Seit 15 Jahren wird der Bauwagenplatz Wagabanda nachhaltig
und kreativ belebt. Ein bundesweit ziemlich einmaliges Frauenwohnprojekt für
anderes Leben. Friederike Schleiermacher berichtet
Der Platz ist einfach idyllisch blöder Begriff, aber der
trifft es am besten. Umfriedet von Bäumen und hohem Gebüsch scheint der Ort
eine eigene Welt zu sein. Die nahe Wohnsiedlung sowie der massige Universitätsbau
sind von hier aus nicht zu sehen. 17 kreativ gestaltete Bauwagen verteilen sich
zwischen hohem Grün und bunten Blumen: Die Wagen der Bewohnerinnen sowie gemeinschaftlich
genutzte Wagen wie Küche, eine Bühne für Kulturveranstaltungen, Fahrradschuppen
und Toilette. Dazwischen ein kleiner Garten hier, eine Sitzgruppe dort, weiter
hinten eine natürliche Laube unter den herabhängenden Zweigen eines Baumes.
Zehn Menschen zwischen 19 und 36 Jahren leben hier ohne fließendes Wasser und
mit nur begrenzten Stromressourcen aus Solarpaneelen. »Die Nachhaltigkeit ist
hier viel mehr im Bewusstsein, weil wir sie leben,« erklärt Merrit.
Das Leben inmitten und mit der Natur, die Gemeinschaft, die
vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Wohn- und Lebensraumes, die geringen
Wohnkosten sowie die ganz besondere Atmosphäre sind nur einige Gründe, warum
die Bewohnerinnen auf manchen Komfort verzichten: Trinkwasser muss
herangeschleppt werden, das Telefon funktioniert bei Feuchtigkeit nicht immer,
warme Dusche und Klospülung gibt es nur woanders. Merrit und ihre Mitbewohnerinnen
sind dankbar für allerlei Hilfe, die sie von Freundinnen und Bekannten immer
wieder erfahren, zum Beispiel den Wasserhahn nutzen, Wäsche waschen, Sperriges
mit einem Auto transportieren zu können.
Anfang der 90er Jahre wurden mit der »Zeltstadt« die Wiese
am Uniheizkraftwerk und die »Stapi« besetzt, das Haus neben der Gaststätte
Tinneff. Die Frauen vermissten jedoch einen Raum, wo sie ihre
feministisch-emanzipatorische Überzeugung ungestört leben konnten. Vier von
ihnen entwickelten die Idee für ein Frauenwohnprojekt.
Erste Besiedlung
1994 war dann der passende Ort gefunden; die inzwischen
zwölfköpfige Gruppe gestaltete ihn zum Lebensraum für Frauen und Lesben. Sie
wurden von der Universität, der das Grundstück gehörte, unter verschiedenen
Auflagen geduldet. Der Ort ist geblieben, die Menschen wechselten. Wie viele im
Laufe der Zeit dort wohnten, kann niemand mehr sagen, etliche sind aber schon
seit vielen Jahren dort.
»Wir wollten das Wohnen mit Politik und Teilhabe an der
Gesellschaft verknüpfen eben auch feministische Politik entwickeln und an die
Öffentlichkeit bringen.« Carolin hat die Wagabanda mit gegründet und die
ersten sechs Jahre dort gelebt. »Spannend war es ja für uns, zu erfahren, was
passiert, wenn geschlechterspezifische Thematiken und Hierarchien wegfallen«,
beschreibt sie rückblickend die Anfänge. Die politische Haltung war Teil des
Projektes. Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung mit anderen Gruppen gehörte dazu;
aber auch die Schaffung von Freiräumen. So wie sie sich den Platz für ihre Wagen
genommen hatten, haben sie sich auch andere Orte angeeignet für Demos, Kundgebungen,
Theater, Performances.
Die Frauen der Wagabanda sind nicht stehen geblieben. Die
Auseinandersetzung mit aktuellen Themen war immer wichtig. So wurde auch die
aufkommende Geschlechterfrage stark diskutiert und an einzelnen Punkten umgesetzt:
Unter anderem öffnete sich das Projekt für Transgender. Also Menschen, die von
ihrer sozialen Geschlechterrolle abweichen.
»Klar hat sich seit der Gründung hier einiges verändert.
Damals hatte es hier auch Zoff gegeben über die Ansprüche an ein politisches
Leben«, erzählt Merrit. »Das heißt aber nicht, dass wir jetzt unpolitisch sind.
Wir sind nur nicht so festgeschrieben. Eine gemeinsame politische Haltung gibt
es natürlich in Bezug auf unser Projekt.« Darüber hinaus ist das Politische
individueller geworden. Gestern wie heute wird viel diskutiert, sich
ausgetauscht. Dazu gehört, sich Anderes anzuschauen und Neues aufzunehmen. »Wir
wollen hier nicht im eigenen Saft schmoren. Da brauchen wir immer Input!« Aber
auch der Output kommt nicht zu kurz, vor allem in Form von Kreativität:
kleinere Projekte einzelner, aber auch größere gemeinsame wie das zweitägige
Fest im August zum 15-jährigen Bestehen der Wagabanda.
Die Zukunft ist ungewiss
Immer noch prägend ist die Behauptung ihres Lebensraumes
gegen Hierarchien. Merrit beschreibt es so: »Wir versuchen herrschaftsbewusst
zusammenzuleben. Wie andere WGs kochen wir auch mal zusammen, machen Musik
oder fahren gemeinsam an den Baggersee«. Sich zurückziehen oder eine Zeit lang
nicht vor Ort sein, sei aber genauso in Ordnung. Die Leute lieben ihren Platz
und ihr Zusammenleben. Lange wird die Wagabanda ihren angestammten Platz jedoch
nicht mehr halten können. Er liegt in der Langen Lage, die demnächst als Hochschulcampus
bebaut wird. Das ist für die Bewohnerinnen bitter, sie suchen nun einen neuen
Platz für ihr Projekt.