Wie berichtet, wurden beim G8-Gipfel in Sankt Petersburg zwei
Bielefelder Journalisten inhaftiert, die eine Fahrradkarawane von
Globalisierungskritikern begleiteten. Angeblich hatten sie nachts gegen
ein Auto uriniert und wurden deshalb zu zehn Tagen Haft verurteilt. Der
Fall sorgte in Deutschland für Aufsehen, amnesty international und
Reporter ohne Grenzen schalteten sich ebenso ein, wie die Bielefelder
Bundestagsabgeordneten und Oberbürgermeister Eberhard David.
Schließlich wurden Eike Korfhage und Henning Wallerius vorzeitig aus
der Haft entlassen und abgeschoben. Inzwischen sind sie wieder in
Bielefeld eingetroffen, Mario A. Sarcletti sprach mit Eike Korfhage über seine Erlebnisse.
WebWecker: Eike, vielleicht kannst du erst einmal beschreiben, wie die Verhaftung in Sankt Petersburg ablief.
Eike Korfhage: Henning und ich waren auf der Suche nach
einem Internetcafe. Wir haben aber leider keines gefunden, haben dann
aber dank Public-Viewing noch das Elfmeterschießen des Fifa-Worldcups
sehen können. Als wir dann zu unserer Unterkunft zurückgekommen sind,
haben wir uns noch ein paar Minuten vor dem Haus unterhalten. Wenige
Sekunden nachdem Henning in der Wohnung angerufen hatte, damit uns die
Haustür geöffnet wird, ist die Miliz erschienen, hat nach unseren
Pässen gefragt und uns dann mitgenommen.
Es gab hier ja die Vermutung, dass die Wohnung schon länger beobachtet wurde. Was meinst du dazu?
Im Verfahren ist erwähnt worden, dass eine Wohnung beobachtet
wurde, so wie ich es verstanden habe, war das aber eine andere
Hausnummer. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es diese Wohnung war.
Ihr seid ja dann zur Miliz gebracht worden. Wie war das da?
Wir waren auf zwei verschiedenen Milizstationen. In der ersten war
Massenabfertigung, völlig überfüllte Zellen, Affenkäfige. Da wurden wie
am Fließband Fingerabdrücke genommen und wir wurden in eine Ecke
gestellt und uns wurde bedeutet zu warten. Da waren wir etwa eine
Stunde ohne Wasser, haben aber gesehen, dass andere Gefangenen Wasser
gebracht bekamen. Von einem haben wir dann eine halbe Flasche angeboten
bekommen, die wir auch gerne genommen haben. Nachdem das Protokoll
geschrieben wurde, sind wir zu einer anderen Station gebracht worden.
Die war komplett leer. Da sollten wir auf dem Flur warten, da befanden
sich zwei Stühle und die dritte Person, die uns die Tür öffnen sollte,
war inzwischen auch dahin gebracht worden. Wir hatten zu dritt also
zwei Stühle und den Fußboden um die Nacht zu verbringen. Ich habe immer
wieder nach einem Übersetzer gefragt und meinen Unmut kundgetan über
diese Situation. Dort haben wir etwa zwölf Stunden gewartet, ohne dass
uns Wasser zur Verfügung gestellt wurde, ohne dass wir über unsere
Rechte aufgeklärt wurden. Das war eine sehr ungewisse und schwierige
Situation für uns.
Beweise nicht ausreichend
Ihr wurdet dann ja einem Gericht vorgeführt. Wie lief das ab?
Das dauerte selbst, als das Konsulat da war, noch einige Stunden.
Da mussten unsere Pässe noch mehrmals begutachtet werden, ein Papier
musste noch von dem oder dem unterschrieben werden, das war ein
wahnsinniger Verwaltungsaufwand. Als wir dann bei dem ersten Gericht
waren, es sollte ja noch ein zweites folgen, kamen wir in den Saal und
es wurden die Unterlagen geprüft und die Richterin hat gesagt, dass das
nicht ausreicht, dass keine Beweise vorliegen. Es gab ja auch keine, es
gab nur die Aussagen der Polizisten. Die Richterin hat dann gesagt,
dass sie so kein Verfahren eröffnen kann. Wir wurden dann wieder auf
den Flur gebracht und während wir warteten, hat ein Gespräch hinter
verschlossenen Türen stattgefunden zwischen Staatsanwaltschaft, Miliz
und möglicherweise auch der Richterin.
