Von Harald Manninga
Australien vor sehr, sehr langer Zeit: Teenager Dayindi geht mit seiner Sippe zum ersten Mal auf die Jagd. Er ist zudem in die dritte Frau seines Bruders verschossen. Jede Menge Zündstoff also, der sich da in dem jungen Kerl ansammelt und der entsprechend in die richtigen Bahnen geleitet werden will und soll.
Das besorgen die älteren Männer in der Truppe, die ihm über der Arbeit beim Kanubauen, Jagen und den sonstigen Verrichtungen, die einem Aborigine-Stamm im Sumpf das Überleben sichern, alles beibringen, was man in diesem Leben so wissen muss. Sie bringen ihm nicht nur bei, wie man das alles macht, sie erzählen ihm auch ihre Geschichten aus alter, d.h. noch älterer Zeit.
Der in Australien lebende und arbeitende Holländer Rolf de Heer hat den Film ausschließlich mit Nachkommen der Ureinwohner an »Orignialschauplätzen«, nämlich im australischen Sumpfgebiet gedreht. Dabei ist nicht nur der erste Spielfilm herausgekommen, der außerdem komplett in der Sprache australischer Ureinwohner gedreht wurde, sondern auch ein geradezu überraschend humorvoller, witziger Einblick in das Leben an den »Wurzeln der Menschheit«.
Dieser Film kommt ohne alle Didgeridoo-Platitüden und andere bekannte Aborigine-Völkstümlichkeiten aus, hat auch nichts mit »kulturellen Gegensätzlichkeiten« zu tun, wie etwa die südafrikanische Ethno-Klamotte Die Götter müssen verrückt sein. Das geht schon deshalb gar nicht, weil zu der Zeit, in der 10 Kanus... spielt, noch gar keine Europäer in Australien aufgetaucht waren. Dieser Film erzählt einfach eine Spielfilmgeschichte, nur eben eine australische, aus einer Zeit weit, weit vor der unseren. Und das tut er einerseits mit betörenden Bildern (logisch, wir sind ja mitten in der Natur der - sagen wir einmal: Steinzeit), andererseits völlig unsentimental, dafür aber ungemein lustig, augenzwinkernd und erfindungsreich. Gelächter ist allem Anschein nach ein bei den Aborigines ausgesprochen häufig vorkommendes Geräusch.
Das geht schon mit den Namen der Personen los, die die Erzählerstimme immer wieder mit ausgesuchter Akribie ausspricht, denn man muss ja wissen, um wen es gerade geht. Namen, die sich aber ein Europäer erstens nicht merken kann, bei denen er sich zweitens wohl die Zunge brechen würde, wenn er versuchte, sie nachzusprechen, denn nicht alle heißen da so gefällig wie der Protagonist. Vielleicht ist es aber auch gar nicht gewollt, dass der Zuschauer damit zurechtkommt?
Jedenfalls sollte man es lieber gar nicht erst versuchen, denn dann geht zuviel Konzentration verloren, und man kann dem Film nicht mehr richtig folgen. Und das wäre schade, denn es entginge einem echt eine Menge. Allein schon die Frage, ob man jetzt gerade mal wieder auf die Schippe genommen wird oder nicht, zu beantworten, fällt schwer, wenn man nicht voll dabei bleibt.
Und wie man sich das mit dem Leben und dem coming of age in der »Urgesellschaft« so vorzustellen hat, kriegt man bislang nirgends so hinreißend und - ja, doch: - authentisch zu sehen. Ein unbedingtes Muss.
10 Kanus, 150 Speere und drei Frauen (AUS 2006, 90 Min. OmU) läuft ab 09.08. im Lichtwerk.