Webwecker Bielefeld: »Eine Armee im Einsatz« (22.11.2006)

»Eine Armee im Einsatz« (22.11.2006)



Winfried Eisenberg (IPPNW), Veronika Engl und Inge Höger (Linkspartei) im Gespräch über die Kriege der Bundesrepublik

Von Manfred Horn

In den vergangen drei Jahren hat sich die Zahl der traumatisierten Bundeswehrsoldaten mehr als verdoppelt. Vor allem bei Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz sind, habe die Zahl deutlich zugenommen: 2003 habe die Zahl noch bei 30 gelegen, 2005 schon bei 86 (WebWecker berichtete).

Für die Bielefelder Psychotherapeutin Veronika Engl nicht aussergewöhnlich: Forschungen haben gezeigt, dass rund ein Fünftel aller Soldaten im Kriegseinsatz an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) erkranken, manchmal unmittelbar danach, manchmal aber auch erst Jahrzehnte später. »Die Störung kann nach Jahrzehnten wieder aktiv werden«, sagt Engl, die selbst traumatisierte Soldaten behandelt und verweist damit auf Erfahrungen von Menschen, die im zweiten Weltkrieg oder in Vietnam gekämpft haben.

PTSD tritt auch in anderen Zusammenhängen auf, beispielsweise bei Umwelt- oder Naturkatastrophen. Doch die Quote ist bei den direkt von Menschen verursachten Ereignissen am höchsten. Neben der kriegerischen Auseinandersetzung tritt PTSD auch bei allen anderen Formen körperlicher Gewalt auf, etwa bei Vergewaltigungen oder schweren Verkehrsunfällen. Wer PTSD hat, erinnert sich an das Ereignis in Träumen, auch am Tag in Form von sogenannten Flash-Backs. Es kommt zu Schlafstörungen und gereiztem Verhalten. PTSD zeigt sich auch in emotionaler Taubheit, die Betroffenen ziehen sich zurück. Die Erinnerungen werden von rund drei Vierteln der Betroffenen betäubt mit Tabletten, Drogen und Alkohol. Ziel ist es, einen Schutz zu entwickeln.

Die Symptome sind behandelbar, doch dies kostet eine Menge Geld. »Da sind schnell 10.000 Euro und mehr pro Betroffenem weg«, weiß Engl. Hinzu kommen weitere Kosten, da an PTSD Erkrankte arbeitsunfähig sind. Wird PTSD nicht behandelt, besteht sogar die Gefahr, dass ein Teil der Betroffenen zu Tätern wird, um die Erfahrungen abzuwehren.

Je mehr Soldaten der Bundeswehr in Kriegseinsätze geschickt werden, desto mehr traumatisierte Soldaten werden anschließend in der Bundesrepublik zu behandeln sein. Winfried Eisenberg, pensionierter Arzt und Leiter der Herforder Regionalgruppe der IPPNW (Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung) hat dann auch mit besonderem Interesse die Veröffentlichung des Weißbuchs zur Sicherheitspolitik Deutschlands gelesen. Die Bundesregierung hat es Ende Oktober veröffentlicht. »Dies ist im Getöse um die am Hindukusch entstandenden Fotos deuscher Soldaten mit Skelet-Teilen fast unbemerkt geblieben«, sagt Eisenberg. Sein Fazit des Weißbuchs: Die Bundeswehr ist keine Verteidigungsarmee mehr. Dies steht zwar nach wie vor so im Grundgesetz. Praktisch aber entwickelt sich die Bundeswehr seit Beginn der 1990er Jahre zu einer weltweit kämpfenden Truppe.


Rohstoffe militärisch sichern

Mit dem von Verteidigunsminister Franz-Josef Jung herausgegebenen neuen Weißbuch, das letzte datierte von 1994, gibt die Bundesregierung ihre weltweiten Interessen nun auch das erste Mal offen zu. In dem Buch schreibt Jung, die Bundeswehr habe sich von einer Verteidigungsarmee zu einer »Armee im Einsatz« gewandelt. Verteidigt werden ganz offen »nationale Interessen«. Diese sind laut Weißbuch »die Sicherung des Wohlstands durch freien und ungehinderten Welthandel. Hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich besonders den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden«. »Das ist der Kern der Militärdoktrin, da hilft auch keine noch so blumenreichen Formulierungen über angebliche humanitäre oder Armut bekämpfende Ziele«, sagt Eisenberg.

Die Bundeswehr als geostrategische Kampftruppe, diejenigen, die das schon immer behauptet haben, finden den Beleg nun schwarz auf weiß in dem Weißbuch. Für Eisenberg ist das Weißbuch schlicht »friedensgefährdend«. Er wünscht sich ein »Goldbuch, in dem Abrüstung und nichtmilitärische Konfliktlösung konkret geplant werden«.