- Winfried Eisenberg (IPPNW), Veronika Engl und Inge Höger (Linkspartei) im Gespräch über die Kriege der Bundesrepublik
Von Manfred Horn
In
den vergangen drei Jahren hat sich die Zahl der traumatisierten
Bundeswehrsoldaten mehr als verdoppelt. Vor allem bei Soldaten, die in
Afghanistan im Einsatz sind, habe die Zahl deutlich zugenommen: 2003 habe die
Zahl noch bei 30 gelegen, 2005 schon bei 86 (WebWecker berichtete).
Für
die Bielefelder Psychotherapeutin Veronika Engl nicht aussergewöhnlich:
Forschungen haben gezeigt, dass rund ein Fünftel aller Soldaten im
Kriegseinsatz an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) erkranken,
manchmal unmittelbar danach, manchmal aber auch erst Jahrzehnte später. »Die
Störung kann nach Jahrzehnten wieder aktiv werden«, sagt Engl, die selbst
traumatisierte Soldaten behandelt und verweist damit auf Erfahrungen von
Menschen, die im zweiten Weltkrieg oder in Vietnam gekämpft haben.
PTSD
tritt auch in anderen Zusammenhängen auf, beispielsweise bei Umwelt- oder
Naturkatastrophen. Doch die Quote ist bei den direkt von Menschen verursachten
Ereignissen am höchsten. Neben der kriegerischen Auseinandersetzung tritt PTSD
auch bei allen anderen Formen körperlicher Gewalt auf, etwa bei
Vergewaltigungen oder schweren Verkehrsunfällen. Wer PTSD hat, erinnert sich an
das Ereignis in Träumen, auch am Tag in Form von sogenannten Flash-Backs. Es
kommt zu Schlafstörungen und gereiztem Verhalten. PTSD zeigt sich auch in
emotionaler Taubheit, die Betroffenen ziehen sich zurück. Die Erinnerungen
werden von rund drei Vierteln der Betroffenen betäubt mit Tabletten, Drogen und
Alkohol. Ziel ist es, einen Schutz zu entwickeln.
Die
Symptome sind behandelbar, doch dies kostet eine Menge Geld. »Da sind schnell
10.000 Euro und mehr pro Betroffenem weg«, weiß Engl. Hinzu kommen weitere Kosten, da an PTSD
Erkrankte arbeitsunfähig sind. Wird PTSD nicht behandelt, besteht sogar die
Gefahr, dass ein Teil der Betroffenen zu Tätern wird, um die Erfahrungen
abzuwehren.
Je
mehr Soldaten der Bundeswehr in Kriegseinsätze geschickt werden, desto mehr
traumatisierte Soldaten werden anschließend in der Bundesrepublik zu behandeln
sein. Winfried Eisenberg, pensionierter Arzt und Leiter der Herforder
Regionalgruppe der IPPNW (Internationalen Ärzte für die Verhütung des
Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung) hat dann auch mit besonderem
Interesse die Veröffentlichung des Weißbuchs zur Sicherheitspolitik Deutschlands
gelesen. Die Bundesregierung hat es Ende Oktober veröffentlicht. »Dies ist im
Getöse um die am Hindukusch entstandenden Fotos deuscher Soldaten mit
Skelet-Teilen fast unbemerkt geblieben«, sagt Eisenberg. Sein Fazit des
Weißbuchs: Die Bundeswehr ist keine Verteidigungsarmee mehr. Dies steht zwar nach wie vor so
im Grundgesetz. Praktisch aber entwickelt sich die Bundeswehr seit Beginn der
1990er Jahre zu einer weltweit kämpfenden Truppe.
Rohstoffe militärisch sichern
Mit
dem von Verteidigunsminister Franz-Josef Jung herausgegebenen neuen Weißbuch,
das letzte datierte von 1994, gibt die Bundesregierung ihre weltweiten
Interessen nun auch das erste Mal offen zu. In dem Buch schreibt Jung, die
Bundeswehr habe sich von einer Verteidigungsarmee zu einer »Armee im Einsatz«
gewandelt. Verteidigt werden ganz offen »nationale Interessen«. Diese sind laut
Weißbuch »die Sicherung des Wohlstands durch freien und ungehinderten
Welthandel. Hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit
Deutschlands, sich besonders den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und
Energieträger gefördert werden, zuzuwenden«. »Das ist der Kern der
Militärdoktrin, da hilft auch keine noch so blumenreichen Formulierungen über
angebliche humanitäre oder Armut bekämpfende Ziele«, sagt Eisenberg.
Die
Bundeswehr als geostrategische Kampftruppe, diejenigen, die das schon immer
behauptet haben, finden den Beleg nun schwarz auf weiß in dem Weißbuch. Für
Eisenberg ist das Weißbuch schlicht »friedensgefährdend«. Er wünscht sich ein
»Goldbuch, in dem Abrüstung und nichtmilitärische Konfliktlösung konkret
geplant werden«.