Webwecker Bielefeld: Gut! Holz! (01.11.2009)

Gut! Holz! (01.11.2009)



Die ›Grüne Neune‹ Foto: Gabor Wallrabenstein


In der Gaststätte ›Kochsiek‹ üben sich die Herren der ›Grüne Neune‹ in einer der deutschesten Sportarten. Silvia Bose hat die Kegelbrüder besucht


In ›The Big Lebowski‹ war er großartig. Unvergessen, wie Jesus Quintana zu ›Hotel California‹ der ›Gipsy Kings‹ seine lilafarbenen Seidensocken lupft, sich sein Körper im knallengen Bowlingdress spannt, wie er die Kugel zärtlich mit der Zungenspitze streichelt, antritt und... Trotzdem, wer ist schon dieser Bowler Jesus Quintana gegen die Kegelbrüder der ›Grüne Neune‹?!

Eckhard Brinkmann zum Beispiel. Der Mann greift die Kugel mit beiden Händen, beugt sich nach vorn. Die Arme hängen. Die Kugel berührt fast den Boden. Ganz leicht hebt er den Kopf – nur so viel, dass er noch einmal die neun Kegel am Ende der Bahn fixieren kann. Dann tritt er an: Schritt rechts, links, rechts – in die Hocke. Der linke Wurfarm holt aus, schwingt nach vorn und wirft die Kugel. Ein grollendes Donnern lässt die Kegelbrüder am Tisch verstummen und an Ecki vorbei auf die Scherenbahn blicken. Die Kugel rollt erst gerade, schert genau dort nach links aus, wo sich die Bahn weitet, kracht in die Gasse neben dem ersten Kegel und lässt alle Neune purzeln.

Ecki schlendert betont lässig an den Tisch, hebt sein Bier und grinst: »So sehen Sieger aus!« »Unglaublich. 73 bei 10 Wurf. Das macht er sonst nie«, meint Achim Weber. Der Gerichtsvollzieher heißt hier Kuckuck und führt das Kegelbuch. Durch das Buch geht nichts verloren. Nicht Verfehlungen wie ›Michael in Spanien. Ecki kommt etwas zu spät. Dafür mit Promille‹, aber auch nicht die Leistungen. Kuckuck vermerkt Eckis Neun mit einem Kopfschütteln und raunt. »Muss am Damenbesuch liegen.«

Trauma: Gegen Damen verloren

Besuch von ›Damen‹ ist überaus selten. Die ›Grüne Neune‹ ist ein bekennender Männerclub, schon seit 1947. »Unsere Frauen kennen uns ja«, begründet Kuckuck. Ralf Kaeser, genannt Ede, ergänzt: »Wir wollen Spaß und ohne Frauen ist das einfach unbefangener.« Ein paar Begegnungen mit Frauen hatten die Kegelbrüder natürlich schon, aber darüber sprechen sie nicht gern. Und wenn, dann kommt die Rede schnell auf »DEN Damenverein«, der mal mit einem Pokal vorbeikam. »Und die haben auch noch gewonnen und den Pokal wieder mitgenommen«, erinnert sich Kuckuck. »Mensch, war das peinlich«. Die anderen nicken betreten. Viel lieber erinnern sie sich an einen Tag im Jahr 1988. »Das war ein Tag, wo einfach alles geklappt hat«. Damals war der Club nach Münster zu Müllers Kegelparty gefahren,  »einem der wichtigsten Kegelereignisse im norddeutschen Raum«. Die ›Grüne Neune‹ holte unter fast vierhundert Clubs den vierten Platz. »Aber da standen wir noch anders im Saft«, meint Ede. Früher dürften die Herren der Runde Traumschwiegersöhne gewesen sein. Sie sind glatt rasiert, gescheitelt oder gegelt, tragen Poloshirt oder kariertes Hemd. Sie stehen allesamt im Berufsleben als Bauleiter, Vertreter, selbstständiger Kaufmann, Autohändler oder Gerichtsvollzieher. Bunt zusammengewürfelt bleibt die Arbeit außen vor. Hier geht es nur um das eine: Kegeln.

Der Kegelvater und Dienstälteste der Runde, Gerd Ackermeier, schwingt die Tischglocke. »Nächste Runde. Der edle Spender ist?« Der edle Spender meldet sich und bringt einen Toast aus – etwa: »Auf den schönen Abend« oder »So jung kommen wir nicht mehr zusammen«. Gerd nickt zufrieden und ruft »Gut!«. Die anderen antworten noch lauter mit »Holz!«. Dreimal hallt »Gut!« »Holz!« durch das Hinterzimmer der Kneipe. Die Herren heben ihr Glas, prosten sich zu und Gerd gibt die Runde frei mit einem »Schmecken!«.

Früher antrinken ist verboten. Wie vieles andere auch. Hier herrschen strenge und vor allem unzählige Vorschriften. »Nein, mit Zwängen hat das nichts zu tun«, versichert Ede. »Die gibt es bei uns nicht, nur gewisse Regeln.« Und damit die auch befolgt werden, gibt es einen ausgefeilten Bußgeldkatalog: Unentschuldigt Fehlen kostet fünfzig Euro, Handyklingeln drei Euro und ›Scheisße‹ sagen zehn Cent. Das Geld wandert wie der Abendbeitrag von zehn Euro in den hölzernen Kegel.

