Webwecker Bielefeld: Studierende demonstrieren gegen »neoliberale Revolution« (13.12.2006)

Studierende demonstrieren gegen »neoliberale Revolution« (13.12.2006)




Am vergangenen Mittwoch demonstrierten etwa 300 Menschen gegen »Soziale Kälte«, die meisten von ihnen Studierende. Kein Wunder, schließlich hatten die Allgemeinen Studierendenausschüsse von Uni und Fachhochschule die Demo unter dem Motto »Frostschrei« organisiert. Entsprechend stand auch der Protest gegen Studiengebühren und das neue Hochschulgesetz NRW ganz oben auf der Agenda. Die Studierenden hatten aber ganz bewusst den Schulterschluss mit Gewerkschaften, attac und Arbeitslosenorganisationen gesucht. So waren auch Hartz IV, Gesundheits- und andere »Reformen« Themen für die Demonstranten.

 

Von Mario A. Sarcletti

Der Maulwurf an sich ist ja nicht unbedingt beliebt. Er unterhöhlt die Erde, weshalb der Gartenbesitzer an sich das possierliche Tierchen nicht liebt. Seine Unterwanderungstätigkeit ist aber nicht der Grund, dass »Manni Maulwurf« die »Frostschrei«-Demonstration der Asten von Fachhochschule und Bielefeld moderiert. »Ich bin das Symbol für weitsichtige Bildungspolitik«, erklärt der Student im Kostüm des blinden Erdbewohners auf der Auftaktkundgebung der Demonstration.

Diese Politik sieht für Manni, ausgestattet mit zwei gelben Armbinden mit den schwarzen Punkten, so aus: »Man führt Studiengebühren ein und dann merkt man auf einer Konferenz plötzlich: Scheiße, jetzt haben wir zu wenig Studienanfänger«, erklärt Manni den johlenden Demonstranten. Tatsächlich war auf einer bildungspolitischen Konferenz in Bonn jüngst bekannt geworden, dass nur noch dreißig Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen, angestrebt sind vierzig Prozent. »Aber für Timmermann sind daran ja nicht die Studiengebühren schuld, sondern brennende Klospülkästen«, sagt Manni mit Blick auf den Rektor der Universität.

Manni stellt klar, dass es den Demonstranten aber nicht nur um den Umbau der Hochschullandschaft geht. »Es geht hier allgemein gegen Ausgrenzung«, unterstreicht der Student im Maulwurfskostüm. Dem schließt sich Jan Binder, AStA-Vorsitzender der Uni, in seiner Rede an. »Wir sagen Nein zur Privatisierung öffentlicher Ausgaben«, erklärt Binder und fordert Solidarität von allen davon Betroffenen: »Wichtig ist, dass wir gegen Sozialabbau zusammenstehen«, betont der AStA-Vorsitzende. »Wir sind solidarisch mit euch«, versichert  Binder, der von einer »neoliberalen Revolution« spricht, anderen von den »Reformen« Betroffenen.

»Wir sagen auch Nein zur Ausgrenzung durch Hartz IV, vor der auch der ein oder andere betroffen sein kann, der hier steht«, erinnert Binder daran, dass auch Hochschulabsolventen Arbeitslosengeld II droht. Dass die meisten von ihnen aus Akademikerfamilien stammen, findet Binder nicht gut und kritisiert das selektive Bildungssystem in der Bundesrepublik. »Wir sind auch gegen die Ausgrenzung von Arbeiterkindern aus den Hochschulen«, macht der Studierendenvertreter klar und spricht von »Ignoranz und Dummheit« seitens der Politik.

Zur Überraschung der Demonstranten bedankt sich Binder anschließend bei Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart für seine Politik, die die Studierenden in NRW in diesem Jahr auf die Straßen getrieben hat. Der Dank ist aber ironisch gemeint: »Sie erfüllen genau die Erwartungen, die mensch an einen FDP-Politiker hat«, erklärt Jan Binder. Denn wie von einem Politiker der Freidemokraten zu erwarten glaube Pinkwart an die Macht des Marktes. »Aber der Glaube an den freien Markt ist eine Utopie«, beschreibt Binder seine Sicht und fügt hinzu: »Ich bin für eine andere Utopie, den Kommunismus, dann hätten wir diese Probleme nicht«.

