Von Harald Manninga
Ausnahmsweise dann auch mal eine Fernsehproduktion: Am 3.11.
wird Michael Verhoevens (z.B. Die weiße Rose, 1982) neuer Film Menschliches
Versagen im WDR-Fernsehen zum ersten Mal ausgestrahlt. Passend für so ein
Thema die Uhrzeit: Um 23.15 Uhr findet das statt.
Was ist das Thema? Die Frage, wie ganz normale Leute in den
tausend Jahren zwischen 1933 und 1945 von der Ausgrenzung, Enteignung, Vertreibung
und Ermordung von Juden profitiert haben. Sie, die ganz normalen Leute, haben nämlich mehr oder weniger
indirekt so gut wie alle profitiert. Von Berufsverboten für Juden
profitierten die Nachrücker in die freigewordenen Stellen. Von Vertreibungen profitierten die
Nachbarn und andere, die auf diese Weise auf Versteigerungen konfiszierter
Güter zu Schnäppchenpreisen an Möbel und Hausrat, Schmuck und Wertgegenstände (der
Juden) kamen. Oder auch an die leergewordenen Wohnungen. Die Liste ist lang,
so lang, dass einem schlecht werden möchte, wenn man versucht, sie zu
rekapitulieren.
Dabei tritt Verhoeven an dieser Stelle (noch) nicht als
»Ankläger« auf, denn einige der Profite, die so gemacht wurden, sind eher
doch nicht durch persönliche Schuld entstanden. Daher erklärt sich denn auch der Titel des Films: So kollektiv und kapital das Versagen war, es ist an dieser Stelle wohl verständlich und daher vielleicht verzeihlich.
Oder haben Sie sich schon
einmal gefragt, wer vor Ihnen in Ihrer Altbaumietwohnung gelebt hat? Oder schon
einmal in Erwägung gezogen, dass eine Antiquität, vielleicht die alte Schreibtischlampe, die Sie auf dem Flohmarkt
gekauft haben, aus dem enteigneten Besitz einer jüdischen Familie stammen könnte? - Eher nicht, oder?
Ebensowenig haben sich die Deutschen damals darüber groß Gedanken gemacht.
Nach dem Anschaun dieses Films werden Sie es aber sehr
wahrscheinlich tun. Und auch sonst viele Dinge aus jener Zeit mit anderem Blick betrachten.
Alles war ja damals »ganz legal«. Legal, also durch ein
Gesetz gedeckt, war zum Beispiel auch, dass die Juden die Kosten für die Kollateralschäden an arischem Besitz,
die in der Reichskristallnacht (niemand in diesem Film benutzt den heute
politisch korrekten Ausdruck »Pogromnacht« oder »Reichspogromnacht«) angerichtet
wurden, zur Strafe bezahlen mussten schließlich hatten sie die schwere
Schuld auf sich geladen, durch ihr Verhalten und ihr Jüdischsein den Volkszorn
derart provoziert zu haben, dass es soweit kommen konnte.
Enteignungen ebenfalls legal wurden vielfach als Steuern
deklariert. Zum Beispiel die »Reichsfluchtsteuer«, 1931 von der Weimarer Republik für Auswanderer eingeführt, wurde später (eigentlich gar nicht mal sooooo) besonders auf Juden angewandt, die aus Deutschland
auswanderten, solange das noch möglich war. Und deren Vermögen deshalb
eingezogen. Was vor den Nazis aber schon Gesetz war und prinzipiell für alle Auswanderer galt, wird man den Nazis doch nicht besonders anlasten können...?
Überhaupt nämlich die Steuern: Unglaublich erscheint es heute, mit was
für Steuern die Juden gezielt - und »legal« - belegt wurden, um an ihr Geld und ihren Besitz zu
gelangen.
Steuerakten aus der Zeit sind, und spätestens hier beginnt das
schier unglaublich Neue, das dieser Film zeigen kann, bis heute aber Geheimsache, fast geheimer noch, als in unseren Krisen-Zeiten der Bekämpfung der Steuerflucht nach Liechtenstein usw. unser aller Steuerakten geheim sind. Da kommt man also nicht ran; denn es
gibt für die Nazi-Steuerakten anders als zum Beispiel bei den Stasi-Akten der
DDR keine irgendwie geartete Sonderregelung auch nur für Forschung und
Dokumentation. Mit der Begründung, dass darin evtl. genannte Leute (sprich: auch Täter,
Denunzianten, Profiteure, denn in diesen Akten steht u.a. minutiös verzeichnet, an wen die
eingezogenen Güter bei Auktionen und dergleichen verkauft wurden) noch am Leben sein könnten
und deren Namen und sonstigen Daten daher schutzwürdig sind.
Und so weiß denn bis heute kaum jemand, was genau in jener
Zeit noch alles passiert ist, von dem die »offizielle« Geschichtsschreibung nur
spärlich Kenntnis hat und bekommt, geschweige denn die breite Öffentlichkeit. - Wie auch, wenn gar Akten, in die einmal
Einsicht genommen werden konnte, nach der Rückgabe an die Oberfinanzdirektion direkt auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Wie geschehen im Fall der Akten, die Prof. Wolfgang Dreßen von der Universität Düsseldorfvor zehn Jahren bei der Oberfinanzdirektion Köln einsehen und sogar (obwohl »illegal«)
kopieren konnte. Von diesen Akten existieren heute nur noch diese Fotokopien,
die er damals machte: Die Originale sind jetzt verschollen. Ein weiterer Grund, die Akten, die bisher nicht zugänglich waren, unter Verschluss zu halten: Sonst verschwinden die womöglich auch noch...
Am Ende dieses erschütternden Films ist klar: Es waren nicht
nur, vielleicht nicht einmal »vor allem« Nazi-Schergen in Uniform, die für eine
Reihe der schlimmsten Verbrechen an den Juden verantwortlich sind. Eine gehörige, bisher
aber kaum bekannte Schuld trägt, neben den »ganz normalen Leuten«, denen die Zeitläufte eben irgendwie in die Hände spielten, die ganz normale Bürokratie. Erstere tragen vielleicht wirklich keine Schuld. Letztere verschweigt und
vertuscht die ihre allem Anschein nach bis heute.
Ganz legal.
Uraufgeführt wurde der Film bei den 42. Internationalen Hofer
Filmtagen Ende Oktober. Michael Verhoeven drehte den Film in Koproduktion mit
dem WDR, dem Bayerischen Rundfunk und dem SWR. Es ist also zu erwarten, dass er
demnächst in (jedenfalls so gut wie) allen Dritten zu sehen sein wird. Dennoch
sei empfohlen, sich diese Erstausstrahlung im WDR anzusehen (zumindest per Kabel oder Satellit sollte das ja ungefähr überall möglich sein, auch wenn der geneigte Leser nicht im WDR-Sendegebiet wohnt), bevor noch
Gefahr besteht, dass dieser Film im allgemeinen Fernsehgetriebe seinerseits
spurlos versickert.