Nach einiger Zeit wurden wir dann zu einem anderen Gericht gefahren. Da
war man dann etwas bereiter die Sache zu verhandeln. Letztendlich kam
es aber an diesem Abend zu keiner Verhandlung mehr, weil es zu spät
war. Uns wurde dann gesagt, dass wir auf freien Fuß gesetzt werden. Wir
haben uns gefreut, denn wir wollten erst mal schlafen. Wir sind, weil
wir auch keine Dokumente hatten, sofort zurück zu dieser Wohnung. Da
sind wir aber sofort von zwei Polizisten in Zivil abgefangen worden.
Die haben dann Henning gezwungen Kontakt mit den Leuten in der Wohnung
aufzunehmen und sie haben sich über uns Zugang zu der Wohnung
verschafft.
Was haben die dann in der Wohnung gemacht?
Die sind mit gezogener Waffe in die Wohnung rein und haben alle
Anwesenden mit gespreizten Beinen an die Wand gestellt und angefangen
in der Wohnung alles zu durchwühlen und Material zu suchen.
Es wurden ja auch einige russische G8-Kritiker verhaftet. Habt ihr mitbekommen, wie mit denen umgegangen wurde?
Wir haben im Gericht mitbekommen, dass einigen auch der Vorwurf
gemacht wurde, wild uriniert zu haben. Wir haben aber auch andere
Vorwürfe gehört wie »grob zu einem Polizisten sprechen« und wir haben
von drei Personen gehört, die zu fünfzehn Tagen verurteilt wurden, weil
sie die falschen Aufkleber in ihrem Rucksack getragen haben.
Ihr wurdet ja dann zu zehn Tagen verurteilt. Was ist dir da durch den Kopf gegangen?
Es war Unglaube.
Schutz durch Öffentlichkeit
Es gab ja hier auch die Befürchtung, dass die zehn Tage genutzt
werden, um etwas Neues gegen euch zu konstruieren. Wie seid ihr mit
dieser Angst umgegangen?
Das hat uns unsere Dolmetscherin gesagt, dass das passieren könnte.
Aber wie willst du damit umgehen. Ich stand da und dachte, das ist das
Schlimmste, was passieren kann. Andererseits hatte ich da schon das
Gefühl, dass durch die Pressekontakte und die vielen Informationen, die
wir über Hertz 87,9 rausgeben konnten, eine gewisse Öffentlichkeit
besteht und dass uns das möglicherweise schützen könnte.
Glaubst du, dass diese Öffentlichkeit dazu beigetragen hat, dass ihr so schnell wieder rausgekommen seid?
Ich glaube, das hat mit jeder einzelnen Person zu tun, die sich
engagiert hat. Mit jeder einzelnen Person, die diese Petition zum
Beispiel unterschrieben hat, mit jedem, der bei seinem
Bundestagsabgeordneten angerufen hat. Ich glaube da spielen eine Menge
Faktoren eine Rolle, da will ich jetzt niemanden hervorheben, ich
denke, wir können uns bei jedem bedanken, der irgendetwas für uns getan
hat.
Wie ist es den Leuten ergangen, die nicht dieses Netzwerk hatten, wie etwa dem Schweizer Adrian, der mit euch in der Zelle saß?
Das Netzwerk war ja für Adrian auch da, zumindest das der
russischen Aktivisten. Die haben ihn auch mit Nahrung versorgt. Aber
Adrian musste seine zehn Tage komplett absitzen. [Auch der Schweizer
soll öffentlich uriniert haben, und zwar, während er nach seiner
Verhaftung mit dem Fahrrad zur Miliz fuhr. M.A.S]
Psychoterror der Miliz
Wie waren die Haftbedingungen im Gefängnis?
Das muss man ganz klar trennen. Die Haftbedingungen in der
Milizstation und die im Gefängnis. Im Gefängnis waren die Wärter ok,
wir sind nicht misshandelt worden, es ist nichts passiert. Wir hatten
eine Sonderbehandlung, da gibt es nichts zu beklagen, außer natürlich
der geringe Ausgang, schlechte Ernährung, kein Zugang zu sauberem
Wasser. Aber dieser Milizaufenthalt war wesentlich schlimmer. Da hat
man auch gemerkt, dass diese Polizisten sich zum Teil einen Spaß daraus
gemacht haben und wir mussten und Kommentare anhören, die uns später
auch im Gericht noch verfolgt haben, so wie: »Ihr gehört nach
Sibirien«.