Am vergangenen Mittwoch demonstrierten etwa 300 Menschen gegen »Soziale
Kälte«, die meisten von ihnen Studierende. Kein Wunder, schließlich hatten die
Allgemeinen Studierendenausschüsse von Uni und Fachhochschule die Demo unter
dem Motto »Frostschrei« organisiert. Entsprechend stand auch der Protest gegen
Studiengebühren und das neue Hochschulgesetz NRW ganz oben auf der Agenda. Die
Studierenden hatten aber ganz bewusst den Schulterschluss mit Gewerkschaften,
attac und Arbeitslosenorganisationen gesucht. So waren auch Hartz IV,
Gesundheits- und andere »Reformen« Themen für die Demonstranten.
Von Mario A.
Sarcletti
Der Maulwurf an sich ist ja nicht unbedingt beliebt. Er unterhöhlt die
Erde, weshalb der Gartenbesitzer an sich das possierliche Tierchen nicht liebt.
Seine Unterwanderungstätigkeit ist aber nicht der Grund, dass »Manni Maulwurf«
die »Frostschrei«-Demonstration der Asten von Fachhochschule und Bielefeld
moderiert. »Ich bin das Symbol für weitsichtige Bildungspolitik«, erklärt der
Student im Kostüm des blinden Erdbewohners auf der Auftaktkundgebung der
Demonstration.
Diese Politik sieht für Manni, ausgestattet mit zwei gelben Armbinden
mit den schwarzen Punkten, so aus: »Man führt Studiengebühren ein und dann
merkt man auf einer Konferenz plötzlich: Scheiße, jetzt haben wir zu wenig
Studienanfänger«, erklärt Manni den johlenden Demonstranten. Tatsächlich war
auf einer bildungspolitischen Konferenz in Bonn jüngst bekannt geworden, dass
nur noch dreißig Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen, angestrebt sind
vierzig Prozent. »Aber für Timmermann sind daran ja nicht die Studiengebühren schuld,
sondern brennende Klospülkästen«, sagt Manni mit Blick auf den Rektor der
Universität.
Manni stellt klar, dass es den Demonstranten aber nicht nur um den
Umbau der Hochschullandschaft geht. »Es geht hier allgemein gegen Ausgrenzung«,
unterstreicht der Student im Maulwurfskostüm. Dem schließt sich Jan Binder,
AStA-Vorsitzender der Uni, in seiner Rede an. »Wir sagen Nein zur
Privatisierung öffentlicher Ausgaben«, erklärt Binder und fordert Solidarität
von allen davon Betroffenen: »Wichtig ist, dass wir gegen Sozialabbau
zusammenstehen«, betont der AStA-Vorsitzende. »Wir sind solidarisch mit euch«,
versichert Binder, der von einer
»neoliberalen Revolution« spricht, anderen von den »Reformen« Betroffenen.
»Wir sagen auch Nein zur Ausgrenzung durch Hartz IV, vor der auch der
ein oder andere betroffen sein kann, der hier steht«, erinnert Binder daran,
dass auch Hochschulabsolventen Arbeitslosengeld II droht. Dass die meisten von
ihnen aus Akademikerfamilien stammen, findet Binder nicht gut und kritisiert das
selektive Bildungssystem in der Bundesrepublik. »Wir sind auch gegen die
Ausgrenzung von Arbeiterkindern aus den Hochschulen«, macht der
Studierendenvertreter klar und spricht von »Ignoranz und Dummheit« seitens der
Politik.
Zur Überraschung der Demonstranten bedankt sich Binder anschließend bei
Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart für seine Politik, die die Studierenden
in NRW in diesem Jahr auf die Straßen getrieben hat. Der Dank ist aber ironisch
gemeint: »Sie erfüllen genau die Erwartungen, die mensch an einen FDP-Politiker
hat«, erklärt Jan Binder. Denn wie von einem Politiker der Freidemokraten zu
erwarten glaube Pinkwart an die Macht des Marktes. »Aber der Glaube an den
freien Markt ist eine Utopie«, beschreibt Binder seine Sicht und fügt hinzu:
»Ich bin für eine andere Utopie, den Kommunismus, dann hätten wir diese
Probleme nicht«.
Nach Jan Binder erläuterte sein Vorgänger im Amt des AStA-Vorsitzenden,
Janosch Stratemann, jetzt Koordinator des Landes-ASten-Treffens, die Kritik der
Studierendenvertreter am neuen nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz. Das
hieß im Entwurf noch Hochschulfreiheitsgesetz, was für reichlich Spott, Hohn
und Kritik gesorgt hatte. Denn nicht nur Studierendenvertretungen, auch
Personalräte und Hochschulleitungen sehen in dem Gesetz eine Beschränkung der
Freiheit der Hochschulen. Schließlich sollen die Geschicke der Hochschulen
nicht mehr durch die von ihren Angehörigen gewählten Gremien, sondern durch
einen vom Ministerium bestellten Hochschulrat gelenkt werden. Dem gehören auch
Personen an, die nicht Mitglieder der Hochschulen sind. »Da kommen dann
irgendwelche Konzerne rein, das Fächerangebot wird nach ökonomischer
Verwertbarkeit organisiert«, befürchtet Janosch Stratemann.