Nach Jan Binder erläuterte sein Vorgänger im Amt des AStA-Vorsitzenden, Janosch Stratemann, jetzt Koordinator des Landes-ASten-Treffens, die Kritik der Studierendenvertreter am neuen nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz. Das hieß im Entwurf noch Hochschulfreiheitsgesetz, was für reichlich Spott, Hohn und Kritik gesorgt hatte. Denn nicht nur Studierendenvertretungen, auch Personalräte und Hochschulleitungen sehen in dem Gesetz eine Beschränkung der Freiheit der Hochschulen. Schließlich sollen die Geschicke der Hochschulen nicht mehr durch die von ihren Angehörigen gewählten Gremien, sondern durch einen vom Ministerium bestellten Hochschulrat gelenkt werden. Dem gehören auch Personen an, die nicht Mitglieder der Hochschulen sind. »Da kommen dann irgendwelche Konzerne rein, das Fächerangebot wird nach ökonomischer Verwertbarkeit organisiert«, befürchtet Janosch Stratemann.


Neue Prüfungshürden

Er kritisiert auch, dass durch das neue Hochschulgesetz die im Rahmen der Einführung der Studiengebühren versprochene verstärkte Partizipation der Studierenden eingeschränkt wird. Außerdem hätten die Studierenden nach den neuen Vorgaben nur noch drei Semester Zeit, eine Pflichtveranstaltung erfolgreich zu absolvieren. »Das soll angeblich die Studienabbrecherquote senken«, sagt Stratemann. Gegner des neuen Hochschulgesetzes befürchten dagegen, dass mehr Studierende, die an einer Prüfung scheitern, ihr Studium abbrechen werden.

Nach Janosch Stratemann sprach bei der Auftaktkundgebung vor dem Rathaus noch Amin Benaissa. Er ist AStA-Vorsitzender der Uni Frankfurt, überbrachte solidarische Grüße aus Hessen und berichtete von den dortigen Protesten gegen Studiengebühren. Benaissa betonte, dass diese friedlich verlaufen seien und erteilte den auf dem Bielefelder Rathausplatz frierenden Demonstranten eine Lektion in Sachen Medienkompetenz: »Glaubt nicht das, was ihr lest«, empfahl der Frankfurter AStA-Vorsitzende den Kommilitonen. Denn nicht nur in der Bildzeitung wurde von Krawallen und Randale der hessischen Studierenden berichtet.

Es habe zwar Autobahn- und Bahnhofsblockaden gegeben, »sofern es die Polizei zugelassen hat«, so Benaissa. »Aber wir waren friedlich«, betont der Frankfurter Studierendenvertreter. »Die Teilnehmer waren mutig und haben sich von der Polizei nicht einschüchtern lassen«, beschreibt er die Proteste, bei denen auch – wie in Bielefeld – die Gewerkschaften eingebunden waren. Benaissa verdeutlicht, dass Proteste auch effektiv seien können. Er verwies zum einen auf Hamburg. Beim dortigen »Summer of Resistance« hatte der Präsident der Hochschule gar die Polizei auf den Campus geordert. Nachdem dort nach Angaben Benaissas faktisch der Ausnahmezustand herrschte, wurde die Einführung der Gebühren vertagt.

 

An Frankreich orientiert

Zum anderen nannte Benaissa Hessen als Beispiel für erfolgreichen Widerstand gegen Studiengebühren. Zwölf Änderungen hätten die Proteste »an dem schlimmsten Gesetz in der ganzen Bundesrepublik« bewirkt, berichtet Benaissa. »Wir haben uns an Frankreich orientiert«, erläutert er das Rezept für erfolgreichen Widerstand, »unser Motto war Kick it like Frankreich«. Die Proteste in Hessen brachten auch den Ausbruch aus dem sprichwörtlichen akademischen Elfenbeinturm. »Vergangene Woche haben wir das Arbeitsamt gestürmt«, berichtet Benaissa über die Frankfurter Nicht-nur-Studentenproteste. »Es lohnt sich zu kämpfen«, motiviert er die Bielefelder Studierenden, »Gesetze sind auch da, um sie zu kippen«.

Nach seiner Rede zogen die etwa dreihundert Demonstranten über den Jahnplatz und den Bielefelder Westen zur Universität, immer beobachtet von einem Kamerawagen der Polizei. Auf der Stapenhorststraße kam es zum Konflikt mit den Ordnungshütern. Nach deren Angaben forderte ein Demonstrant dazu auf, die gesamte Breite der Straße zu nutzen. Deshalb bearbeitet der Staatsschutz jetzt eine Anzeige, eine weitere gab es gegen die Versammlungsleitung, weil zwei Ordner mit Bierflaschen am Ende des Demonstrationszuges gingen. Nach Angaben der Pressestelle der Polizei wurde außerdem Anzeige wegen Beamtenbeleidigung erstattet. Dabei zeigte sich die Versammlungsleitung eigentlich kooperativ. Um den Stadtbahnverkehr nicht zu stören endete die Demonstration nicht vor, sondern versteckt hinter der Uni. Von dort war der Weg ins Audi Min der Universität auch kürzer, wo sich die Demonstranten mit Glühwein.