Webwecker Bielefeld: Gerhard Klaas, »Zwischen Verzweiflung und Widerstand. Indische Stimmen gegen die Globalisierung.« (Janaur, 2007)

Gerhard Klaas, »Zwischen Verzweiflung und Widerstand. Indische Stimmen gegen die Globalisierung.« (Janaur, 2007)




Wir haben viele Länder besucht: Bangladesh, Sri Lanka und Nepal. Dort sind die meisten Bauern wie wir. Sie besitzen keine großen Ländereien. Aber als wir nach London und Großbritannien gefahren sind, haben wir keine Kleinbauern getroffen.(...)Wir haben sogar einen Bauern getroffen, der hatte soviel Land, da wären drei Dörfer aus dem Medek mit ausgekommen. Wir dachten, er sei reich und glücklich. Aber als wir dann zusammen saßen, erzählte er, dass er mehr als hunderttausend Pfund Schulden hat.(...) Er tat uns wirklich leid,“ so Chinna Narsamma. Zusammen mit weiteren Frauen der untersten Kasten aus der Region Medek  ist sie im DDS, der Deccan-Development Society in Sanhgams - das sind Frauenräte - organisiert. In ca. 75 Dörfern der Region ist für die das Thema Hunger von der Tagesordnung gestrichen. Die Frauen setzen auf nachhaltige Landwirtschaft, sie bauen unterschiedliche Feldfrüchte in wechselnder Fruchtfolge an, benutzen eigenes Saatgut, verzichten auf Pestizide, düngen organisch, verwalten und verteilen ihr eigenes Saatgut, das den klimatischen Bedingungen der Region entspricht. Sie können sich und ihre Familien gesund und ausreichend von ihrer Arbeit versorgen. Die organisierten Frauen bewahren ihre Unabhängigkeit gegenüber den großen Konzernen, nicht nur das, durch ihre Arbeit erhalten und erweitern sie auch beständig das notwendige Wissen und die Fähigkeiten für ihre ökologisch sinnvolle Landwirtschaft. Samamma Bidakannes Kinder gehen alle zur Schule, keine Selbstverständigkeit für ihre Familie, und sehen fern, denn die Familie hat es zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Allerdings ist die Arbeit körperlich hart und zeitintensiv. Die Akzeptanz und Übernahme einer solch solidarischen landwirtschaftlichen Produktion ist von vielen äußeren Faktoren abhängig, nicht zuletzt auch von den Bildern und Werten, die via TV in die abgelegensten Orte gesendet werden und eine andere Art von scheinbarer Freiheit und Lebensstil vermitteln. So gesehen ist das Lebensmodell dieser Bäuerinnen eine schwierige und beständige Gratwanderung zwischen Notwendigkeiten und Erneuerungen und wirft immer wieder neue grundsätzliche Fragen auf wie z.B., ob die gemeinsame Anschaffung eines Traktors sinnvoll ist.

Gerhard Klaas, der Autor des aktuell im Nautilus Verlag erschienenen Titels „Zwischen Verzweiflung und Widerstand“ ist Mitglied im Rheinischem Journalistenbüro und veröffentlicht seit langem zu dem Thema Globalisierung. Insbesondere verschafft er den Positionen der KritikerInnen der Globalisierung und den Gegenbewegungen sowohl aus Europa als auch dem Trikont, der sogenannten Dritten Welt, immer wieder Gehör. Gerhard Klass interviewte unterschiedlichste AktivistInnen aus basisdemokratischen Organisationen Indiens, von den zitierten Kleinbäuerinnen über Gewerkschafter, Mitglieder der kommunistschen Partei bis hin zu der Partei den Naxaliten, der Name ist zurückzuführen auf die brutale Niederschlagung eines Bauernaufstandes im Bundesstaat Westbengalen durch eine kommunistische Regierung, die sowohl erfolgreich als Partei kandidieren aber auch über bewaffnete Milizen verfügen. Auch die bekannte Trägerin des alternativen Nobelpreises Vandana Shiva, die sich u.a. für die Bewahrung der Vielfalt des Saatgutes und der heimischen Pflanzen in Saatgutbanken einsetzt, gehört zu den Interviewten.

Trotz unterschiedlicher politischer Standpunkte ist ihnen die scharfe Kritik an den Bedingungen und Mechanismen des globalisierten Marktes gemeinsam, denn Gewinner und Verlierer sind eindeutig: Zwar wird für Indien für die nächsten Jahrzehnte ein Wirtschaftswachstum von 6 %  prognostiziert, hauptsächlich erwirtschaftet in der Softwareindustrie und im Dienstleistungssektor, in dem 100- 200 Millionen Beschäftigte sich am westlichen Lebensstandard orientieren, 10 Millionen ihn vielleicht tatsächlich erreicht haben. aber ca. 750 Millionen Menschen leben von der Landwirtschaft. Mittels moderner Pestiztide und Gentechnologie sollen sie auch zu den Aufsteigern gehören, in der Realität kehrt sich diese Prognose in ihr Gegenteil: So begehen in vielen ländlichen Distrikten verzweifelte Bauern Selbstmord, für sie der einzige sichtbare Ausweg aus der Schuldenfalle, entstanden durch Saatgutankauf, Pestizidkauf, Missernten. Auch die Arbeitenden in der Softwareindustrie können eigentlich nicht länger ungetrübt optimistisch sein, denn ihnen droht harte Konkurrenz aus China. Indien, ein Schwellenland auf dem Weg nach oben, so suggerieren es die westlichen Medien und bestimmen das Bild Indiens im Ausland.    

Gerhard Klaas ermöglicht ungewöhnliche und interessante Einblicke in Bewegungen, die sich aktiv gegen das Modell der Globalisierung wehren und nach möglichen Alternativen und Perspektiven suchen und diese Ideen auch tatsächlich in ihrem (Arbeits-)alltag umsetzen und leben. Existierende Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Organisationen werden nicht geglättet oder unterschlagen, gerade dadurch ist der gewährte Einblick so authentisch und spannend.


Gerhard Klaas, „Zwischen Verzweiflung und Widerstand. Indische Stimmen gegen die Globalisierung.“ Edition Nautilus, 153 S., 12,90 Euro, 2006

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