Neue Prüfungshürden
Er kritisiert auch, dass durch das neue Hochschulgesetz die im Rahmen
der Einführung der Studiengebühren versprochene verstärkte Partizipation der
Studierenden eingeschränkt wird. Außerdem hätten die Studierenden nach den
neuen Vorgaben nur noch drei Semester Zeit, eine Pflichtveranstaltung erfolgreich
zu absolvieren. »Das soll angeblich die Studienabbrecherquote senken«, sagt
Stratemann. Gegner des neuen Hochschulgesetzes befürchten dagegen, dass mehr
Studierende, die an einer Prüfung scheitern, ihr Studium abbrechen werden.
Nach Janosch Stratemann sprach bei der Auftaktkundgebung vor dem
Rathaus noch Amin Benaissa. Er ist AStA-Vorsitzender der Uni Frankfurt,
überbrachte solidarische Grüße aus Hessen und berichtete von den dortigen
Protesten gegen Studiengebühren. Benaissa betonte, dass diese friedlich
verlaufen seien und erteilte den auf dem Bielefelder Rathausplatz frierenden
Demonstranten eine Lektion in Sachen Medienkompetenz: »Glaubt nicht das, was
ihr lest«, empfahl der Frankfurter AStA-Vorsitzende den Kommilitonen. Denn
nicht nur in der Bildzeitung wurde von Krawallen und Randale der hessischen
Studierenden berichtet.
Es habe zwar Autobahn- und Bahnhofsblockaden gegeben, »sofern es die
Polizei zugelassen hat«, so Benaissa. »Aber wir waren friedlich«, betont der
Frankfurter Studierendenvertreter. »Die Teilnehmer waren mutig und haben sich
von der Polizei nicht einschüchtern lassen«, beschreibt er die Proteste, bei
denen auch wie in Bielefeld die Gewerkschaften eingebunden waren. Benaissa
verdeutlicht, dass Proteste auch effektiv seien können. Er verwies zum einen
auf Hamburg. Beim dortigen »Summer of Resistance« hatte der Präsident der
Hochschule gar die Polizei auf den Campus geordert. Nachdem dort nach Angaben
Benaissas faktisch der Ausnahmezustand herrschte, wurde die Einführung der
Gebühren vertagt.
An Frankreich orientiert
Zum anderen nannte Benaissa Hessen als Beispiel für erfolgreichen
Widerstand gegen Studiengebühren. Zwölf Änderungen hätten die Proteste »an dem
schlimmsten Gesetz in der ganzen Bundesrepublik« bewirkt, berichtet Benaissa.
»Wir haben uns an Frankreich orientiert«, erläutert er das Rezept für
erfolgreichen Widerstand, »unser Motto war Kick it like Frankreich«. Die
Proteste in Hessen brachten auch den Ausbruch aus dem sprichwörtlichen
akademischen Elfenbeinturm. »Vergangene Woche haben wir das Arbeitsamt
gestürmt«, berichtet Benaissa über die Frankfurter Nicht-nur-Studentenproteste.
»Es lohnt sich zu kämpfen«, motiviert er die Bielefelder Studierenden, »Gesetze
sind auch da, um sie zu kippen«.
Nach seiner Rede zogen die
etwa dreihundert Demonstranten über den Jahnplatz und den Bielefelder Westen
zur Universität, immer beobachtet von einem Kamerawagen der Polizei. Auf der
Stapenhorststraße kam es zum Konflikt mit den Ordnungshütern. Nach deren
Angaben forderte ein Demonstrant dazu auf, die gesamte Breite der Straße zu
nutzen. Deshalb bearbeitet der Staatsschutz jetzt eine Anzeige, eine weitere
gab es gegen die Versammlungsleitung, weil zwei Ordner mit Bierflaschen am Ende
des Demonstrationszuges gingen. Nach Angaben der Pressestelle der Polizei wurde
außerdem Anzeige wegen Beamtenbeleidigung erstattet. Dabei zeigte sich die
Versammlungsleitung eigentlich kooperativ. Um den Stadtbahnverkehr nicht zu
stören endete die Demonstration nicht vor, sondern versteckt hinter der Uni.
Von dort war der Weg ins Audi Min der Universität auch kürzer, wo sich die
Demonstranten mit Glühwein.