Webwecker Bielefeld: Fluch der Karibik (01.11.2009)

Fluch der Karibik (01.11.2009)



Foto: Arndt Möller


Sonne, Salsa, Schweinefleisch – Arndt Möller macht Urlaub in Kuba


Ungefähr fünf Menschen nehmen mich vor dem Flughafen Havanna in Empfang. Wir müssen auf weitere Mitreisende warten. Ich vertreibe mir die Zeit damit, nach Kakerlaken Ausschau zu halten. Es riecht ein bisschen nach exotischen Blüten und ganz stark nach Autoabgasen. Der Nachteil der bei Touris so beliebten alten US-Straßenkreuzer. »Des isch der typische Geruch von Havanna«, sagt die schwäbische oder badische Petra, um dann ausführlich zu schildern, »dass sie ja so gern Salsa tanscht«. Wahnsinnig spannend. Apropos grausame Dialekte: zwei ganz in rosa gekleidete Brillenträgerinnen stellen sich auf sächsisch vor! »Isch bin de Godjo.« - »Isch bin de Goddrin.«

Das ›Hotel Inglaterra‹ ist eine Unterkunft im Kolonialstil. Die Auswahl beim Frühstück entspricht aber nicht Gouverneur Möllers Vorstellungen, sondern real existierendem Sozialismus. Nicht eine einzige Scheibe Käse, und der Kellner bequemt sich erst nach mehrfacher Aufforderung, mir Kaffee einzuschenken! Dabei gibt es reichlich Personal, das sich die Beine in den Bauch steht.

Es gibt Reis, schwarze Bohnen und Schweinefleisch, jeden TagDann sehen wir uns die Stadt an. Überall wird gebettelt, und ich schwitze wie ein Schwein. Das Mittagessen schmeckt trotzdem. Es gibt Reis, schwarze Bohnen und Schweinefleisch. Ab jetzt jeden Tag. Und Musik: überall dudeln Combos im Buena Vista-Sound, der mir vor Jahren schon auf den Piescher ging, als man in jeder deutschen Kneipe damit gefoltert wurde.Am nächsten Tag besuchen wir in einem Problemstadtteil Havannas eine Arztpraxis (die noch spartanischer eingerichtet ist als in Polen), eine Schule, eine Musikveranstaltung (mal was ganz anderes) und einen kubanischen Voodoo-Priester. Die anderen verspritzen vor dem mit lauter Müll voll gestellten Schrein wie gewünscht Wasser, ich aber bleibe standhaft und mache den Hokuspokus nicht mit. Ich ahne ja nicht, dass in wenigen Minuten viel Schlimmeres von mir erwartet wird.

Es fängt ganz harmlos an. Im Kulturzentrum gibt es lecker Mittagessen und ziemlich starke Cocktails. Plötzlich ruft die Reiseleiterin: »Ihr bildet Parre, und dann ihr tanzt zur Musik. In därr Mitte steht einer mit Bäsenn. Wenn er den Bäsenn fallen lässt, ihr müsst Partnärr tauschen. Wärr übrig bleibt, kriegt den Bäsenn.« Normalerweise bin ich dafür prädestiniert. Diesmal nicht. Sobald der blöde Besen fällt, stürmt eine unglaublich dicke Kubanerin auf mich zu und reißt mich an sich. Meine rechte Hand verschwindet zwischen den Fettschichten ihres Rückens. Drei Kreuze mache ich innerlich (und danke allen Voodoo-Göttern), als uns Busfahrer Joel aus dieser Tanzhölle befreit.

Ein paar Tage später. Ich habe die Schnauze voll. Mich kotzen die Mitreisenden an, die hohen Temperaturen und die Musiker in den Hotels und Kneipen. Beim Abendessen fertigt ein kubanischer Schnellzeichner-Oskar ein farbiges Portrait von mir an. Die Karikatur einer bösartigen, mürrischen Fratze. Leider hat der hijo de puta mich genau getroffen.

Kubaner freuen sich über jeden, der sich irgendwie bewegt

Wir reisen in die Sierra Maestra. Hier hatte sich Fidel mit seinen Revolutionären versteckt. Ist zwar schon ein paar Wochen her, aber die Bevölkerung ist immer noch stramm auf Linie. Nirgendwo sieht man so viele selbstgemachte Plakate, die Friede, Freude und Sozialismus preisen. Und genau hier will uns Reiseleiterin Estrella im Nahkampf ausbilden, ... im Tanzen. Martin aus Münster hat eine zündende Idee. Er steckt sich eine dicke Havanna an, ist damit für Stunden beschäftigt und fällt als Tänzer aus. Warum bin ich eigentlich Nichtraucher? Der Steuerprüfer, Eva Herman-Sympathisant und CDU-Wähler Dirk aus Berlin erklärt Estrella, wie man nach »janz jenau festjelechten deutschen Rejeln« das Tanzbein schwingt. Sie lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, sondern versichert hüftsteifen Tanzbären wie mir, dass die Kubaner sich über jeden freuen, der sich irgendwie bewegt. Ich gebe es ungern zu und schon gar nicht öffentlich: Es ist der erste Abend, an dem ich so etwas wie – ich mag das Wort gar nicht in den Mund nehmen – Spaß habe.

Er vergeht mir schnell wieder. Die Sächsin »Godjo« ist schuld. Im nächsten Hotel passt ihr der Tisch beim Abendessen nicht: »Do sind jo überoll Ooomeisen!« Die Klimaanlage ist zu kalt und zu laut. Kurz darauf wagen sich die dreisten Ameisen an unseren Ersatztisch. Und dann weigern sich die Kellner auch noch, für jeden einzeln abzurechnen. Ich erinnere mich peinlich berührt an den Abend, an dem »Goddrin« beim Essen erzählte, was sie Weihnachten so alles in sich reinzustopfen pflegt. Ich wagte es anzumerken, wir könnten nur hoffen, dass in diesem bettelarmen Land niemand deutsch verstehe. »Wieso?«, fuhr mich »Goddrin« an. »Wos geht misch denen Ihr Elend on? Wir hodden doch domols ooooch nix!«. »Goddrin« weiß alles über 40 Jahre DDR. Mit 29 gehört sie ja quasi zu denen, die die russische Revolution noch erlebt haben.

Ausgebuffte Kakerlaken

Dass ich am Ende der Reise noch an Scheißerei erkranke, trotzdem schnorcheln gehe, dass ich die halbe Nacht eine ziemlich schnelle und ausgebuffte Kakerlake durchs Zimmer jage, dass es am Strand jede Menge widerliche, etwa zwei Zentimeter große Krabben mit bedrohlichen Scheren gibt, ich erwähne es nur am Rande.

Als ich schließlich in Frankfurt den Flieger verlasse und in die kalte, graue, regnerische Oktobernacht trete, endet er schließlich doch noch, der Fluch der Karibik. Oder?

Wenige Wochen später, Sonntagvormittag. Das Telefon klingelt: »Hallo Arndt, hier ist der Dirk aus Berlin. Wie jeht’s denn so ..... Du kommst doch zu unser´m Nachtreffen, wa? Ach, wat ick noch erzählen wollte. Blah, blah, blah ...

Info:
Arndt Möller arbeitet als freier Hörfunk- und Fernsehjournalist in Bielefeld. Der talentlose Freizeitsportler, der in einem früheren Leben mal Historiker war, schreibt auch Kurzgeschichten und Songs.