Webwecker Bielefeld: Politische Bildung in Gefahr (18.10.2006)

Politische Bildung in Gefahr (18.10.2006)



Von Mario A. Sarcletti

Ende August legte das nordrhein-westfälische Schulministerium einen »Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Ausbildung und die Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I« vor. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich vor allem eine neue Vorgabe darüber, wie viele Stunden welches Fach in den Gymnasien unterrichtet wird. Die darin enthaltenen Pläne für das Fach Politik, das jetzt Politik /Wirtschaft heißt, rufen nun Proteste der Fachleute hervor.

Denn danach können in den Klassen 5-8 die Schulen entscheiden, ob sie ihren Schülern politisches Wissen vermitteln, oder statt dessen Erdkunde oder Geschichte. Denn der Entwurf sieht vor, dass die drei Fächer als Lernbereich Gesellschaftswissenschaften zusammengefasst werden, dem in den Klassen 5 und 6 insgesamt sechs Stunden und in der 7. bis 9. Klasse zwölf Stunden gewidmet werden müssen. In welchem Umfang welches der drei Fächer dabei unterrichtet wird, bleibt den Schulen überlassen. Zwingend vorgeschrieben ist Politik/Wirtschaft nur in der neunten Klasse.

»Als Beitrag zur eigenverantwortlichen Schule soll auf die Vorgabe von Mindeststundenzahlen für die Fächer des Lernbereichs Gesellschaftslehre verzichtet werden«, begründet das Ministeriums den Verzicht auf eine detailliertere Festlegung. Im Bereich Naturwissenschaften hingegen gibt es die. »Alle Fächer des Lernbereichs Naturwissenschaften werden in Klasse 9 unterrichtet und müssen in der gesamten Sekundarstufe I mit jeweils mindestens 6 Wochenstunden unterrichtet werden«, heißt es in der Stundentafel. Die gleiche Vorgabe gab es für die Gesellschaftswissenschaften noch im Mai in einem Erlass zur Stundentafel.

Dass sie im aktuellen Entwurf gestrichen wurde, ruft Proteste der Fachleute hervor. So kritisiert der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung in NRW und Bielefelder Professor für Wirtschaftswissenschaften, Stephan Thomas: »Wer geringe Wahlbeteiligung, Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und Politikdistanz als Problem sieht, der muss politische Bildung stärken, nicht schwächen.« Durch den aktuellen Entwurf könnten jedoch nach Meinung der Vereinigung bis zu 80 Prozent des Politikunterrichts entfallen.

Diese Befürchtung stützt sich auch darauf, dass Politik überwiegend fachfremd unterrichtet wird, da Lehrer für dieses Fach Mangelware sind. »Ökonomische und politische Bildung stünden fast völlig im Belieben der Schulleitungen, die nach ihren Fachvorlieben, nach Stundenplanopportunitäten und nach im Kollegium vorhandenen Lehrbefähigungen entscheiden könnten«, kritisieren die Fachleute für Politische Bildung. Sie fordern eine Rücknahme des Entwurfs und eine Mindeststundenzahl für das Fach Politik/Wirtschaft.

Der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität Bielefeld schließt sich dieser Forderung an. »Politische Bildung ist ein wichtiger Grundbaustein für das gesellschaftliche Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat, diesen zu gefährden ist verantwortungslos«, heißt es in einer Stellungnahme. Politische Bildung könne nicht durch Geschichtsunterricht ersetzt werden. »Es ist nicht ausreichend nur die Vergangenheit aufzuarbeiten, auch das aktuelle Tagesgeschehen sowie unterschiedliche Weltsichten und politische Systeme müssen genau reflektiert und analysiert werden«, finden die Studierendenvertreter, die über das Landes-Asten-Treffen und andere Kanäle einen breiten Protest organisieren wollen.