Webwecker Bielefeld: Freiheitsberaubung in Petersburg (09.08.2006)

Freiheitsberaubung in Petersburg (09.08.2006)



Wie berichtet, wurden beim G8-Gipfel in Sankt Petersburg zwei Bielefelder Journalisten inhaftiert, die eine Fahrradkarawane von Globalisierungskritikern begleiteten. Angeblich hatten sie nachts gegen ein Auto uriniert und wurden deshalb zu zehn Tagen Haft verurteilt. Der Fall sorgte in Deutschland für Aufsehen, amnesty international und Reporter ohne Grenzen schalteten sich ebenso ein, wie die Bielefelder Bundestagsabgeordneten und Oberbürgermeister Eberhard David. Schließlich wurden Eike Korfhage und Henning Wallerius vorzeitig aus der Haft entlassen und abgeschoben. Inzwischen sind sie wieder in Bielefeld eingetroffen, Mario A. Sarcletti sprach mit Eike Korfhage über seine Erlebnisse.


WebWecker: Eike, vielleicht kannst du erst einmal beschreiben, wie die Verhaftung in Sankt Petersburg ablief.

Eike Korfhage: Henning und ich waren auf der Suche nach einem Internetcafe. Wir haben aber leider keines gefunden, haben dann aber dank Public-Viewing noch das Elfmeterschießen des Fifa-Worldcups sehen können. Als wir dann zu unserer Unterkunft zurückgekommen sind, haben wir uns noch ein paar Minuten vor dem Haus unterhalten. Wenige Sekunden nachdem Henning in der Wohnung angerufen hatte, damit uns die Haustür geöffnet wird, ist die Miliz erschienen, hat nach unseren Pässen gefragt und uns dann mitgenommen.


Es gab hier ja die Vermutung, dass die Wohnung schon länger beobachtet wurde. Was meinst du dazu?

Im Verfahren ist erwähnt worden, dass eine Wohnung beobachtet wurde, so wie ich es verstanden habe, war das aber eine andere Hausnummer. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es diese Wohnung war.


Ihr seid ja dann zur Miliz gebracht worden. Wie war das da?

Wir waren auf zwei verschiedenen Milizstationen. In der ersten war Massenabfertigung, völlig überfüllte Zellen, Affenkäfige. Da wurden wie am Fließband Fingerabdrücke genommen und wir wurden in eine Ecke gestellt und uns wurde bedeutet zu warten. Da waren wir etwa eine Stunde ohne Wasser, haben aber gesehen, dass andere Gefangenen Wasser gebracht bekamen. Von einem haben wir dann eine halbe Flasche angeboten bekommen, die wir auch gerne genommen haben. Nachdem das Protokoll geschrieben wurde, sind wir zu einer anderen Station gebracht worden. Die war komplett leer. Da sollten wir auf dem Flur warten, da befanden sich zwei Stühle und die dritte Person, die uns die Tür öffnen sollte, war inzwischen auch dahin gebracht worden. Wir hatten zu dritt also zwei Stühle und den Fußboden um die Nacht zu verbringen. Ich habe immer wieder nach einem Übersetzer gefragt und meinen Unmut kundgetan über diese Situation. Dort haben wir etwa zwölf Stunden gewartet, ohne dass uns Wasser zur Verfügung gestellt wurde, ohne dass wir über unsere Rechte aufgeklärt wurden. Das war eine sehr ungewisse und schwierige Situation für uns.


Beweise nicht ausreichend

Ihr wurdet dann ja einem Gericht vorgeführt. Wie lief das ab?

Das dauerte selbst, als das Konsulat da war, noch einige Stunden. Da mussten unsere Pässe noch mehrmals begutachtet werden, ein Papier musste noch von dem oder dem unterschrieben werden, das war ein wahnsinniger Verwaltungsaufwand. Als wir dann bei dem ersten Gericht waren, es sollte ja noch ein zweites folgen, kamen wir in den Saal und es wurden die Unterlagen geprüft und die Richterin hat gesagt, dass das nicht ausreicht, dass keine Beweise vorliegen. Es gab ja auch keine, es gab nur die Aussagen der Polizisten. Die Richterin hat dann gesagt, dass sie so kein Verfahren eröffnen kann. Wir wurden dann wieder auf den Flur gebracht und während wir warteten, hat ein Gespräch hinter verschlossenen Türen stattgefunden zwischen Staatsanwaltschaft, Miliz und möglicherweise auch der Richterin.