So kommen im Jahr 3.000 bis 4.000 Euro für die Kegelfahrt nach Willingen oder Norderney zusammen. Vier, fünf Tage verbringen die Kegelbrüder dann gemeinsam und verprassen ihre Kasse. Mit den randalierenden und lauthals zotige Sprüche klopfenden Kegelclubs will die ›Grüne Neune‹ nichts zu tun haben. »Wir sind überall willkommen«, beteuert der Gerd. »Wir dürfen sogar da rein, wo draußen Schilder hängen mit ›Keine Kegelclubs‹.« Warum? »Wir trinken aus und zahlen bar!«, sagt Ede.

Auch bei Kochsiek. Als die ›Grüne Neune‹ vor sechs Jahren eine neue Bahn und Heimat suchte, ging dem Club der Ruf einer gewissen Verzehrfreudigkeit voraus. Daran hat sich nichts geändert. »Die sitzen hier nicht den ganzen Abend vor einer Flasche Wasser«, sagt die Bedienung Kerstin Jeßler, als sie wieder mal eine Runde zapft. »Erst letztens haben sie allein für 300 Euro Bier getrunken.« Alle fünf bis zehn Minuten stemmt sie ein Tablett mit Bier in das Hinterzimmer. »Das ist unsere Vereinbarung. Ich mache das so lange, bis sie abwinken.«

Noch winkt keiner ab. Wieder einmal schallt das »Gut!« »Holz!«. Atze, mit bürgerlichem Namen Andreas Vogt, setzt sein Glas ab und macht sich bereit. Im Gegensatz zu Ecki kegelt er recht schnörkellos, greift zur Kugel, tritt an und wirft – einen Naturkranz. »Das ist ein ganz, ganz seltenes Bild. Dafür weckt er nachher seine Frau«, meint Kuckuck und lobt: »Ja, als Kegler ist Atze ein Guter. Aber als Lottofee ist er total unfähig.« Jedenfalls hat Atzes Tippschein mit den ewig selben Zahlen noch nie einen nennenswerten Gewinn gebracht. Übel scheint ihm das keiner zu nehmen.

Lottofee, Kegelvater, Kassierer, Präsident oder Mitglied im Vergnügungsausschuss, der Fahrten, Feiern und Geburtstagsgeschenke organisiert – bei der ›Grüne Neune‹ hat so ziemlich jeder ein Pöstchen, fühlt sich wichtig und wohl. »Kegeln, das ist Geselligkeit, Spaß, Kameradschaft – und'n bisschen Sport«, beschreibt Ede den Reiz des Kegelns und erzählt von Gästen, die den Hermannslauf locker bewältigen, aber nach einem Abend mit der ›Grüne Neune‹ schmerzhaft ganz neue Muskeln entdecken.

Dennoch, sportliche Leistung ist hier Nebensache. »Für uns ist Kegeln die Klammer.« Sie treffen sich auch jenseits von Kochsieks Bundeskegelbahn. Man hilft sich. Zu Gerds 60. Geburtstag sind alle in die Rehaklinik gefahren. Der Mann erholte sich gerade von einer Krebs-Operation und fühlte sich auf seinem Krankenzimmer in Bad Oeynhausen einsam. Bis die Bande kam, Häppchen und Schnittchen, Sekt und Becher auspackte. »Da waren alle dabei«, schwärmt Gerd. Er lächelt und schluckt, seine Augen strahlen. Verlegen streicht er sich über die Stirn, als müssten die Haare seines akkuraten Scheitels geordnet werden. »Ja, das war schon eine tolle Sache.«.

Kegel – kein Larifari

Eine tolle Gemeinschaft, die längst nicht jeden aufnimmt. Anwärter müssen ihr Interesse beweisen – ein Jahr lang, pünktlich. Danach muss der Neue mit einem einstimmigen Beschluss aufgenommen werden. »Das ist hier nicht Larifari!« betont Gerd. »Nur so geht es und deshalb gibt es uns auch noch nach über sechzig Jahren. Die Chemie muss eben stimmen.« Das jüngste Mitglied ist Ecki. Seit zehn Jahren ist er dabei. Für ihn wurde damals eigens die ›Lex Ecki‹ erlassen. Der neue Paragraf mit einem Bußgeld von zehn Mark sollte den Mann lehren, dass man bei einer neuen Runde erst gemeinsam anstößt, statt sich auf das frische Bier zu stürzen.

Der Mann hat gelernt. Nicht nur die Sache mit dem Anstoßen. Er kann kegeln – vor allem an so einem guten Tag wie heute. Die Runde ist gerade bei ihrem zweiten Pflichtspiel. Es geht ums Abräumen. Acht Kegel sind gefällt, nur noch der rechte außen steht. Ein schwieriger Wurf. Ecki lässt seine Arme mit der Kugel hängen und peilt noch einmal die Bahn an. Schritt rechts, links, rechts. Die Kugel rollt dröhnend dem Ziel entgegen, schert im richtigen Moment aus und erwischt den letzten Kegel.

»Unglaublich.« Kuckuck schüttelt den Kopf. Die Runde beteuert, dass eigentlich keiner so recht weiß, warum ein Wurf manchmal klappt und dann wieder nicht. Das sei anders als beim Bowling. »Beim Kegeln spielt man mehr, da hat man Möglichkeiten«, preist Kuckuck die Passion der ›Grüne Neune‹. »Beim Bowling haut man einfach nur rein.« Also, wer bitte schön ist schon Jesus Quintana?