstimmigen Beschluss aufgenommen werden. »Das ist hier
nicht Larifari!« betont Gerd. »Nur so geht es und deshalb gibt es uns auch noch
nach über sechzig Jahren. Die Chemie muss eben stimmen.« Das jüngste Mitglied
ist Ecki. Seit zehn Jahren ist er dabei. Für ihn wurde damals eigens die Lex
Ecki erlassen. Der neue Paragraf mit einem Bußgeld von zehn Mark sollte den
Mann lehren, dass man bei einer neuen Runde erst gemeinsam anstößt, statt sich
auf das frische Bier zu stürzen.
Der Mann hat gelernt. Nicht nur die Sache mit dem Anstoßen.
Er kann kegeln vor allem an so einem guten Tag wie heute. Die Runde ist
gerade bei ihrem zweiten Pflichtspiel. Es geht ums Abräumen. Acht Kegel sind
gefällt, nur noch der rechte außen steht. Ein schwieriger Wurf. Ecki lässt
seine Arme mit der Kugel hängen und peilt noch einmal die Bahn an. Schritt
rechts, links, rechts. Die Kugel rollt dröhnend dem Ziel entgegen, schert im
richtigen Moment aus und erwischt den letzten Kegel.
»Unglaublich.« Kuckuck schüttelt den Kopf. Die Runde
beteuert, dass eigentlich keiner so recht weiß, warum ein Wurf manchmal klappt
und dann wieder nicht. Das sei anders als beim Bowling. »Beim Kegeln spielt man
mehr, da hat man Möglichkeiten«, preist Kuckuck die Passion der Grüne Neune.
»Beim Bowling haut man einfach nur rein.« Also, wer bitte schön ist schon Jesus
Quintana?