»Aber die Freiheit ist unteilbar! Also freie Männer dürfen
keine Sklaven neben sich dulden also auch keine Sklavinnen. Wir müssen den
redlichen Willen oder die Geisteskräfte aller Freiheitskämpfer in Frage
stellen, welche nur díe Rechte der Männer, aber nicht zugleich auch die der
Frauen vertreten. (...) Sie werden ewig zu den Halben gehören, und wenn sie
auch noch so stolz auf ihre entschiedene Gesinnung sein sollten,« so Louise
Otto, 1948, in »Die Frauen-Zeitung«, Jg.1, Nr.1. Eine eindeutige Position einer
Feministin der frühen Frauenbewegung, in ihrer Aussage auch heute nicht
bedeutungslos, auch wenn es aktuell vielleicht weniger überzeugte Genossen gibt
als zu ihrer Zeit.
Die Marburger Politologinnen Ingrid Kurz Scherf, Imke
Dzewas, Anja Lieb und Marie Reusch sind die Herausgeberinnen dieses Readers,
der sich insbesondere an StudentInnen richtet, die sich »erstmals mit der politischen Dimension des
Geschlechterverhältnisses bzw. mit den geschlechtspolitischen Dimensionen von
Politik und Politikwissenschaft« auseinandersetzen. So hoffen sie anhand der
ausgesuchten kurzen und prägnanten Texte eine grundlegende Annäherung an sowohl
historische als auch aktuelle feministische Debatte und Wissenschaft zu
ermöglichen und anzuregen. Die Auswahl erfolgte nach folgenden Kriterien: das
bearbeitete Thema sollte für die Frauenbewegung »relevant« sein, in früheren
und späteren Auseinandersetzungen »eine Rolle gespielt haben«, auch aktuell »interessant« sein und argumentieren. Insgesamt stammt der Großteil der Texte
von deutschsprachigen Autorinnen, wenige Ausnahmen sind z.B. die Italienerin
Rossana Rossanda, die Russin Alexandra Kollontai oder der Niederländerin Anja
Meulenbelt.
Aufgeteilt ist der Reader in drei Abschnitte: der erste Teil
bezieht sich auf die »frühe Frauenbewegung« beginnend mit der Französischen
Revolution und Olympe de Gouges und reicht bis in das frühe 20. Jahrhundert.
Vorgestellt werden u.a. Texte von Hedwig Dohm, Alexandra Kollontai, und Berta
von Suttner, die Themen sind so vielfältig wie die Hintergründe der
Aktivistinnen und reichen vom Wahlrecht für alle über Fragen der Sexualmoral
bis zu Antikriegspositionen. Deutlich werden die Differenzen zwischen den
unterschiedlichen Teilen der Frauenbewegung, des bürgerlichen und des eher
proletarisch orientierten Flügels, die aufgrund ihres ideologischen
Hintergrundes unterschiedliche, mitunter auch gegensätzliche Positionen
vertreten und verfolgen.
Im zweiten Teil geht es um die »Autonome Frauenbewegung«.
Die aufgeführten Texte wurden in der Mehrzahl in den 70er und 80er Jahren
veröffentlicht und stammen u.a. von Aktivistinnen und Theoretikerinnen wie Kate
Millett, Alice Schwarzer, Maria Mies, Anja Meulenbelt. In den Texten werden
relevante Themen wie »Frieden und Abrüstung«, »Reproduktionsarbeit« oder »Gewalt gegen Frauen« bearbeitet. Auch in diesem Teil werden Kontroversen
deutlich, die ungeklärt bleiben bzw. zu unterschiedlichen politischen
Einschätzungen und konkreten Strategien führen.
Der dritte Teil schließlich führt in die feministische
Politikwissenschaft an den Universitäten, ein. Die Herausgeberinnen stellen
fest, dass die Institutionalisierung feministischer Politikwissenschaft erst
seit den 90er Jahren voranschreitet. Es geht inhaltlich »vor allem um das
Freilegen geschlechtsspezifischer Konstruktionsprinzipien bestimmter Politikinhalte
felder, die diskriminierende Wirkung entfalten.« Einige der vorgestellten
Autorinnen sind Claudia von Braunmühl, Nancy Fraser und selbstverständlich
Judith Butler.
Der Reader liest sich spannend, ist spannungsgeladen
angesichts der Debatten und Kontroversen. Ein Beispiel: 1978 plädoyiert Alice
Schwarzer für den Zugang der Frauen zum Militär, dieser Position wird heftigst von Friedensaktivistinnen
widersprochen. Aktuell erscheint dieser Streit müßig angesichts der
(Kriegs)Einsätze bundesdeutscher Soldaten und Soldatinnen weltweit. Gleichzeitig wird diese Realität
durch die Texte nochmals grundsätzlich infrage gestellt. Dieses Beispiel macht
deutlich, wie grundsätzlich und schnell sich die BRD-Gesellschaft nicht nur
bezüglich der Frauenfrage gerade in den letzten 15 Jahren verändert hat, wie
sich die politischen Debatten aus den Alltag an die Universitäten verlagern und
damit in gewisser Weise auch elitär werden.
Die Texte aus der frühen und der autonomen Frauenbewegung
lesen sich in der Mehrzahl angenehm schwungvoll und kämpferisch, der Ton macht
Spaß und ermuntert, ermutigt! Leider fehlt die Auseinandersetzung der autonomen
Frauenbewegung im Hinblick auf Seperatismus und (eigenem) Rassismus und
Antisemitismus, die zu starken Kontroversen und Brüchen und vielen offenen
Fragen führte. Anja Meulenbelt beschäftigte sich ausführlich mit dieser Frage
und veröffentlichte ein interessantes Buch: »Scheidelinien, über Rassismus,
Seximus und Klassismus, 1993«. So fehlen in diesem Zusammenhang wichtige Hinweise
auf bekannte Feministinnen wie Bell Hooks oder May Ayim. Diese Debatte, die immer noch aktuell ist
angesichts der Verknüpfungen der Unterdrückungsverhältnisse Rassismus und
Sexismus gekoppelt mit der »Klassenfrage«. Deutlich wird dies z.B. am gesellschaftlichen
Umgang mit Illegalisierten, an der Debatte um die Haus- oder Pflegearbeit, als
Lektüre empfohlen sei Bridget Andersons »Doing the Dirty Work«, 2006,
Assoziation A.
Dennoch ein empfehlenswerter Titel, der seinem Anspruch Neugier zu
wecken, mit Sicherheit gerecht wird.
Ingrid Kurz-Scherf, Imke Dzewas, Anja Lieb,
Marie Reusch, »Reader Feministische Politik und Wissenschaft. Positionen,
Perspektiven, Anregungen aus Geschichte und Gegenwart«, Ulrike Helmer Verlag
2006, 259 S., 20 Euro
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