Webwecker Bielefeld: Dumm gelaufen (20.09.2006)

Dumm gelaufen (20.09.2006)



Auch am Stadtwerkekreisel standen vorwiegend linke Gegendemonstranten. Hier war die Situation zeitweise angespannt. Die Polizei griff einzelne Demoteilnehmer heraus (auf dem Bild unten rechts) und führte eine erkennungsdienstliche Behandlung durch

Von Mario A. Sarcletti

 Zu den Neonaziaufmärschen in Bielefeld, Gütersloh und Minden am vergangenen Samstag kann man nur sagen: Dumm gelaufen. Denn so richtig gelaufen sind die Rechtsextremen nicht. In Bielefeld waren sie vier Stunden nach Demobeginn gerade einmal zweihundert Meter weit gekommen, in Gütersloh schafften sie immerhin die Hälfte der bereits von der Polizei halbierten Marschroute und in Minden gab es einen Umzug um den Block, der dann an einem Schrottplatz endete.

Dass die Rechtsextremen nicht wie geplant »Gegen Sozialabbau und Rentenklau, für einen Nationalen Sozialismus« marschieren konnten, lag zum einen an Blockaden von Demokraten, die die geplanten Aufmarschrouten blockierten. In Bielefeld blockierten gut fünfhundert Menschen den Weg an der Ecke Schildescher Straße/Herforder Straße, etwa zweihundert Antifaschisten machten die Alternativroute Richtung Sudbrackstraße dicht.

Zum anderen sorgte eine besonnene, deeskalierende Einsatzstrategie des Bielefelder Polizeipräsidiums dafür, dass die Neonazis nicht wie gewünscht ihre Propaganda in die Städte tragen konnten. Eine Räumung der Blockaden wäre schwierig und unverhältnismäßig gewesen. Vor allem eine Räumung der Bahnunterführung an der Schildescher Straße wäre aufgrund der örtlichen Gegebenheiten sicherlich problematisch gewesen. Darüberhinaus waren weitere Blockaden von Anwohnern der August-Bebel-Straße zu erwarten, an der zudem noch das Umweltzentrum, das Welthaus und das Islamische Zentrum liegen.

Dass die Rechtsextremen überhaupt durch die Unterführung mussten, liegt auch daran, dass um 9 Uhr eine Mahnwache an dem Mahnmal vor dem Hauptbahnhof für die über Bielefeld deportierten Juden stattfand. »Indem wir hier auf dem Platz stehen, sorgen wir schon dafür, dass die Neonazis für ihren Aufmarsch nicht aus dem Haupteingang des Bahnhofs stolzieren können«, erklärte denn auch Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand in einer Rede. »Jetzt müssen sie sich durch den Hinterausgang verdrücken«, freute sich die Bielefelderin. Den Nazis gehe es nicht um soziale Gerechtigkeit, die sei lediglich ein Vehikel um Rassismus, Deutschtum, Volksgemeinschaft zu propagieren stellte sie klar. »Wenn sie von Gerechtigkeit reden, gilt: ›Nur für Deutsche‹«, fügte Buntenbach hinzu. »Wir dürfen die Nazis mit ihrer Sozialdemagogie nicht durchkommen lassen«, forderte sie. Am Samstag gelang das in Ostwestfalen im wahrsten Sinne des Wortes.

Während sie sprach, versammelten sich die ersten Rechtsextremen auf Bahnsteig 8 am Bielefelder Hauptbahnhof. Eigentlich war das Treffen für 10 Uhr geplant, etliche Teilnehmer des rechten Aufmarsches trafen aber erst eine Stunde später ein. Für eine weitere Verzögerung sorgte die Tatsache, dass einige der Ordner wegen Vorstrafen von der Polizei nicht akzeptiert wurden. So standen etwa 150 Neonazis bis kurz nach zwölf vor dem Neuen Bahnhofsviertel. Unter ihnen der Hamburger Christian Worch, der den Lautsprecherwagen stellte, und die Bielefelder Kameradschaftsführer Meinhard Otto Elbing und Bernd Stehmann. Die drei hoben den Altersschnitt der Kameraden beträchtlich an, die meisten Teilnehmer waren zwischen zwanzig und dreißig oder jünger.

 

Werbung für kriminelle Vereinigung

Sie waren großteils männlich und ohne Haare. Die T-Shirts, oder T-Hemden wie es in diesen Kreisen heißt, zeugten von ihrer Gesinnung. Ein Teilnehmer zeigte seine Verbundenheit zur Band Landser, die als erste Musikgruppe wegen »Bildung einer Kriminellen Vereinigung« verurteilt wurde. Andere – wie etwa Stehmann - präsentierten T-Shirts der Band »Skrewdriver«, deren Sänger die in Deutschland verbotene »Blood and Honor« Bewegung gründete. Auch ihrer Begeisterung für die Band »Störkraft« verliehen einige Teilnehmer Ausdruck. Die Rückseite dieses T-Shirts mit einem Textauszug der Band musste aber mit Jacken beziehungsweise Rucksack bedeckt werden.

