Webwecker Bielefeld: JiB und JOB (27.09.2006)

JiB und JOB (27.09.2006)



Von Mario A. Sarcletti

Wie viele Jugendliche in Bielefeld zur Zeit noch einen Ausbildungsplatz suchen, ist unklar. Denn die neue Software bei der Agentur für Arbeit spuckt diese Zahlen nicht aus. »Aufgrund gestiegener Bewerberzahlen müssen wir aber davon ausgehen, dass noch mehr Jugendliche ohne einen Ausbildungsplatz sind, als im September 2005«, vermutet aber Christian Jacek, Sprecher der Agentur.

Den so geschätzten vierhundert Jugendlichen ohne berufliche Perspektive soll jetzt mit aller Macht geholfen werden. Der Rat der Stadt hat aufgrund der Probleme auf dem Ausbildungsmarkt Ende Juni »dringenden Handlungsbedarf« erkannt und beschlossen, die Beratungsleistungen für die Betroffenen zu konzentrieren. Die Verwaltung, genauer Sozial- und Schuldezernat, hat deshalb eine Vorlage erarbeitet, der der Rat am morgigen Donnerstag zustimmen soll. Das Konzept sieht eine breite Palette von Maßnahmen vor, unter anderem sollen Beratung und Qualifizierungsmaßnahmen für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Arbeitplus GmbH angesiedelt werden sollen, jeder Jugendliche soll dort einen Fallmanager erhalten. Damit betreut die Arbeitsgemeinschaft von Stadt und Arbeitsagentur auch die Jugendlichen, die noch keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, also Hartz IV, erhalten.

»Vor dem Hintergrund bestehender Defizite bei dem hier angesprochenen Personenkreis und nicht ausreichender Aufnahmekapazitäten des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes müssen auch öffentliche Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, subventionierte Ausbildungsplätze und Ausbildungsformen mit individuellen, niedrigschwelligen und modulhaft aufeinander abgestimmten Fördermaßnahmen geschaffen werden«, sieht die Verwaltungsvorlage vor. Fördern und Fordern lautet die Zauberformel auch für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz ergattern konnten, »ganzheitliche Beratung« soll ihnen zuteil werden.

Außerdem soll bei der REGE ein »Kompetenzzentrum Beruf und Bildung für Jugendliche und junge Erwachsene« gegründet werden. Die Gesellschaft soll »Qualifizierungen als Ausbildungsersatz« anbieten oder auch »Maßnahmen zur Überwindung von Marktbenachteiligung«, die Verwaltungsvorlage versteht unter »Marktbenachteiligung« zum Beispiel fehlende Sprachkenntnisse. Außerdem soll sie den Jugendlichen »Ausbildungstugenden« vermitteln, wie zum Beispiel Durchhaltevermögen oder die »Einordnung in betriebliche Hierarchien«. Für schulmüde Jugendliche sieht die Verwaltungsvorlage den Besuch einer Werkstattschule vor, wo sie durch »Lernen an der Werkbank« wieder zum Lernen motiviert werden sollen

Dokumentiert werden sollen diese Maßnahmen in einem »Job-Pass«. Dessen Grundlage soll ein fünftägiges Assessment sein. In dem Job-Pass sollen auch Selbsteinschätzungen und Bewertungen der Jugendlichen durch Lehrer oder Betriebe, in denen sie ein Praktikum absolvierten, enthalten sein. Den Job-Pass sollen die Ausbildungssuchenden dann bei Arbeitplus, aber auch bei potenziellen Arbeitgebern vorlegen. »Das Ding verfolgt dich bei der Jobsuche«, kritisiert Beate Niemeyer, Ratsfrau der PDS. »Da wird ein Kontrollmechanismus im schulischen Bereich in Gang gesetzt«, fügt sie hinzu. Dass das Ganze nicht freiwillig sein soll, ist ein weiterer Kritikpunkt. »Die Freiwilligkeit für die Jugendlichen ist nicht möglich, weil wir das sonst später teuer bezahlen müssen«, soll Dezernent Pohle der PDS zufolge im Schul- und Sportausschuss gesagt haben.


Kennen Achtklässler ihre Stärken?

Niemeyer findet auch, dass der Zeitpunkt des Assessments zu früh ist. Tatsächlich dürfte es für eine Achtklässlerin schwierig sein, die eigenen Stärken und Schwächen richtig einzuschätzen. Es ist auch fraglich, ob sie sich der Tragweite ihrer Angaben klar ist. Im Büro des Beigeordneten Pohle, woher die Vorlage stammt, kann man sich aber sogar vorstellen, dass das Persönlichkeitsprofil der zukünftigen Arbeitnehmer oder eben auch Arbeitslosen noch früher erstellt wird. »Das soll gleitend sein, das liegt auch an den Lehrern, wann die das machen«, sagte Amrei Bielemeier auf Anfrage.

Positiv an der Vorlage findet Beate Niemeyer die Idee eines Jugendhauses, in dem alle Angebote gebündelt werden sollen. Dort soll auch ein »Berufsintegrationsplan« durch den Fallmanager erstellt werden. Der Manager – einer soll für 75 Jugendliche zuständig sein – müsste dabei aber so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau sein. »Der muss pädagogische und psychologische Kompetenzen haben, Sozialarbeiter sein und sich auf dem Arbeitsmarkt auskennen«, beschreibt Niemeyer das Anforderungsprofil eines Fallmanagers. Eines wird er aber nicht können: Ausbildungsplätze backen, denn davon gibt es einfach zu wenig. »Das könnte der Engpass sein«, räumt auch Amrei Bielemeier ein. Es liege aber nicht in der Macht der Stadt Bielefeld, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und verweist auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen. So lange es aber nicht mehr Ausbildungsplätze gibt, könnte die Befürchtung wahr werden, die Beate Niemeyer angesichts des Zwangsassessments hegt: »Das läuft auf eine Aussiebung hinaus. Die wollen den dressierten Jugendlichen, der dann den Ausbildungsplatz kriegt, während hundert andere leer ausgehen«, schimpft sie.