Von Harald Manninga
Hank (Ethan Hawke) ist ein Loser, hängt vor allem in »Mooneys Pub« rum und hat seit Monaten nicht genug Geld für den
Unterhaltsscheck für seine Ex-Frau und die gemeinsame Tochter. Sein Bruder Andy
(Philip Seymour Hoffman) ist andrerseits ein erfolgreicher Geschäftsmann; dabei
muss er aber mit Drogen nachhelfen. Um die und den Lebensstil eines
Hochleisters bezahlen zu können, hat er bei seiner Firma Geld veruntreut. Das
droht aufzufliegen, weil eine Steuerprüfung ansteht. Kurz: Beiden steht das
Wasser bis zum Hals. Die Eltern von Hank und Andy haben allerdings ein kleines
Juweliergeschäft in der Vorstadt, und das bringt Andy auf eine Idee, wie er und
sein Bruder sich mit einem Schlag sanieren könnten.
Diese Idee ist auch wirklich gut und wasserdicht, es kann
eigentlich gar nichts schiefgehen. Tut es dann aber doch. Und zwar alles, und
zwar dramatisch und kapital.
Regisseur Sidney Lumet ist jetzt 83 Jahre alt. Diesen Mann,
der schon mit seinem ersten Kinofilm (1957: Die zwölf Geschworenen, mit
Henry Fonda in der Hauptrolle) einen Klassiker hingelegt hat, als »Altmeister«
zu bezeichnen, ist eine Binse. Umso mehr erwartet man aber von ihm in seinem
jüngsten Werk eine Bestätigung der Meisterlichkeit. Und wird bei Tödliche
Entscheidung hoch belohnt in dieser Erwartung.
Vor einem großartigen Film steht jedoch immer ein
großartiges Drehbuch. Geliefert wurde es in diesem Fall von einer gewissen
Kelly Masterson. Die damit ihr erstes Kino-Drehbuch geliefert hat, nachdem sie
als Theaterautorin schon einige Erfolge eingeheimst hat.
Nächste nötige Zutat: Eine Besetzung, die einfach stimmt.
Der Legende nach hatte Lumet beim Lesen des Buchs sofort an Hawke und Hoffman
als Darsteller der Brüder gedacht und das auch noch quasi seitenverkehrt: Denn
eigentlich wäre Ethan Hawke wohl ideal für den smarten »Macher« Andy gewesen,
Philip Seymour Hoffman für den »leicht abgewrackten« Hank (»leicht abgewrackt«
sah man ihn ja erst kürzlich in Der Krieg des Charlie Wilson). Lumet hat
sie aber genau entgegengesetzt der bisherigen »typischerweise« bekannten
Rollen besetzt.
So heißt es, aber im Grunde ist das auch wurscht, obwohl es
eine nette Anekdote hergibt, die man nicht verschweigen sollte. Das Ergebnis
dieser Besetzung ist aber natürlich wichtiger, und dieses Ergebnis ist mit
Verlaub ein Knaller. Wie außerdem die Besetzung der Nebenrollen, von denen
hier nur Albert Finney als »Vater« und eine schier umwerfende Marisa Tomei in
der Rolle der Ehefrau von Andy, »Gina«, genannt seien. Dolle Arbeit
allenthalben!
Mitarbeiten muss man als Zuschauer aber schon auch. Denn
erstens ist es nicht immer ganz einfach, der Erzählfolge aus einer Kollage von
Geschehnissen am, vor und nach dem alles entscheidenden Tag zu folgen. Zweitens
kann es sein, dass die geschilderten Dinge einem allzu nahegehen: Man braucht
im Zweifel schon recht gute Nerven, um sich beim Betrachten dieses Films von
den dargestellten tragischen Folgen eines
falschen Entschlusses, die immer neue Entscheidungen erfordern, die ihrerseits
fast unweigerlich (?) eine nach der anderen falsch ausfallen..., ernstlich
distanzieren zu können.
Die Wenigsten werden zwar hoffentlich! im Zuge ihrer
Lebensgestaltung Läden überfallen haben, Menschen erschossen, Familien
zerstört, das Umfeld in Mitleidenschaft gezogen. Insofern hilft die drastische
Filmgeschichte selbst dabei, zwischen dem filmischen Geschehen und persönlicher
Betroffenheit des Zuschauers die gewisse nötige Distanz zu bilden. Aber auch
nur haarscharf: Das Leben besteht eben aus Entscheidungen. Die alle auch
anders sein könnten. Die alle Konsequenzen nach sich ziehen, die wir nicht im
Griff haben. Philosophisch spricht man von der conditio humana. Von
nichts Geringerem handelt dieser Film. Also bitte anschnallen.
Tödliche
Entscheidung (USA
2007, 117 Min.) von Sidney Lumet läuft gerade in der Bielefelder Kamera.