Webwecker Bielefeld: Parfum

Duft im Bild



Das Parfum

Von Harald Manninga

Jede Menge Vorschuss-Gerede gab es wieder mal, als ruchbar wurde, dass der Roman verfilmt werden sollte. Vor allem: »unverfilmbar!« Und warum? – Zunächst mal, weil man die Rechte gar nicht bekäme: Der Autor der Romanvorlage, Patrick Süskind, wolle keine Verfilmung und damit basta. Zweitens, weil es ja immer noch kein Geruchskino gibt, und Parfum ohne Geruch, das geht ja nicht, dafür ist Film einfach das falsche Medium!

Als ob in einem Buch über ein Ungeheuer mit genialem Riechorgan die nötigen Gerüche besser rüberkämen! Überhaupt ist es auch besser, dass man das, was es da zu riechen gäbe, gar nicht so genau mitkriegt. In beiden Fällen, egal ob Buch oder Film. Alles eine Frage der Erzählweise, könnte man also dagegenhalten. Und das war dann der dritte kritische Einwurf gegen das Filmprojekt: Diesen Stoff kann man gar nicht filmisch erzählen!

Kann man doch! Tom Tykwer und Bernd Eichinger haben das gemacht! Und es scheint, dass die Rechtefrage, Einwand eins, dabei die größte Hürde war. Mehr als 15 Jahre hats gedauert, die zu nehmen. Die andern Hürden haben sie schneller geschafft.

 

Ein feinsinniges Ekel

Jean-Baptiste Grenouille ist ein Ausgestoßener. Das wird schon bei seiner Geburt klar, wo seine Mutter ihn auf dem Pariser Fischmarkt hinter ihrem Stand in die Welt geradezu spuckt, um ihn danach achtlos zwischen den Fischabfällen liegen und verrecken zu lassen. Er überlebt aber trotzdem, nicht zuletzt deshalb, weil der Schmutz und der Gestank auf diesem Markt im Paris des 18. Jahrhunderts dann doch zu aufdringlich sind, als dass man das einfach so hinter sich lassen könnte.

Grenouille kommt in ein schmutziges, stinkendes Waisenhaus, wird als Teenager an einen Gerber verkauft, um in dessen schmutziger, stinkender Werkstatt Leder zu bearbeiten, wo er sich, wer will es ihm verdenken, überhaupt nicht wohlfühlt. Er ist nämlich mit einem genialen Geruchssinn gesegnet oder verflucht, wie mans nimmt, und lebt überhaupt eigentlich nur in der Welt der Gerüche. Wo immer er die Gelegenheit bekommt, spürt er Düften nach, und davon gabs zu jener Zeit ja viele.

Sein Schicksal wendet sich, als es ihm gelingt, den einst berühmten aber jetzt etwas abgehalfterten Parfümhersteller Baldini von seinen Fähigkeiten zu überzeugen und von ihm lernt, wie man Gerüche konserviert. Fortan ist Grenouilles einziger Ehrgeiz, den betörendsten Duft der Welt zu komponieren. Dabei ist es der Duft, sprich der Körpergeruch der Frauen, der es ihm besonders angetan hat, und um an ihre lieblichen Ausdünstungen heranzukommen muss er also die vielversprechendsten Kandidatinnen jeweils umbringen, denn anders geben sie ihren Geruch nicht her. Das hat er gelernt, als sein erstes Versuchsobjekt, eine Prostituierte, sich ihm sogar gegen Bezahlung verweigert.

Ihm gelingt seine große Komposition, allerdings eben auf Kosten des Lebens von einem guten Dutzend Mädchen. Die Öffentlichkeit ist wegen dieses Serienmörders entsetzt. Ergreifen und verurteilen kann sie ihn jedoch erst, als sein Werk vollendet ist. Und bei der geplanten Hinrichtung zeigt sich, wie betörend das Parfum, das Grenouille geschaffen hat, wirklich ist.

 

Film oder Buch?

Kann es oft genug wiederholt werden? Ein Buch ist ein Buch und ein Film ist ein Film. Und beide wollen und müssen eben je als solche beurteilt werden. Vergleichsurteile der Art »das Buch war aber besser« gehören meist ins Reich der Fabel. Das Buch war anders, ja, aber einen Film nach einem Buch auf Grund seiner Andersartigkeit abkanzeln zu wollen, ist reichlicher Unsinn: ein schlechter Film wird »schlecht« allein dadurch, dass er womöglich ein schlechter Film ist! Aber nicht dadurch, dass er mit anderen erzählerischen Mitteln arbeitet als ein Buch und sich deshalb von ihm unterscheidet.

