Webwecker Bielefeld: Lily Brett, »Chuzpe«, (November 2006)

Lily Brett, »Chuzpe«, (November 2006)



Wer Lily Bretts »Zu viele Männer« gelesen hat, ist sicherlich gespannt, was Edeks Verabschiedung «Ich hab jetzt keine Zeit zum Sprechen, mein Liebling.(...) Ich rufe dich sofort an, wenn ich in New York bin,« bedeutet. Zumindest seine Tochter Ruth ist über diese herzliche Verabschiedung von der Polin Zofia äußerst irritiert. Nach der anstrengenden Reise durch Polen, um gemeinsam mit Edek Spuren der Vergangenheit zu finden, ist das primäre Bedürfnis eigentlich erst mal Ruhe. Doch wer Lily Brett kennt, bzw. ihre Protagonistin Ruth Rothwax, Tochter zweier Auschwitz Überlebender, die in New York lebt und mit Briefe schreiben sehr viel Geld verdient, ahnt schon, dass die Ruhe nur von kurzer Dauer sein kann.

Denn Edek hat trotz seiner 87 Jahre noch viel vor: Er unterstützt Ruth in ihrer Arbeit mit guten Ideen und Ratschlägen, zudem bestellt er täglich Unmengen von Papier und sonstigem Büromaterial. Das ruhige Rentnerdasein ist nichts für ihn, er plant in dieser Metropole die Eröffnung eines Spezialitätenrestaurants, eine Lokalität für polnische Klopse. Ruth zweifelt natürlich an allem, vor allem an sich selbst. So ein Projekt kann doch nur scheitern, wiesho  kann sie diese Katastrophe nur verhindern, obwohl sie Edek das ganze Geld vorgestreckt hat? Und wieso sind auf einmal Walentyna und Zofia auch in New York?

Lily Brett erzählt eine temporeiche, überraschende und wunderbar komische Geschichte: es geht um Väter und Töchter, Ehefrauen und Ehemänner, eigentlich wie immer bei ihr um alles, was das Leben ausmacht: ganz viel Liebe, neurotische Ticks und lauter Unklarheiten.

Chuzpe hat nicht den beeindruckenden Tiefgang von „Zu viele Männer“, bietet aber eine humorvolle, versöhnliche  Auflösung der begonnenen Verwicklungen, ein Leben nach dem Holocaust ist möglich.


Lily Brett, »Chuzpe«, Suhrkamp, 333 S., 2006, 22,90 Euro


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