Webwecker Bielefeld: Sweet Mud

Irgendwie verkehrte Welt



Sweet Mud - Im Himmel gefangen

Von Harald Manninga

Ein bisschen verworren ist das schon: Der hebräische Originaltitel Adamah meschuga’at bedeutet soviel wie »verrückte Erde«. Daraus wird im internationalen (englischen) Titel Sweet Mud, also »süßer Dreck«. Und der deutsche Titel schließlich lautet dann Im Himmel gefangen und wird einfach an den englischen Titel drangehängt, um die Verwirrung komplett zu machen. Um das schon mal aufzuklären: himmlisch ist an den Dingen dieses Films nicht so sonderlich viel. Der meschuggene süße Dreck befindet sich nämlich in einem Kibbuz.

Erzählt wird vor allem die Geschichte des kleinen Dvir Avni, der Anfang der 70er Jahre kurz vor seiner Bar Mitzvah steht. Seine Mutter Miri ist verwitwet und depressiv, Neid, Missgunst, Bigotterie, Intrigen, allseitige Blockwartsmentalität bestimmen das Leben der Kibbuzniks. Es könnte besser werden, als Miris Brieffreund Stephan aus der Schweiz anreist und mit dem liebenswerten Charme des älteren Herrn und einer gewissen Spur Anarchie die Herzen im Sturm erobert.

Könnte, tuts aber nicht, er wird von der Gemeinschaft wieder rausgeschmissen. Dvir pubertiert dennoch tapfer weiter vor sich hin, unterwirft sich den skurrilen Ritualen, die ihn und seine Schulkameraden auf die Bar Mitzvah vorbereiten sollen, kümmert sich um seine kranke Mutter, lernt, dass vor allem die Sausäcke unter den Charakterschweinen (zum Beispiel der Nachbar, der seinen Hund umbringt) im Leben gewinnen, lässt in der Schule grenzdebilen Sexualkundeunterricht an sich vorüberziehen, der so hirnlos und verbiestert daherkommt, dass selbst die Lehrerin ihren lehrplanmäßigen Vortrag zum Kotzen findet.

Kommt dann irgendwann die Bar Mitzvah-Feier. Normalerweise gehört zu diesem Initiationsritus, dass die Kinder einen Abschnitt aus der Thora vorlesen und erklären. Nicht so in diesem Kibbuz, hier wird die Feierlichkeit mit dem Absolvieren eines quasimilitärischen Zirkeltrainings absolviert. Diese Feier endet für Dvir mit dem tatsächlichen Eintritt in ein »neues« Leben – aber anders als es die Ideologie vorgibt.

Düsternis, Bedrängung, Trauer und Regen beherrschen diesen Film, in dem es Regisseur und Autor Dror Shaul zwar doch immer wieder schafft, lustige und humorvolle, charmante und mitreißende Szenen und Bilder mit Hoffnungsschimmer zu zeigen. Und natürlich ist die Situation für Dvir nicht wirklich hoffnungslos, denn er steht ja erst »am Anfang«. Komplett düster und niederschmetternd ist der Film daher also nicht – auch nicht für den Zuschauer.

Das wäre wohl auch für Dror Shaul zuviel gewesen, der hier erkennbar auch eigenes Erleben bearbeitet, er ist nämlich selbst in einem Kibbuz aufgewachsen. Schwarzweißmalerei ist daher seine Sache nicht, sondern es gelingt ihm, eine zwar wacklige aber dennoch Balance zwischen Anklage und Verständnis zu halten.

Hinreißende Hilfe erhält er dabei von seinen Darstellern, etwa dem jungen Tomer Steinhof, der den Dvir spielt. Eine Rolle, die ihm auf den Leib geschneidert scheint. Für die er auch vom Fleck weg als »Bester Schauspieler« beim Preis der Israelischen Filmakademie nominiert war. Auch sonst ist der Film zu vielen Ehren gekommen, u.a. dem »Gläsernen Bären« der Berlinale und dem großen Preis der Jury beim Sundance-Festival. Das erklärt zwar nicht die Titelverwirrung zwischen Himmel und Erde, aber genau genommen macht das auch gar nichts, dafür ist der Film insgesamt einfach zu gut.