Also ist natürlich auch dieser Film anders als der inzwischen gute 20 Jahre alte Bestseller von Süskind, der ihm zugrunde liegt. Und als Film außerordentlich gelungen. Ganz billig war das nicht, diese Produktion ist mit 50 Millionen Euro die teuerste, die je von Deutschland aus (gedreht wurde jedoch zum größten Teil in Barcelona) in die Welt ging. Es hat sich aber jeder einzelne Cent gelohnt, denn dieser Film dürfte zum besten gehören, was sich je ein deutscher Regisseur (Tom Tykwer, »Lola rennt«) und ein deutscher Produzent (Bernd Eichinger, u.a. »Der Name der Rose«) – obzwar beides Leute von Weltrang in der Filmwelt – gemeinsam zu drehen getraut haben.

 

Wagnis mit Rückversicherung

Geld allein macht aber auch keinen guten Film, dazu braucht es schon etwas mehr. Und von diesem Etwas gibts hier reichlich. Dass hier zum Beispiel eine großartige Geschichte erzählt wird, muss wohl nicht erst betont werden, es sei denn, es hätte wirklich jemand noch nie von der Romanvorlage gehört. Dass man aber Dustin Hoffman für die Rolle des schon besagten Parfümeurs »Giuseppe Baldini« hat gewinnen können, dürfte als weiterer Geniestreich nach der Auswahl der Geschichte zu werten sein. Denn wenn er auch nur ca. ein Viertel des Films lang vorkommt: die Vorstellung, die er hier mit puderverschmiertem Rokoko-Gesicht abgibt, macht seinem Ruf mehr als Ehre. Gleiches gilt für Alan Rickman als Vater, dem Grenouille schon zwei Töchter ermordet hat, und der jetzt um das Leben seiner dritten Tochter bangt. Hierzulande vor allem als »Snape« in den Harry-Potter-Verfilmungen bekannt, kann er dem hiesigen Publikum mal zeigen, dass er wesentlich mehr drauf hat, als Kinder zu quälen. (Sofern man ihn nicht z.B. in »Robin Hood – König der Diebe« in der Rolle des Sheriff von Nottingham gebührend zur Kenntnis genommen hat. Auf Bösewichte abonniert, zeigt er hier mal liebendes Gefühl.)

Wirklich dolle wirds dann aber beim Darsteller des Grenouille: Ben Whishaw, den Tom Tykwer bei einer Vorstellung im Londoner »Old Vic Theatre« aufgetan hat. Äußerlich ziemlich weit entfernt vom buckligen, ekligen, unansehnlichen Grenouille des Buchs (s.o.) gibt er den naiv-besessenen Kämpfer für ein persönliches Ziel mit einer Eindringlichkeit, die schaudern macht. Und dieser fiesen Gestalt sogar Sympathien zukommen lässt, als hätte der Betrachter im Kinosessel wirklich an ihrer betörenden Duftkomposition schnüffeln dürfen.

Fast unnötig zu erwähnen, dass die tragenden weiblichen Rollen mit eher Unbekannten wie Karoline Herfurth als Obstverkäuferin, Rachel Hurd Wood als gefährdetes Töchterchen, aber auch der großen Corinna Harfouch als Parfümmacherin in der Provinz ebenfalls glänzend besetzt sind. Und die Stimme von Otto Sander als »Erzähler« hätte auch kaum besser gewählt sein können. (Auch wenn hierbei ein wenig zu augenfällig wird, dass das mit der Verfilmung wirklich nicht ganz einfach war und mit dem Einsatz eines Erzählers Lücken überbrückt werden sollten, die filmisch echt nicht mehr zu füllen waren: Wenn man sich schon eines »Erzählers« aus dem Off bemüht, dann sollte man ihn auch wohl konsequent einsetzen. Tut man aber nicht.)

 

Doch damit nicht genug...

... auch technisch lässt dieser Film nur wenig zu wünschen übrig. Hie und da ist zu lesen, dass die Kameraführung effekthascherisch daherkäme, z.B. bei etwaigen »Fahrten« in irgendwelche Nasenlöcher. Davon gibt es zwar ein paar, ansonsten kommt man aber mit erfrischend und erstaunlich wenig »Effekten« aus! Das meiste wird mit und durch große Nahaufnahmen der Gesichter und hin und wieder ein paar Totalen von Landschaft, Räumen oder Straßen gezeigt und erzählt. Solche Spärlichkeit im Ausdruck kann schiefgehen (wie z.B. bei »Flight Plan«, wo man das ja auch so versucht hat), Kameramann Frank Griebe macht daraus in diesem Fall aber ein erst recht besonderes Fest für die Augen. Und wie die entscheidende »Massenszene« am Ende choreografiert ist... Aber irgendwie opulent und sinnlich ist das ja sowieso alles, spielt schließlich im Rokoko, und das so gestochen scharf, dass selbst die Komparsen und ihre auf schlecht geschminkten Zähne immer mal für eine gelungene Nahaufnahme gut sind.

 

Der Kabarettist, Schauspieler und bekennende Sachse Uwe Steimle (»Polizeiruf 110«) sagte neulich in einer TV-Talkshow: »Jedor deutsche Fülm, deo was wiod, do soll man sisch freun drübor!«

Über »Das Parfum« kann man sich freuen, der ist nämlich wirklich was geworden.