Von
Mario A. Sarcletti
Wie viele Jugendliche in Bielefeld zur Zeit noch einen
Ausbildungsplatz suchen, ist unklar. Denn die neue Software bei der Agentur für
Arbeit spuckt diese Zahlen nicht aus. »Aufgrund gestiegener Bewerberzahlen
müssen wir aber davon ausgehen, dass noch mehr Jugendliche ohne einen
Ausbildungsplatz sind, als im September 2005«, vermutet aber Christian Jacek,
Sprecher der Agentur.
Den so geschätzten vierhundert Jugendlichen ohne berufliche
Perspektive soll jetzt mit aller Macht geholfen werden. Der Rat der Stadt hat
aufgrund der Probleme auf dem Ausbildungsmarkt Ende Juni »dringenden
Handlungsbedarf« erkannt und beschlossen, die Beratungsleistungen für die
Betroffenen zu konzentrieren. Die Verwaltung, genauer Sozial- und
Schuldezernat, hat deshalb eine Vorlage erarbeitet, der der Rat am morgigen
Donnerstag zustimmen soll. Das Konzept sieht eine breite Palette von Maßnahmen
vor, unter anderem sollen Beratung und Qualifizierungsmaßnahmen für alle
Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Arbeitplus GmbH angesiedelt werden
sollen, jeder Jugendliche soll dort einen Fallmanager erhalten. Damit betreut
die Arbeitsgemeinschaft von Stadt und Arbeitsagentur auch die Jugendlichen, die
noch keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, also Hartz IV, erhalten.
»Vor dem Hintergrund bestehender Defizite bei dem hier
angesprochenen Personenkreis und nicht ausreichender Aufnahmekapazitäten des
Ausbildungs- und Arbeitsmarktes müssen auch öffentliche Ausbildungs- und
Beschäftigungsmöglichkeiten, subventionierte Ausbildungsplätze und
Ausbildungsformen mit individuellen, niedrigschwelligen und modulhaft
aufeinander abgestimmten Fördermaßnahmen geschaffen werden«, sieht die
Verwaltungsvorlage vor. Fördern und Fordern lautet die Zauberformel auch für
Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz ergattern konnten, »ganzheitliche
Beratung« soll ihnen zuteil werden.
Außerdem soll bei der REGE ein »Kompetenzzentrum Beruf und
Bildung für Jugendliche und junge Erwachsene« gegründet werden. Die
Gesellschaft soll »Qualifizierungen als Ausbildungsersatz« anbieten oder auch
»Maßnahmen zur Überwindung von Marktbenachteiligung«, die Verwaltungsvorlage
versteht unter »Marktbenachteiligung« zum Beispiel fehlende Sprachkenntnisse.
Außerdem soll sie den Jugendlichen »Ausbildungstugenden« vermitteln, wie zum
Beispiel Durchhaltevermögen oder die »Einordnung in betriebliche Hierarchien«.
Für schulmüde Jugendliche sieht die Verwaltungsvorlage den Besuch einer Werkstattschule
vor, wo sie durch »Lernen an der Werkbank« wieder zum Lernen motiviert werden
sollen
Dokumentiert
werden sollen diese Maßnahmen in einem »Job-Pass«. Dessen Grundlage soll ein
fünftägiges Assessment sein. In dem Job-Pass sollen auch Selbsteinschätzungen
und Bewertungen der Jugendlichen durch Lehrer oder Betriebe, in denen sie ein
Praktikum absolvierten, enthalten sein. Den Job-Pass sollen die
Ausbildungssuchenden dann bei Arbeitplus, aber auch bei potenziellen
Arbeitgebern vorlegen. »Das Ding verfolgt dich bei der Jobsuche«, kritisiert
Beate Niemeyer, Ratsfrau der PDS. »Da wird ein Kontrollmechanismus im
schulischen Bereich in Gang gesetzt«, fügt sie hinzu. Dass das Ganze nicht
freiwillig sein soll, ist ein weiterer Kritikpunkt. »Die Freiwilligkeit für die
Jugendlichen ist nicht möglich, weil wir das sonst später teuer bezahlen
müssen«, soll Dezernent Pohle der PDS zufolge im Schul- und Sportausschuss
gesagt haben.
Kennen Achtklässler ihre Stärken?
Niemeyer
findet auch, dass der Zeitpunkt des Assessments zu früh ist. Tatsächlich dürfte
es für eine Achtklässlerin schwierig sein, die eigenen Stärken und Schwächen
richtig einzuschätzen. Es ist auch fraglich, ob sie sich der Tragweite ihrer
Angaben klar ist. Im Büro des Beigeordneten Pohle, woher die Vorlage stammt,
kann man sich aber sogar vorstellen, dass das Persönlichkeitsprofil der
zukünftigen Arbeitnehmer oder eben auch Arbeitslosen noch früher erstellt wird.
»Das soll gleitend sein, das liegt auch an den Lehrern, wann die das machen«,
sagte Amrei Bielemeier auf Anfrage.
Positiv an der Vorlage findet Beate Niemeyer die Idee eines
Jugendhauses, in dem alle Angebote gebündelt werden sollen. Dort soll auch ein
»Berufsintegrationsplan« durch den Fallmanager erstellt werden. Der Manager
einer soll für 75 Jugendliche zuständig sein müsste dabei aber so etwas wie
die eierlegende Wollmilchsau sein. »Der muss pädagogische und psychologische
Kompetenzen haben, Sozialarbeiter sein und sich auf dem Arbeitsmarkt
auskennen«, beschreibt Niemeyer das Anforderungsprofil eines Fallmanagers.
Eines wird er aber nicht können: Ausbildungsplätze backen, denn davon gibt es
einfach zu wenig. »Das könnte der Engpass sein«, räumt auch Amrei Bielemeier
ein. Es liege aber nicht in der Macht der Stadt Bielefeld, mehr
Ausbildungsplätze zu schaffen und verweist auf die gesamtgesellschaftliche
Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen. So lange es aber nicht mehr
Ausbildungsplätze gibt, könnte die Befürchtung wahr werden, die Beate Niemeyer
angesichts des Zwangsassessments hegt: »Das läuft auf eine Aussiebung hinaus.
Die wollen den dressierten Jugendlichen, der dann den Ausbildungsplatz kriegt,
während hundert andere leer ausgehen«, schimpft sie.