Von Manfred Horn
Als am Samstag eine Gruppe »nationale Sozialisten« gerade
die polizeilichen Auflagen hinter dem Bahnhof studierte, versammelten sich rund
3.000 Menschen auf dem Jahnplatz, um gegen die Anwesenheit der Neo-Nazis zu
protestieren. Aufgerufen hatte zu dieser Kundgebung ein breites Bündnis, das
vom Oberbürgermeister bis zum DGB reichte.
So hob Annelie Buntenbach, die seit Mai diesen Jahres im
DGB-Vorstand beschäftigt ist, in ihrer Rede auf der Abschlusskundgebung die
Intiative des Oberbürgermeisters Eberhard David hervor, Protest gegen die
Neo-Nazi-Demonstration zu organisieren. Keineswegs eine Selbstverständlichkeit,
gibt es doch inzwischen zahlreiche Städte in der Bundesrepublik, in denen
Neonazis aufmarschieren und die lokale Politik hilflos zuschaut.
David selbst erteilte jeglichem Extremismus in der Stadt
eine deutliche Absage. »Politischer Extremismus, Rassismus und Antisemitismus
haben bei uns keine Chance«, sagte David unter dem Beifall der Anwesenden.
David blieb damit auf CDU-Linie, die nicht zwischen Links- und
Rechtsextremismus unterscheidet. Dass die Demonstration der Neo-Nazis in
Bielefeld dennoch stattfinde, unterscheide »uns von dem, was die Extremisten
wollen«. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen, deswegen werde das
Demonstrationsrecht nicht abgeschafft.
Flagge zeigen als Bürgerpflicht
Regine Burg, Superintendentin der evangelischen Kirche in
Bielefeld, nahm in ihrer Rede Bezug auf Martin Luther King, der für die
Aufhebung der Rassentrennung plädierte und in seiner Rede vor dem Capitol 1963
die Gleichheit aller Menschen erklärte. Und Burg erinnerte an die Fußball-WM
2006 in Deutschland: »Da wurde auch hier auf dem Jahnplatz friedlich gefeiert«,
quasi als Ausweis gleichberechtigten Miteinanders. Rechte Demagogen hingegen
würden den Frust und die Perspektivlosigkeit vieler Menschen ausnutzen. Gegen
Rechtsextremismus Flagge zu zeigen, sei »Bürgerpflicht«. Burg hob besonders den
»offenen und friedlichen Dialog« mit Muslimen in Bielefeld hervor und freute
sich, dass die jüdische Gemeinde nun eine Synagoge erhalte, die der Größe der
heutigen Gemeinde entspreche.
Annelie Buntenbach, in Bielefeld seit langem als engagierte
Antifaschistin bekannt, freute sich über den breiten Protest gegen den
Neo-Nazi-Aufmarsch: »Marschierende Neo-Nazis sind bislang keine Normalität in
OWL. Dies soll auch so bleiben«, erklärte sie und verwies unter anderem auf die
Anwohner der August-Bebel-Straße, die sich mit Transparenten an ihren Häusern
gegen den Aufmarsch engagierten.
»Für eine freie und soziale Gesellschaft«
Über den Samstag hinaus sei jedoch langfristiges Engagement
gegen Rechtsextremismus nötig, alle gesellschaftlichen Gruppen müssten zu ihrer
Verantwortung stehen. Das Ziel laute »eine freie und soziale Gesellschaft«,
sagte Buntenbach. Zugleich verwies sie auf den gesellschaftlichen Nährboden,
der Neo-Nazismus entstehen lasse. »Die spalterische Missbrauchsdebatte gegen
ALG-II-Bezieher muss aufhören«, sagte sie. Alle Menschen müssten unabhängig
ihrer religiösen und ethnischen Herkunft gleichberechtigt an der Gesellschaft
teilhaben können. Sie erteilte jeglichen sozialdarwinistischen Modellen eine
Absage, die die Schwachen nicht mehr unterstütze. Zugleich forderte Buntenbach
einen Ausbau des Flüchtlingsschutzes.
Die Probleme sind nicht gelöst
Ein Kommentar von Peter Arndt
Für die Neonazi-Szene war der Samstag eine ziemliche Pleite. 150 Kameraden standen hinter dem Bahnhof herum, umgeben von grüner Wiese und
Polizei. Unverrichteter Dinge mussten sie wieder abziehen. Ein Erfolg eines
breiten Bündnisses, das vom Oberbürgermeister bis hin zur autonomen Antifa
reichte. Beide Seiten werden dies nicht gerne hören David hat mit
Linksradikalen genauso wenig am Hut wie die mit ihm. Doch offenbar war es
gerade die Mischung aus bürgerlichem und linkem Protest, der die
Polizeieinsatzleitung dazu bewog, die Neonazis auf Eis zu legen, respektive in
der Sonne schmoren zu lassen.
Bielefeld ist für Neonazis kein gutes Pflaster. Das Haus der
Nationalistischen Front in der Bleichstraße war in den 1980ern umkämpft,
schließlich musste es aufgegeben werden. Spätere Versuche, Kneipen als
Treffpunkte für Rechtsextreme auszubauen scheiterten ebenso an andauerndem
Protest. Doch es gibt sie, die Rechtsextremen in der Stadt. Manchmal tragen sie
lange Haare und sind nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Von
hier aus bereiten sie Aktionen in anderen Regionen Deutschlands vor. Und sicher
ist: Sie werden auch als Horde wiederkommen, um öffentlichen Raum zumindest für
ein paar Stunden für ihre braune Ideologie zu reklamieren.
Daraus folgen zwei Dinge: Einerseits ist antifaschistische
Arbeit immer nötig. Zumindest solange der Kampf um die Köpfe nicht gewonnen
ist. Andererseits, und dies folgert daraus, müssen die Zusammenhänge angegangen
werden, die eine Neonazi-Szene überhaupt erst entstehen lassen. Denn soziale,
ethnische und religiöse Ausgrenzung sind bis heute Alltag und sorgen erst für
Menschen, die so frustriert sind, dass sie bereit sind, sich in
menschenverachtende und extrem hierarchische Strukturen einzuordnen.
Grotesk wirkt da das Entsetzen der großen Parteien, wenn die
NPD in Mecklenburg Vorpommern in den Landtag zieht. Das Wahlvolk diejenigen,
die wählen dürfen: über 18 und deutsch, und diejenigen die wählen wollen, kaum
mehr die Hälfte der Berechtigten hat sich zu einem nicht geringen Teil für
die NPD entschieden. Die großen Parteien reagieren darauf hilflos: Einfach weil
sie den Menschen nicht viel zu bieten haben außer schönen Reden. Gebe es eine
Perspektive für die Menschen in Mecklenburg, würde sich der braune Spuck
schnell von selbst erledigen. Doch die große Frage ist, wie die
gesellschaftliche Elite, die auf Entsolidarisierung und Abbau des Sozialstaates
setzt, diese Perspektiven eröffnen kann.