Webwecker Bielefeld: Kunterbunte Villen (01.11.2009)

Kunterbunte Villen (01.11.2009)



Foto: Friedericke Schleiermacher


Seit 15 Jahren wird der Bauwagenplatz ›Wagabanda‹ nachhaltig und kreativ belebt. Ein bundesweit ziemlich einmaliges Frauenwohnprojekt für anderes Leben. Friederike Schleiermacher berichtet


Der Platz ist einfach idyllisch – blöder Begriff, aber der trifft es am besten. Umfriedet von Bäumen und hohem Gebüsch scheint der Ort eine eigene Welt zu sein. Die nahe Wohnsiedlung sowie der massige Universitätsbau sind von hier aus nicht zu sehen. 17 kreativ gestaltete Bauwagen verteilen sich zwischen hohem Grün und bunten Blumen: Die Wagen der Bewohnerinnen sowie gemeinschaftlich genutzte Wagen wie Küche, eine Bühne für Kulturveranstaltungen, Fahrradschuppen und Toilette. Dazwischen ein kleiner Garten hier, eine Sitzgruppe dort, weiter hinten eine natürliche Laube unter den herabhängenden Zweigen eines Baumes. Zehn Menschen zwischen 19 und 36 Jahren leben hier ohne fließendes Wasser und mit nur begrenzten Stromressourcen aus Solarpaneelen. »Die Nachhaltigkeit ist hier viel mehr im Bewusstsein, weil wir sie leben,« erklärt Merrit.

Das Leben inmitten und mit der Natur, die Gemeinschaft, die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Wohn- und Lebensraumes, die geringen Wohnkosten sowie die ganz besondere Atmosphäre sind nur einige Gründe, warum die Bewohnerinnen auf manchen Komfort verzichten: Trinkwasser muss herangeschleppt werden, das Telefon funktioniert bei Feuchtigkeit nicht immer, warme Dusche und Klospülung gibt es nur woanders. Merrit und ihre Mitbewohnerinnen sind dankbar für allerlei Hilfe, die sie von Freundinnen und Bekannten immer wieder erfahren, zum Beispiel den Wasserhahn nutzen, Wäsche waschen, Sperriges mit einem Auto transportieren zu können.

Anfang der 90er Jahre wurden mit der »Zeltstadt« die Wiese am Uniheizkraftwerk und die »Stapi« besetzt, das Haus neben der Gaststätte ›Tinneff‹. Die Frauen vermissten jedoch einen Raum, wo sie ihre feministisch-emanzipatorische Überzeugung ungestört leben konnten. Vier von ihnen entwickelten die Idee für ein Frauenwohnprojekt.

Erste Besiedlung

1994 war dann der passende Ort gefunden; die inzwischen zwölfköpfige Gruppe gestaltete ihn zum Lebensraum für Frauen und Lesben. Sie wurden von der Universität, der das Grundstück gehörte, unter verschiedenen Auflagen geduldet. Der Ort ist geblieben, die Menschen wechselten. Wie viele im Laufe der Zeit dort wohnten, kann niemand mehr sagen, etliche sind aber schon seit vielen Jahren dort.

»Wir wollten das Wohnen mit Politik und Teilhabe an der Gesellschaft verknüpfen – eben auch feministische Politik entwickeln und an die Öffentlichkeit bringen.« Carolin hat die ›Wagabanda‹ mit gegründet und die ersten sechs Jahre dort gelebt. »Spannend war es ja für uns, zu erfahren, was passiert, wenn geschlechterspezifische Thematiken und Hierarchien wegfallen«, beschreibt sie rückblickend die Anfänge. Die politische Haltung war Teil des Projektes. Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung mit anderen Gruppen gehörte dazu; aber auch die Schaffung von Freiräumen. So wie sie sich den Platz für ihre Wagen genommen hatten, haben sie sich auch andere Orte angeeignet für Demos, Kundgebungen, Theater, Performances.

Die Frauen der ›Wagabanda‹ sind nicht stehen geblieben. Die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen war immer wichtig. So wurde auch die aufkommende Geschlechterfrage stark diskutiert und an einzelnen Punkten umgesetzt: Unter anderem öffnete sich das Projekt für Transgender. Also Menschen, die von ihrer sozialen Geschlechterrolle abweichen.

»Klar hat sich seit der Gründung hier einiges verändert. Damals hatte es hier auch Zoff gegeben über die Ansprüche an ein politisches Leben«, erzählt Merrit. »Das heißt aber nicht, dass wir jetzt unpolitisch sind. Wir sind nur nicht so festgeschrieben. Eine gemeinsame politische Haltung gibt es natürlich in Bezug auf unser Projekt.« Darüber hinaus ist das Politische individueller geworden. Gestern wie heute wird viel diskutiert, sich ausgetauscht. Dazu gehört, sich Anderes anzuschauen und Neues aufzunehmen. »Wir wollen hier nicht im eigenen Saft schmoren. Da brauchen wir immer Input!« Aber auch der Output kommt nicht zu kurz, vor allem in Form von Kreativität: kleinere Projekte einzelner, aber auch größere gemeinsame wie das zweitägige Fest im August zum 15-jährigen Bestehen der ›Wagabanda‹.

Die Zukunft ist ungewiss

Immer noch prägend ist die Behauptung ihres Lebensraumes gegen Hierarchien. Merrit beschreibt es so: »Wir versuchen herrschaftsbewusst zusammenzuleben. Wie andere WG’s kochen wir auch mal zusammen, machen Musik oder fahren gemeinsam an den Baggersee«. Sich zurückziehen oder eine Zeit lang nicht vor Ort sein, sei aber genauso in Ordnung. Die Leute lieben ihren Platz und ihr Zusammenleben. Lange wird die ›Wagabanda‹ ihren angestammten Platz jedoch nicht mehr halten können. Er liegt in der ›Langen Lage‹, die demnächst als Hochschulcampus bebaut wird. Das ist für die Bewohnerinnen bitter, sie suchen nun einen neuen Platz für ihr Projekt.