Nach einiger Zeit wurden wir dann zu einem anderen Gericht gefahren. Da war man dann etwas bereiter die Sache zu verhandeln. Letztendlich kam es aber an diesem Abend zu keiner Verhandlung mehr, weil es zu spät war. Uns wurde dann gesagt, dass wir auf freien Fuß gesetzt werden. Wir haben uns gefreut, denn wir wollten erst mal schlafen. Wir sind, weil wir auch keine Dokumente hatten, sofort zurück zu dieser Wohnung. Da sind wir aber sofort von zwei Polizisten in Zivil abgefangen worden. Die haben dann Henning gezwungen Kontakt mit den Leuten in der Wohnung aufzunehmen und sie haben sich über uns Zugang zu der Wohnung verschafft.



Was haben die dann in der Wohnung gemacht?

Die sind mit gezogener Waffe in die Wohnung rein und haben alle Anwesenden mit gespreizten Beinen an die Wand gestellt und angefangen in der Wohnung alles zu durchwühlen und Material zu suchen.


Es wurden ja auch einige russische G8-Kritiker verhaftet. Habt ihr mitbekommen, wie mit denen umgegangen wurde?

Wir haben im Gericht mitbekommen, dass einigen auch der Vorwurf gemacht wurde, wild uriniert zu haben. Wir haben aber auch andere Vorwürfe gehört wie »grob zu einem Polizisten sprechen« und wir haben von drei Personen gehört, die zu fünfzehn Tagen verurteilt wurden, weil sie die falschen Aufkleber in ihrem Rucksack getragen haben.


Ihr wurdet ja dann zu zehn Tagen verurteilt. Was ist dir da durch den Kopf gegangen?

Es war Unglaube.


Schutz durch Öffentlichkeit

Es gab ja hier auch die Befürchtung, dass die zehn Tage genutzt werden, um etwas Neues gegen euch zu konstruieren. Wie seid ihr mit dieser Angst umgegangen?

Das hat uns unsere Dolmetscherin gesagt, dass das passieren könnte. Aber wie willst du damit umgehen. Ich stand da und dachte, das ist das Schlimmste, was passieren kann. Andererseits hatte ich da schon das Gefühl, dass durch die Pressekontakte und die vielen Informationen, die wir über Hertz 87,9 rausgeben konnten, eine gewisse Öffentlichkeit besteht und dass uns das möglicherweise schützen könnte.


Glaubst du, dass diese Öffentlichkeit dazu beigetragen hat, dass ihr so schnell wieder rausgekommen seid?

Ich glaube, das hat mit jeder einzelnen Person zu tun, die sich engagiert hat. Mit jeder einzelnen Person, die diese Petition zum Beispiel unterschrieben hat, mit jedem, der bei seinem Bundestagsabgeordneten angerufen hat. Ich glaube da spielen eine Menge Faktoren eine Rolle, da will ich jetzt niemanden hervorheben, ich denke, wir können uns bei jedem bedanken, der irgendetwas für uns getan hat.


Wie ist es den Leuten ergangen, die nicht dieses Netzwerk hatten, wie etwa dem Schweizer Adrian, der mit euch in der Zelle saß?

Das Netzwerk war ja für Adrian auch da, zumindest das der russischen Aktivisten. Die haben ihn auch mit Nahrung versorgt. Aber Adrian musste seine zehn Tage komplett absitzen. [Auch der Schweizer soll öffentlich uriniert haben, und zwar, während er nach seiner Verhaftung mit dem Fahrrad zur Miliz fuhr. M.A.S]


Psychoterror der Miliz

Wie waren die Haftbedingungen im Gefängnis?

Das muss man ganz klar trennen. Die Haftbedingungen in der Milizstation und die im Gefängnis. Im Gefängnis waren die Wärter ok, wir sind nicht misshandelt worden, es ist nichts passiert. Wir hatten eine Sonderbehandlung, da gibt es nichts zu beklagen, außer natürlich der geringe Ausgang, schlechte Ernährung, kein Zugang zu sauberem Wasser. Aber dieser Milizaufenthalt war wesentlich schlimmer. Da hat man auch gemerkt, dass diese Polizisten sich zum Teil einen Spaß daraus gemacht haben und wir mussten und Kommentare anhören, die uns später auch im Gericht noch verfolgt haben, so wie: »Ihr gehört nach Sibirien«.