Shoppen
Von Harald Manninga
Eigentlich ist alles an diesem Film verboten: 18
Protagonisten. Alle quasseln die ganze Zeit. Es passiert so gut wie nichts.
Eine echte Story mit Entwicklung und allem gibt es anscheinend nicht. So kann
man doch keine Filme machen! Eigentlich.
Neun Frauen und neun Männer treffen sich in München zum »Speed Dating«. Eine der Damen spricht das Dilemma aus: »Ich treff selten
jemanden zweimal. Also meistens nicht mal einmal!« Und da ist es in der
Großstadt natürlich schwer, darunter auch noch jemanden zu finden, der sich für
die große Liebe oder wenigstens etwas guten Sex eignet. Gottseidank aber gibt
es ja heutzutage Leute, die das Kennenlernen zum Geschäft machen und einsamen
Herzen gegen Gebühr die Möglichkeit bieten, einander innerhalb von fünf Minuten
näherzukommen, ohne das normale langwierige Balztrallala durch zu exerzieren.
Nach der vorgegebenen Zeit fiept der Veranstalter auf seiner Pfeife, die
Paarungen wechseln, bis jede Frau mit jedem Mann gesprochen hat. Und hoffentlich
wen gefunden, mit dem sich später mehr Zeit verbringen lässt. Liegt alles nur
an der gelungenen Präsentation.
Im Normalfall findet »Speed Dating« in gemieteten
Restaurants statt, wo die Menschen an Tischen sitzen. In Ralf Westhoffs erstem
Spielfilm sitzen die Kandidaten einander wie auf der Hühnerstange aufgereiht
hie die Männer, dort die Frauen ohne weitere Staffage in einer Halle
gegenüber. Im Grunde müsste man dauernd alle durcheinander reden hören, aber
hier leistet Regisseur Westhoff sich eine der wenigen Konzessionen an sonst
übliche Filmgesetze: man sieht und hört immer nur einem Paar bei der
Kurzunterhaltung zu.
Rechnerisch hat jede Person in diesem Film fünf Minuten
Zeit, sich zu präsentieren. Das reicht nur für Schlaglichter. Trotzdem gewinnt
der Zuschauer tiefe Einblicke in die Seelenlagen der Figuren, und am Ende hat
man dann doch 18 scharf geschnittene, mehr oder weniger vielschichtige
Charaktere kennengelernt. Für manche geht es nach diesem Treffen nämlich noch
weiter, und da hats dann erst recht was in sich.
Ein in ungefähr jeder Hinsicht ungewöhnlicher Film, der
ebenso provoziert wie amüsiert, mit tempo- und pointenreich Dialogen,
hervorragend gespielt von einer Schauspielercrew, die fast nur aus
Film-Neulingen zusammengesetzt ist, denen man jedes Wort und jeden
Gesichtsausdruck glaubt. Dazu trägt auch die Formmischung bei äußerlich sieht
dieser mit gestochener Präzision inszenierte Spielfilm (Kamera: Helmfried
Kober, Schnitt: Uli Schön) wie eine Dokumentation aus und kann eben dadurch so etwas
wie die eigentlich fehlende »Spannungskurve« aufbauen, sich ganz auf die
manchmal ausgesprochen skurrilen Persönlichkeiten konzentrieren, die neugierig
darauf machen, was sie wohl als nächstes erzählen werden. Und das Gefühl
heraufbeschwören, dass es ja wirklich! genau so in der heutigen Welt
bei den Menschen in der diesbezüglich relevanten Zielgruppe der Singles
zwischen 30 und 49 zugeht, die nur noch Werbung, Investition und Gewinn kennen.
Und dann lacht man doch, denn sonst wärs unerträglich.
Shoppen (D 2006, 90 Min.) von Ralf Westhoff hatte im letzten Herbst bei den 40.
Hofer Filmtagen seine Uraufführung, wo er vom Publikum nahezu stürmisch
aufgenommen wurde. Ab 03. Mai läuft der Film im Lichtwerk.