Von Harald Manninga
Wie ging das nochmal? Es gibt nur acht (oder waren es doch zwölf?)
originale »Geschichten«, und der Rest aller Weltliteratur und
dergleichen erzählerischen Tuns sind nur Variationen davon?
Jedenfalls erinnert dieser Streifen in seiner Grundeinstellung doch
sehr an so Dinge wie Einer flog übers Kuckucksnest: Man nehme
eine Ansammlung von Mühseligen und Beladenen, von denen einer
möglicherweise einen Ausweg aus all der Qual weisen kann, weil er noch
halbwegs selber denkt. Dazu mische man ein paar scheinbar Klardenkende
und (in diesem Fall, denn im Kuckucksnest ging es ja um
Psychiatrie, hier dagegen sitzt man i.w. im Rollstuhl) gehende, die
noch gar nicht wissen, wie quer sie zu einem erfüllten Leben stehen,
und dann geht das aber los, alles, wenn einer querschießt!
So weit, so absehbar, auch bei Bard Breiens Kino-Erstling übers
»negative Denken«. Und dann geht das bei ihm aber los, alles! Und wie!
Kuckucksnest war damals, vor gut dreißig Jahren und von Milos Forman
und aus Hollywood. Jetzt ist aber heutzutage und dieser Film ist von
Bard Breien und aus Norwegen. Mit Verlaub: Ganz großes Kino!
Geirr (Fridjov Saheim) hat es nach seinem Unfall, der ihn in den
Rollstuhl versetzt hat, eigentlich gut, so vergleichsweise. Die
Versicherungssumme ermöglicht ihm ein schönes, rollstuhlgerechtes Haus,
seine Frau Ingvild (Kirsti Torhaug) liebt ihn, »eigentlich« und »immer
noch«, obwohl er mit dem Unfall nicht nur seine Bewegungsfähigkeit,
sondern auch seine sexuelle Potenz verloren hat. Sie leidet aber denn
doch ziemlich, nämlich z.B. an Geirrs allgemeiner Schwarzseherei, und
möchte die Beziehung retten.
Invild wendet sich an die Therapeutin Tori (Kjersti Holmen) und lädt
sie und ihre »Gruppe« von Rollis und anderen zu sich (und Geirr) nach
Hause ein, um mit etwaigen Gruppensitzungen vielleicht etwas an ihrer
und Geirrs Situation zu ändern. Ingvild meint es also »nur gut«. Geirr
sieht das anders.
Therapeutin Tori erweist sich mit ihren »therapeutischen«
Wohlfühl-Spielchen und Sätzchen sowie ihrer pädagogisch-übergriffigen
Art und theoriegeleiteten Inkompetenz als Personifizierung des
»Kotzbeutels« (man möchte wissen, ob dieses Wort im Norwegischen
dieselben Konnotationen hat wie in der deutschen Übersetzung), den sie
als selbstgestricktes Kommunikations-»Hilfsmittel« vor sich herträgt.
Als sie aus Geirrs Wohnzimmer und Haus vertrieben ist, in dem sie ihm
neben anderen ihr nicht genehmen Selbstäußerungen sogar das (Tüten-)
Rauchen verbieten will, übernimmt Geirr das Heft. Und wirbelt mit
seiner negativen Art das Leben und die Selbstsicht aller verbliebenen
Behinderten dieser »Gruppe« reichlich durcheinander.
Nee, ist klar: Geirrs negative Sicht auf alles, bei der Alk, Drogen
und Vorliebe für Johnny Cash und Kriegsfilme mithelfen, ist »natürlich«
die einzig Richtige, die allen Beteiligten zu einer neuen und
befreienden Sicht auf ihr (zugegeben: irgendwie »behindertes«) Leben
ermöglicht: Raucht, sauft, fickt in der Gegend rum macht doch, was
ihr wollt! Zumindest soweit ihr könnt!
Diese Botschaft kennen wir. Nicht zuletzt aus dem Kuckucknest.
Nein: Kennen wir nicht! Jedenfalls haben wir sie noch nie so
vermittelt gesehen. Wer meint, dass einem beim Lachen über Behinderte
dasselbe am besten »im Halse stecken bleibt« und es einen »nachdenklich
machen« muss, damit man ein schön gesellschaftskritisches
Komödien-Erlebnis haben konnte, wird hier voll auf seine Kosten kommen.
Gelegenheit zum dementsprechenden »Schlucken« gibts hier genug, viel,
fast allzu viel. Allen andern sei gesagt, dass dieser Film einfach
derart komisch ist, dass man fast dauernd kichern muss, obwohl man fast
nicht weiß, worüber eigentlich genau vor lauter Drastik und Realismus,
die hier vorkommen. Und das auch ganz gelassen so darf. So ist das
nämlich alles gemeint.
Wie da am Ende zwei in den Sonnenschein reiten: Das ist eine Szene
Wer jetzt keine Johnny Cash-Platte zu Hause hat, kauft sich besser eine!