Von Manfred Horn
Am Dienstag, 5. September, hat der neue Marktkauf an der
Arthur-Ladebeck-Straße seine Pforten für den gewöhnlichen Konsumenten zum
ersten Mal aufgeschlossen. Auf 22.000 Quadratmetern sind rund 20 Millionen Euro verbaut worden. Am Abend zuvor ließ es sich Oberbürgermeister Eberhard
David nicht nehmen, das SB-Warenhaus mit den sympathischen Papiertüten in einer
Feierstunde vor geladenen Gästen zu eröffnen. Die Werbung zuvor versprach die »neue
Filiale Nr.1«, und tatsächlich ist der Bau zumindest groß geworden. Die alte
Filiale an der benachbarten Friedrich-List-Straße ist seit Dienstag
geschlossen, das Gelände an den Oetker-Konzern verkauft, der nach eigenen
Angaben noch nicht weiß, was er mit der Fläche machen will.
Die Querelen mit den Anwohnern des neuen Marktkauf scheinen vergessen. Noch
im März fürchteten die eine gravierende Verkehrszunahme in der angrenzenden
Deckertstraße, Lärmschutzwände wurden gefordert. Auch machte das Gerücht die
Runde, dass in der Ladenpassage ein Sexshop einziehen könnte. Dies wurde von
vielen gerade wegen der räumlichen Nähe zu den von Bodelschwinghschen Anstalten
kritisiert. Schließlich konnten sich die Anwohner und das Marktkaufmanagement
auf Kompromisse einigen, der Sexshop kam definitiv nicht.
Er hätte auch schlecht gepasst zum Image eines Konzerns, der alljährlich
im August in Bielefeld eine große Ballon-Fiesta veranstaltet. In diesem Jahr
kamen so 30.000 Euro für die Elterninitiative krebskranker Kinder Ostwestfalen-Lippe
zusammen. Der neue Marktkauf wurde in nur fünf Monaten hochgezogen. Dies wurde
auch möglich, weil die Politik die Baupläne auf dem Gelände der ehemaligen
Seydel-Fabrik sehr schnell bearbeitet hatte manche meinten, zu schnell.
Die Eröffnung wird getrübt durch Massenentlassungen im Konzern, der bis 1.
Juli AVA (Allgemeine Handelsgesellschaft der Verbraucher AG) hieß und inzwischen
zum Edeka-Konzern gehört. Die Marktkauf Holding GmbH mit Sitz in Bielefeld gehört
mit einem Jahresumsatz von rund 5,6 Milliarden Euro zu den großen Unternehmen
des deutschen Einzelhandels. Marktkauf-Stammgebiet ist Ostwestfalen-Lippe, die
historischen Wurzeln reichen über regionale Konsumgenossenschaften bis ins Jahr
1892 zurück.
Sanierer hat vorher schon bei Spar entlassen
Wie erwartet worden war, greift der neue Marktkauf-Vorstand und
Arbeitsdirektor Stefan Schelo, der als knallharter Sanierer gilt, durch. Bevor
er im Auftrag von Edeka beim Marktkauf anheuerte, sanierte er die Spar-Kette,
um sie anschließend an Edeka zu verkaufen. Wie alle Sanierer, kennt er dabei
offenbar vor allem eine Lösung: Entlassungen. 1.400 der insgesamt 17.000 Stellen
sollen nach einem Aufsichtsratsbeschluss vom Dienstag wegfallen. Zugleich sollen weitere 1.800 kaufmännische Angestellte zu
gewerblichen Arbeitnehmern umgruppiert werden, die dann rund 20 Prozent weniger
verdienen würden. In welchem Umfang und wann die Entlassungen und Umgruppierungen umgesetzt werden, wird auch von den Verhandlungen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abhängen, die versuchen wird, möglichst viele Arbeitsplätze zu retten.
