Ich denke, wenn wir schöne Bilder machen wollen, dann
müssen wir frei von Familienkonventionen und bindungen sein...Ich denke, die
Familie gehört der Vergangenheit an. Wir kommen nicht in Familien in den
Himmel, sondern jeder für sich, schrieb die britische Malerin Gwen John an
ihre Maler-Freundin Ursula Tyrwith (Zitat aus 50 Klassiker Künsterinnen, Hg.
Christina Haberlik, Ira Diana Mazzoni, Gerstenberg Verlag, 2002).Gwen John
lebte für ihre Malerei, gegen die Konventionen ihrer Zeit. Sie wurde 1876 in
Wales geboren, ab 1884 wuchs sie in dem kleinen Küstenort Tenby auf. Mit 19
besuchte sie in London die Slade School of Art, zu der Zeit die progressivste
in England. 1898 ging sie für einige Monate zum Kunststudium nach Paris, vier
Jahre später verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt gänzlich nach Paris. Gwen
John blieb keine Unbekannnte: sie nahm bis zu ihrem Tod regelmäßig an
Ausstellungen in England teil, sie stellte auch in den USA aus: So nahm sie 1913 an der International
Exhibition of Modern Art in New York, Boston und Chicago teil. Gwen John traf
auf Künstler wie Matisse, Picasso, Cezanne. Sie arbeitete für den Bildhauer
Rodin als Modell und war mit ihm für ein Jahrzehnt in einer Liebesbeziehung
verbunden. Gwen John gab ihre eigene künstlerische Arbeit nie auf und
entwickelte sie beständig fort. Sie starb im September 1939 auf einer
Frankreichreise. Mehrere ihrer Arbeiten sind heute in der Londoner Tate Gallery
zu besichtigen.
Und hier beginnt Margaret Forsters neuer Roman, Ein Zimmer,
sechs Frauen und ein Bild. Die Schülerin Gillian, die bald ein Kunststudium
beginnen wird, besucht während eines Schulausflugs die Tate Gallery. Gillian ist beeindruckt und bewegt von
Arbeiten der Künstlerin Gwen John, sie fragt nach der Eigenständigkeit der
künstlerischen Arbeiten, ihrem (Eigen)leben. ...welche Wirkung hatte es auf
die Menschen die es betrachteten. Was hat es ihnen bedeutet, wie
haben sie es betrachtet, haben sie
dasselbe gefühlt, wie ich, haben sie gesehen, was ich gesehen habe...,die
Ausgangsfrage des Romans.
Margaret Forster imaginiert in ihrem Roman den Weg eines
Bildes der Malerin Gwen John Corner of the Artist`s Room in Paris. Sie
zeichnet den Lebensweg der Malerin Gwen John und die Entstehungsgeschichte
ihrer Arbeit, die auch das Cover schmückt, nach. Eindrücklich ist die
Unabhängigkeit der Malerin, entgegen der These des Romans von Alexandra
Lavizarri verharrt sie nicht der ihr
zugewiesenen Rolle als Muse Rodins sondern geht ihren eigenen, nicht immer
einfachen Lebensweg, der Künstlerin, die immer etwas außerhalb steht,
vielleicht deshalb umso treffenden empfinden und ausdrücken kann.
Eine erste Ausführung der Arbeit wird an eine Freundin verschenkt. Das kostbare persönliche
Geschenk wird sorgfältig und sicher im Reisekoffer verpackt, damit ihm nichts
geschieht, doch das Schicksal nimmt seinen Lauf: der Koffer geht auf der Reise
verloren und somit beginnt das Eigenleben, der eigene Weg des Gemäldes. Es
gelangt zu Charlotte, Lieblingstochter ihres Vaters, die sich nicht
entsprechend der Vorstellungen ihrer Mutter verhält. Das Gemälde wird
entwendet, gelangt über Stella zu Lucasta und dann zur nächsten Besitzerin
Ailsa. Der Zeitrahmen umfaßt ein Jahrhundert, immer wieder spielt Gwen Johns
kleines Gemälder einen unterstützenden Rolle bei großen Entschlüssen,
Lebensumbrüchen. Am Ende schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei
Gillian.
Margaret Forster ist es gelungen, der Wirkungsmächtigkeit
eines kleinen Kunstwerkes nachzuspüren, sie verknüpft Lebensgeschichten
unterschiedlichster Frauen, gemeinsam ist allen die Suche und die Sehnsucht
nach Eigenständigkeit, nach persönlicher Freiheit und Freiräumen. Der Londoner
Autorin, zuletzt erschien ihr tagebuchartiger Roman Ich warte darauf, dass
etwas geschieht, ist nicht nur eine bewegende, bezaubernde Geschichte
gelungen, sie legt eine hommage an die Kunst und ganz besonders an das Werk
Gwen Johns vor.
Margaret Forster, »Ein Zimmer, sechs Frauen und ein Bild«,
Arche Verlag, 524 S., 2006, Euro
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