Immer an der Mauer lang
Von Harald Manninga
Was hat er uns nicht alles schon beschert: Als ehemaliger Chefredakteur
des Magazins Titanic zeichnete Martin Sonneborn für die Vergabe der Fußball-WM 2006 an
Deutschland verantwortlich (wie das zuging, ist detailliert in seinem Büchlein Ich
tat es für mein Land, Bombus-Verlag, Preis: 12,95 , dokumentiert). Im Bundestagswahlkampf
2005 lieferte er die unterhaltsamsten Fernseh-Wahlwerbespots, die es je gab,
für die Partei Die PARTEI, deren Bundesvorsitzender er ist. Für die von
ihm heute mitverantwortete Satire-Sparte auf den Online-Seiten des »Spiegel« (SPAM)
zieht er schon seit langem für kurze Online-Filme unter dem Titel Heimatkunde
immer mal durch den deutschen Osten und fördert auf seinen Wanderungen mit der
Kamera die merkwürdigsten Dinge zutage... Und jetzt ist er auch noch der
wahrscheinlich erste, der die Havel direkt an der berühmten Glienicker Brücke zwischen
Berlin und Potsdam von Westen nach Osten durchschwommen hat.
Aus dem Projekt Heimatkunde bei »Spiegel-Online« ist nämlich
ein langer Dokumentarfilm gleichen Namens geworden: Martin Sonneborn umwandert
Berlin. Und zwar im wesentlichen logisch, denn um Berlin herum gab es ja
früher nichts anderes auf ehemaligem DDR-Gebiet. Ziel der mit der Kamera
begleiteten Aktion ist die Klärung solcher Fragen wie: Wie ist das denn nun
wirklich mit den »blühenden Landschaften«? Dem »Zusammenwachsen« dessen, was
angeblich zusammen gehört? Wie sieht es hinter der Mauer (der ehemaligen wie
der in den Köpfen) eigentlich aus? Wie tickt der Ossi? Oder vielleicht ist
das Ziel auch der Beweis der These, dass früher wohl alles besser war und dies in
Ost und West die eigentliche Gemeinsamkeit? Denn schließlich ist laut Impressum
der Titanic »die endgültige Teilung Deutschlands» das erklärte Ziel
dieses politischen Kampfblatts, und auch die Partei »Die PARTEI« schreibt sich
den Wiederaufbau der »Mauer« (Wahlkampfslogan: »Niemand hat die Absicht, eine
Mauer zu errichten außer uns!«) auf die Fahnen.
Auf seiner Wanderung schreckt Sonneborn vor so gut wie
nichts zurück. Das verwundert den Kenner der Materie natürlich nicht: Wer sich wie
Martin Sonneborn Volkes Seele in der Form von Äußerungen wie »im Rechtsstaat
gehören Leute wie Sie ins KZ!« hat anhören müssen, erwartet von seinen
Mitmenschen wohl ohnehin nur noch Überraschungen und nimmt einfach sozusagen lieb-naiv
staunend hin, was ihm begegnet.
So also auch hier. Und zu staunen gibt es wahrlich genug. Allein
schon wenn in einem Chinarestaurant »Qualle mit Gurken« auf der Karte steht...
Untrügliches Zeichen, dass man sich im Osten bewegt! Oder Zimmerspringbrunnenanlagen
in den Kofferräumen der Autos der Halbwüchsigen, die sich an der Tankstelle zum
gemeinsamen Abhängen treffen im Westen wohl undenkbar! Es ist scheinbar kein Ende
der Skurrilitäten, denen Sonneborn auf seiner Wanderung begegnet, bis hin zu nach
der Wende aus dem Boden gestampften neuen Stadtteilen von Ost-Städten, in deren
Musterhaus-Beschaulichkeit unter Hunderten Westzuwanderern grad mal eine
Ost-Familie wohnt. Die aber nicht zu finden ist. Oder auch bis hin zu den vier
Hundeklos auf einem vielleicht 100 qm großen Areal mit Gedenkstein und zwei
Bänken, das auf Geheiß des aus Bayern zugewanderten Bürgermeisters ein neues
Kommunikationszentrum für die Bevölkerung werden sollte... Nicht zu reden
davon, was aus dem Gelände des Flughafens Schönefeld geworden ist. (Wenn das
das Schicksal auch des neuerdings stillgelegten Flughafens Tempelhof sein wird... Naaaaja!)
Genug der Aufzählung, selber anschaun macht lustig!
Wenn man für die Sonnebornsche Art von Humor etwas übrig hat, heißt das. Ansonsten wird man vielleicht ganz schön schlucken, aber es geht kein Weg drumrum: Das
ist alles wahr, da ist nichts gefälscht, höchstens zielgerichtet ausgesucht. Aber so passiert allemal.