Ausgerechnet am 5. September, dem Tag der Eröffnung der neuen
Super-Filiale, hat der Vorstand in Bielefeld dem Aufsichtsrat sein
Sanierungskonzept vorgestellt. Die Stimmung unter den Beschäftigten ist
entsprechend: »Die gehen wohl erst in der neuen Filiale Sekt trinken und
anschließend beschließen sie Entlassungen«, meint ein Marktkaufmitarbeiter, der
nicht namentlich genannt werden will.
Kritik kommt nun erstmals auch aus Reihen Bielefelder Politiker. Der
Bielefelder SPD-Landtagsabgeordnete Günter Garbrecht ist zwar erklärter
Marktkauf-Fan: »In der Marktkauffiliale Friedrich-List-Straße habe ich immer
eingekauft«. Im nächsten Atemzug kritisiert er aber die drohenden Entlassungen.
Allein in Bielefeld sollen 400 Stellen betroffen sein. »Angesichts dieser
Tatsache fällt es mir schwer, bei Häppchen und Getränken die Filialeröffnung zu
feiern, wenn kurz danach Bielefelder Marktkauf- Mitarbeiterinnen und
-Mitarbeiter erfahren, dass sie entlassen werden oder von Gehaltskürzungen
betroffen sind. Deshalb bleibe ich der Eröffnungsveranstaltung fern«, erklärte
er am Montag.
Marktkauf droht mehreren Presseberichten zufolge nach 2005 mit gut 17
Millionen Euro Defizit ein Geschäftsjahr 2006 mit bis zu 150 Millionen Euro
Miesen. Vor allem die Baumarktsparte belastet das Handelsunternehmen. Hier
erwirtschaftete der Konzern alleine 2005 einen Fehlbetrag in zweistelliger
Millionenhöhe. Kritiker werfen dem Marktkauf eine falsche Firmenpolitik vor: Bis
vor kurzem setzte Marktkauf auf Expansion des Baumarktsegments. Noch im Jahr
2000 wurde in Bielefeld Brackwede ein 14.000 Quadratmeter großer Baumarkt
eröffnet. Doch die Baumarktbranche gilt in Deutschland längst als gesättigt,
und Marktkauf zieht vor der Konkurrenz wie Praktika (Metro), die mit immer
neuen Superrabatten Kunden locken, den Kürzeren. Auch der Expansionskurs ins
Ausland des Marktkauf war wohl ein einmaliges Abenteuer und Desaster. Die Neuansiedlung mit Lebensmittel- und Baumarkt in Moskau im Jahr 2003 erwies sich als
kostenspieliger Flop. Heute versucht Marktkauf, die dortige Filiale, die
einzige im Ausland, abzustoßen.
Edeka will mit dem rigiden Sparprogramm, das bei den Mitarbeitern ansetzt,
2008 wieder »nachhaltig« die Gewinnzone erreichen. Marktkauf kündigt ferner an,
künftig große Teile des Sortiments zu Diskountpreisen anzubieten. Ob Cash und
Carry angesichts der nach wie vor wie Pilze aus den Boden schießenden Lidl-, Aldi-
und Plus- Filialen allerdings die richtige Antwort ist, bleibt abzuwarten. Bisher
war die Kundschaft des Marktkauf eher in der Mittelschicht angesiedelt, der neue Marktkauf wirbt beispielsweise mit extra vielen Bio-Produkten. Das mittelschichtige Klientel wünscht aber, wenigstens alle paar Regale auch mal einen Mitarbeiter zu sehen, denn
man was fragen kann. Den Weg zu einem ordinären Supermarkt hat die
Marktkaufkette aber schon länger eingeschlagen: Vorbei die Zeiten, in denen mit
Dauerpreisen geworben wurde. Auch die offenbar obligatorische Rabattkarte, die
den Kunden vorgaucket, sie könnten Geld sparen, hat längst im Marktkauf Einzug
gehalten.
Offenbar will der Vorstand nun auch zehn der 150 Baumärkte schließen. Am
liebsten hätte Edeka alle Marktkaufbaumärkte abgestoßen, nach Presseberichten
fand sich aber kein Käufer. Auch die Optikerkette Krane, drittgrößter
Brillen-Filialist und Marktkauftochter, steht laut Gerüchten bald zum Verkauf.