Von
Mario A. Sarcletti
Ende August legte das nordrhein-westfälische
Schulministerium einen »Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung
über die Ausbildung und die Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I« vor.
Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich vor allem eine neue Vorgabe darüber,
wie viele Stunden welches Fach in den Gymnasien unterrichtet wird. Die darin
enthaltenen Pläne für das Fach Politik, das jetzt Politik /Wirtschaft heißt, rufen
nun Proteste der Fachleute hervor.
Denn danach können in den Klassen 5-8 die Schulen
entscheiden, ob sie ihren Schülern politisches Wissen vermitteln, oder statt
dessen Erdkunde oder Geschichte. Denn der Entwurf sieht vor, dass die drei
Fächer als Lernbereich Gesellschaftswissenschaften zusammengefasst werden, dem
in den Klassen 5 und 6 insgesamt sechs Stunden und in der 7. bis 9. Klasse
zwölf Stunden gewidmet werden müssen. In welchem Umfang welches der drei Fächer
dabei unterrichtet wird, bleibt den Schulen überlassen. Zwingend vorgeschrieben
ist Politik/Wirtschaft nur in der neunten Klasse.
»Als Beitrag zur eigenverantwortlichen Schule soll auf die
Vorgabe von Mindeststundenzahlen für die Fächer des Lernbereichs
Gesellschaftslehre verzichtet werden«, begründet das Ministeriums den Verzicht
auf eine detailliertere Festlegung. Im Bereich Naturwissenschaften hingegen
gibt es die. »Alle Fächer des Lernbereichs Naturwissenschaften werden in Klasse
9 unterrichtet und müssen in der gesamten Sekundarstufe I mit jeweils
mindestens 6 Wochenstunden unterrichtet werden«, heißt es in der Stundentafel.
Die gleiche Vorgabe gab es für die Gesellschaftswissenschaften noch im Mai in
einem Erlass zur Stundentafel.
Dass sie im aktuellen Entwurf gestrichen wurde, ruft
Proteste der Fachleute hervor. So kritisiert der Vorsitzende der Deutschen
Vereinigung für Politische Bildung in NRW und Bielefelder Professor für
Wirtschaftswissenschaften, Stephan Thomas: »Wer geringe Wahlbeteiligung,
Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und Politikdistanz als Problem sieht, der
muss politische Bildung stärken, nicht schwächen.« Durch den aktuellen Entwurf
könnten jedoch nach Meinung der Vereinigung bis zu 80 Prozent des
Politikunterrichts entfallen.
Diese Befürchtung stützt sich auch darauf, dass Politik
überwiegend fachfremd unterrichtet wird, da Lehrer für dieses Fach Mangelware
sind. »Ökonomische und politische Bildung stünden fast völlig im Belieben der
Schulleitungen, die nach ihren Fachvorlieben, nach Stundenplanopportunitäten und
nach im Kollegium vorhandenen Lehrbefähigungen entscheiden könnten«,
kritisieren die Fachleute für Politische Bildung. Sie fordern eine Rücknahme
des Entwurfs und eine Mindeststundenzahl für das Fach Politik/Wirtschaft.
Der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität
Bielefeld schließt sich dieser Forderung an. »Politische Bildung ist ein
wichtiger Grundbaustein für das gesellschaftliche Zusammenleben in einem
demokratischen Rechtsstaat, diesen zu gefährden ist verantwortungslos«, heißt
es in einer Stellungnahme. Politische Bildung könne nicht durch
Geschichtsunterricht ersetzt werden. »Es ist nicht ausreichend nur die
Vergangenheit aufzuarbeiten, auch das aktuelle Tagesgeschehen sowie
unterschiedliche Weltsichten und politische Systeme müssen genau reflektiert
und analysiert werden«, finden die Studierendenvertreter, die über das
Landes-Asten-Treffen und andere Kanäle einen breiten Protest organisieren
wollen.