Wer Lily Bretts »Zu viele Männer« gelesen hat, ist
sicherlich gespannt, was Edeks Verabschiedung «Ich hab jetzt keine Zeit zum
Sprechen, mein Liebling.(...) Ich rufe dich sofort an, wenn ich in New York
bin,« bedeutet. Zumindest seine Tochter Ruth ist über diese herzliche
Verabschiedung von der Polin Zofia äußerst irritiert. Nach der anstrengenden
Reise durch Polen, um gemeinsam mit Edek Spuren der Vergangenheit zu finden,
ist das primäre Bedürfnis eigentlich erst mal Ruhe. Doch wer Lily Brett kennt,
bzw. ihre Protagonistin Ruth Rothwax, Tochter zweier Auschwitz Überlebender,
die in New York lebt und mit Briefe schreiben sehr viel Geld verdient, ahnt
schon, dass die Ruhe nur von kurzer Dauer sein kann.
Denn Edek hat trotz seiner 87 Jahre noch viel vor: Er
unterstützt Ruth in ihrer Arbeit mit guten Ideen und Ratschlägen, zudem
bestellt er täglich Unmengen von Papier und sonstigem Büromaterial. Das ruhige
Rentnerdasein ist nichts für ihn, er plant in dieser Metropole die Eröffnung
eines Spezialitätenrestaurants, eine Lokalität für polnische Klopse. Ruth
zweifelt natürlich an allem, vor allem an sich selbst. So ein Projekt kann doch
nur scheitern, wiesho kann sie diese
Katastrophe nur verhindern, obwohl sie Edek das ganze Geld vorgestreckt hat?
Und wieso sind auf einmal Walentyna und Zofia auch in New York?
Lily Brett erzählt eine temporeiche, überraschende und
wunderbar komische Geschichte: es geht um Väter und Töchter, Ehefrauen und
Ehemänner, eigentlich wie immer bei ihr um alles, was das Leben ausmacht: ganz
viel Liebe, neurotische Ticks und lauter Unklarheiten.
Chuzpe hat nicht den beeindruckenden Tiefgang von Zu viele Männer,
bietet aber eine humorvolle, versöhnliche
Auflösung der begonnenen Verwicklungen, ein Leben nach dem Holocaust ist
möglich.
Lily Brett, »Chuzpe«, Suhrkamp, 333 S., 2006, 22,90 Euro
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