Zu Beginn der Demonstration übte Alexander Hohensee aus Hamburg populistische Rhetorik. Da ging es um »Politikerdarsteller«, die sich nur selbst bereichern und Kredite in New York aufnehmen würden, um die Zinsen für Altschulden zu bezahlen. Er sprach vom »verdummten Volk«, das das zuließe und von verhungernden deutschen Familien. Zum Schluss seiner Rede machte Hohensee aber klar, worum es ihm und seinen Gesinnungsfreunden wirklich geht. »Es gibt nur eine einzige Alternative: Das ganze politische System muss weg, das ganze System BRD muss ausgetauscht werden«, sagte er. Welches System den Nazis stattdessen vorschwebt, machte bereits das Motto der Demonstration klar. »Für einen Nationalen Sozialismus« wollten die Rechtsextremen ja auf die Straße gehen.

Kurz nachdem der braune Haufen losmarschiert war, wurde er von der Polizei auch schon wieder gestoppt, da eine verbotene Parole skandiert wurde. Nach weiteren 100 Metern wurde der Zug wegen der Blockaden erneut gestoppt. Während die Polizeiführung das weitere Vorgehen beriet, warteten die Rechten auf der Straße zwischen einer Brachfläche und der Bahnlinie in der prallen Sonne. So manchen Kameraden verließen da die Kräfte, sodass die Demonstration eher nach einem Sit-in aussah.

Gegen vierzehn Uhr beendete der Versammlungsleiter Christian Menzer die trostlose Vorstellung, der Demozug machte kehrt und marschierte zurück zum Hintereingang des Bahnhofs. Auf dem Rückweg vermummten sich noch einige Neonazis mit ihren Palästinensertüchern, die Polizei wertete dies als eine Straftat und forderte per Lautsprecher die Nazis auf sich zu entmummen. Am Ishara traf die Gruppe schließlich noch auf einige Gegendemonstranten, die lautstark ihre Ablehnung bekundeten. Die ohnehin schon gefrusteten Nazis wollten die Antifaschisten angreifen, was zu Handgreiflichkeiten mit Polizeibeamten führte. Schließlich wurden die Neonazis in zwei Gruppen zu den Zügen Richtung Gütersloh und Minden geführt.

 

Zielort Schrottplatz

Aber auch in diesen beiden Städten vermasselten ihnen Demokraten den Tag. In Minden, wo auch die Stadt eine Demonstration gegen Rechts organisiert hatte, war es Nazigegnern gelungen in das Gebiet des Naziaufmarschs einzusickern. Da die Polizei so die Sicherheit der rechten Demonstranten nicht gewährleisten konnte, mussten die auf eine Alternativroute. Da ging es einmal um den Block, bevor das Aufmärschchen an einem Schrottplatz endete.

In Gütersloh, auch hier riefen ein breites Bündnis und die Bürgermeisterin zu Protesten auf, waren es vor allem Schüler, die die Aufmarschroute blockierten. Auch hier sah es die Polizei als unverhältnismäßig an, mit Gewalt die Blockade zu räumen. Wie in Bielefeld standen die Nazis längere Zeit in der Gegend herum, hörten ihre seltsame Musik und schwangen Reden.

Ein Redner - da er so schrie war er nur schwer zu verstehen - behauptete »in Bielefeld aufmarschiert« zu sein. Er räumte jedoch selbst ein, dass der Aufmarsch eher ein Stillstand war und drohte: »Wenn wir unseren Protest nicht auf die Straße tragen können, dann werden wir die Saalveranstaltungen von Gewerkschaften, Parteien und Kirchen aufsuchen«. Dort seien nur um die fünfzig Besucher und keine Polizei. Außerdem werde man Rechtsmittel gegen das Verhalten der Polizei einlegen. Gegen 18 Uhr gingen die Neonazis zurück zum Bahnhof, wo sie von Gegendemonstranten lautstark »verabschiedet« wurden.

Rechtliche Schritte gegen das Verhalten der Polizei will auch das »Büro für ungewöhnliche Maßnahmen« einlegen. Dass hatte Linke zur Teilnahme an der Demonstration gegen Sozialabbau und Rentenklau aufgefordert, da dies doch originär linke Themen seien und den Nazis das Thema »pupsegal« sei, wie es in einem Aufruf hieß. Die Strategie orientiert sich daran, dass vor allem in Ostdeutschland immer wieder Neonazis zum Teil mit Unterstützung der Polizei an Montagsdemos teilnehmen. Der Anmelder der Nazidemo, Christian Menzer, hatte daraufhin sogar eine Einladung an das »Büro« im Internet publiziert. Die Polizei wollte die Linken aber nur zur Demonstration lassen, wenn die vorher ihre Personalien abgeben und diese Christian Menzer vorgelegt werden. Das wollten die dann aber doch nicht.

Dieser Tunnel unter der Bahnlinie auf der Schildescher Straße war für die Neonazi-Demonstration nicht passierbar: Auf der anderen Seite blockierten rund 500 Demonstranten den Weg, die Polizei nahms gelassen
Frustriert: Nach mehreren Stunden ohne Bewegung mussten die Neonazis den Rückzug aus Bielefeld antreten