Vier Minuten
Von Harald Manninga
»Gar nicht! Ich hab sogar Angst vor Musik!« Sagte Monica
Bleibtreu in der NDR-Talkshow im November, als sie nach ihrer Musikalität und
ihren Klavierkünsten gefragt wurde, die sie für die Rolle einer alternden
Klavierlehrerin ja wohl qualifiziert hätten.
Musik wars also nicht. Was aber dann? Eben dies: Dass sie
eine wunderbare Schauspielerin ist! Allein für diese herrliche Leistung lohnt
es, den Film zu sehen.
Monica Bleibtreu spielt in »Vier Minuten« eine
achtzigjährige Klavierlehrerin, die in einem Frauengefängnis einigen der
inhaftierten Frauen Unterricht gibt. Irgendwann trifft sie auf Jenny, die
sitzt, weil sie einen Menschen getötet hat. Jenny ist mit ihren 21 Jahren ein
Ausbund an Gewalttätigkeit und geht keinem Konflikt aus dem Weg, sie kloppt
sich sogar mit dem Aufsichtspersonal im Knast bis aufs Blut. Sie ist aber
außerdem eine hochbegabte Pianistin, die als Kind schon Preise gewonnen hat.
Eine Vergangenheit, die Jenny lieber vergessen würde, denn sie ist von ihrem
Vater (gespielt von Vadim Glowna) nicht nur zu diesen Wunderkind-Erfolgen
hingezwungen worden, sondern er hat sie auch sexuell missbraucht.
Die alte und gestrenge Klavierlehrerin, selbst eine tief
verletzte Seele, entdeckt dieses über Jahre verschüttete Talent wieder und
möchte Jenny auf einen neuerlichen Wettbewerb trimmen. So ein Talent wie Jennys
trage nämlich, meint die Lehrerin, eine heilige Verpflichtung in sich, es mit
der Welt zu teilen, um sie durch die Macht der Kunst vielleicht dann doch etwas
besser zu machen, als sie sonst wäre. Jenny sieht das jedoch ganz anders, denn
»die Welt« hat ja bisher auch kaum was Gutes mit ihr geteilt. Entspinnt sich:
ein Kampf zwischen zwei ebenso starken wie verwundeten Frauen, der sich in
einem und in diesem Fall ist die Floskel mal erlaubt, weil die lautere
Wahrheit fulminanten Schlussakkord entlädt (Originalmusik: Annette Focks).
Die Jenny wird gespielt von Hannah Bleibtreu, die hier eine
ihrer ersten großen Kinorollen abliefert. Und die Zusammenstellung
Bleibtreu-Herzsprung ist einfach eine Wucht. Da sind zwei
Vollblutschauspielerinnen miteinander und gegeneinander am Werk, dass es nur so
eine Art hat. Und das so knisternd, dramatisch, tiefgründig, zuweilen auch
komisch, wie es das »deutsche Kino« echt selten zu bieten hat.
Dazu kommt eine wirklich ungewöhnliche und vielschichtige
Story. Die auf den ersten Blick vielleicht etwas dröge, wenn nicht gar albern
und gesucht scheinen mag: »rtl-Frauenknast« trifft auf »ZDF-aspekte«... Dem ist
aber ganz und gar nicht so, da ist, außer den Schauspielerinnen, die fast
traumwandlerisch sichere Arbeit des
jungen Regisseurs Chris Kraus vor, der auch das Buch dazu geschrieben hat.
Zuweilen schießt dieses Buch aber dann doch etwas übers Ziel hinaus, in seinem Bestreben, die Dinge alle möglichst gut zu »motivieren«. Die Lebensgeschichte der Klavierlehrerin etwa erscheint doch etwas hergeholt, vor allem aber herzlich überflüssig. Das schmälert Krausens Verdienst jedoch kaum, auch mit dieser Story ist dieser Film im allgemeinen dicht, stringent, feinfühlig choreografiert und einfach herrlich anzuschaun.
Und herrlich anzuhören außerdem. Dabei nochmals Hut ab vor der jungen Hannah Herzsprung, die sich alle Stücke, die sie hier so virtuos am Klavier spielt, auswendig draufgeschafft hat - sie kann nämlich eigentlich gar nicht Klavier spielen. Die
Originalmusik von Annette Focks wurde schon erwähnt, sei aber nochmals
hervorgehoben: Allein der ebenfalls schon erwähnte Schlussakkord dieses Films,
den sie komponiert hat, macht den Film zu etwas Besonderem.
Bliebe zu erwähnen, dass »Vier Minuten« bei seiner Deutschlandpremiere
auf den »40. Internationalen Hofer Filmtagen« im Oktober den Preis für das
beste Szenenbild erhalten hat, der dort vom »Berufsverband der Szenenbildner,
Filmarchitekten und Kostümbildner (S/F/K)« vergeben wird. Bereits im Juni
erhielt der Streifen beim Festival von Shanghai den »Jin Jue« als Bester Film.