Die nächste Gesundheitsreform steht an. Die Große Koalition sieht
darin ein großes Werk, nicht so die Opposition. Britta Haßelmann, grüne
Bundestagsabgeordnete aus Bielefeld, kritisiert, dass sich »SPD und CDU
wechselseitig von ihren eigenen Verhandlungsergebnissen» distanzieren.
Die Reform bedeute erhöhte Beiträge für die Versicherten, hingegen
würde die Pharmalobby geschont. Strukturreformen würden nicht
angestoßen.
Inge Höger, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei aus Herford,
sieht in der Gesundheitsreform, deren Eckpunkte gerade von der Großen
Koalition festgelegt wurden, einen »weiteren Schritt zur Zerschlagung
der solidarischen Krankenversicherung«. Im WebWecker-Interview
erläutert die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei
ihre Kritik an der Reform.
WebWecker: Die Halbwertszeit so genannter Jahrhundertreformen
nimmt ständig ab, zur Zeit diskutieren wir schon wieder Eckpunkte einer
neuen Gesundheitsreform.
Inge Höger: Das so genannte
Gesundheitsmodernisierungsgesetz, kurz GMG, der rot-grünen Koalition
trat bereits 2004 in Kraft. Es wurde tatsächlich als Jahrhundertreform
angekündigt und sollte die Beitragssätze in der gesetzlichen
Krankenversicherung senken und die Arbeitslosigkeit abbauen. Das Gesetz
hat keine zwei Jahre gehalten. Keine seiner Verheißungen ist
eingetreten. Im Gegenteil droht den gesetzlichen Krankenkassen 2007 ein
Defizit von 15 Milliarden Euro.
An dieser Stelle wird auf die häufig zitierte Kostenexplosion
verwiesen
Ursache ist keine Kostenexplosion, etwa aufgrund massenhaften
Leistungsmissbrauchs, sondern die Aushöhlung der Einnahmebasis: der
Rückgang der Löhne, wachsende Arbeitslosigkeit und Ausweitung prekärer
Beschäftigung wie Mini-, Midi und Ein-Euro-Jobs führen zu
Einnahmerückgängen des Sozialversicherungswesens.
So oder so für die Große Koalition ergibt sich erneuter Reformbedarf.
Im Koalitionsvertrag wurde eine Finanzreform angekündigt, über der
verschiedene Arbeitsgruppen gebrütet haben. Herausgekommen sind
Eckpunkte für eine Gesundheitsreform 2006, die für die Versicherten und
für die Beschäftigten im Gesundheitswesen nichts Gutes bedeuten. An der
Unterfinanzierung ändern sie nichts, und den Leistungserbringern
verlangen sie keine Zugeständnisse ab.
Was sind für Sie die Knackpunkte?
Zum einen sollen per Gesetz die Beitragssätze um 0,5 Prozent für
alle Kassen heraufgesetzt werden. Hier wird mit einem Handstreich die
Selbstverwaltung der Krankenkassen ausgehebelt. Die war bisher immer
aufgefordert, unter dem Stichwort der Senkung der Lohnkosten die
Beitragssätze zum Segen der Arbeitgeber zu reduzieren. Die Anhebung um
einen halben Prozentpunkt reicht gerade aus, um das Loch zu schließen,
das die große Koalition soeben gerissen hat, indem sie den
Steuerzuschuss aus der extra für diesen Zweck erhöhten Tabaksteuer und
der Erhöhung der Mehrwertsteuer strich. Damit bezahlen die gesetzlich
Versicherten faktisch einen Teil der Sanierung des Bundeshaushaltes.
Die Finanzierung der Gesundheitsausgaben wird nicht gesichert- weder
auf dem gegenwärtigen Niveau, noch für eine zukunftsfähige
Gesundheitsversorgung.
Was halten Sie von der Einrichtung eines Gesundheitsfonds?
Die Einrichtung eines Gesundheitsfonds gefährdet in hohem Maße das
umlagefinanzierte und weitgehend solidarisch funktionierende System der
gesetzlichen Krankenkassen. Dieser Gesundheitsfonds wird nicht nur ein
überflüssiges bürokratisches Monster. Er ist auch ein Instrument, um
die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen
endgültig abzuschaffen.
Diese Parität bröckelt doch schon länger
Die Parität wurde bereits unter der Kohl-Regierung durchbrochen,
indem Minister Seehofer umfangreiche Zuzahlungen der Versicherten
einführte. Unter Rot-Grün hat Ulla Schmidt mit dem GMG nicht nur die
Praxisgebühr eingeführt, sondern die Zuzahlungen auf Schwindel
erregende acht Milliarden Euro jährlich erhöht. Für Krankengeld und
Zahnersatz führte das GMG einen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent ein, der
allein von den Versicherten bezahlt wird. Insgesamt belaufen sich die
aus der Parität herausgenommen Mittel auf jährlich 22 Milliarden Euro.
Was passiert mit den übrig gebliebenen Kernbereichen?
In Zukunft sollen beide Seiten einen gleichen Beitragssatz in den
neuen Fond einzahlen, aus dem die Krankenkassen dann Kopfpauschalen
bekommen. Wenn die Kassen mit diesem Betrag nicht auskommen oder im
Wettbewerb um die niedrigsten Kosten nicht mithalten können, sollen
allein die Versicherten Zuschläge leisten. Zur Zeit ziehen die
Krankenkassen die Beiträge für die Kranken-, Renten- und
Arbeitslosenversicherung zusammen ein und verteilen sie. Es ist unklar,
ob nun weitere Einzugsbehörden geschaffen werden sollen.
Aber was soll dies Fondmodell denn eigentlich bringen?
Es wird behauptet, die Kassen würden so einem wirtschaftlicheren
Umgang mit ihren Mitteln gezwungen. Denn ihre Kunden, die Versicherten,
würden sich zur Konkurrenz verabschieden, wenn sie statt einen Bonus zu
erhalten, einen Zuschlag zu zahlen hätten.
Die Geschichte des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen zeigt
aber, dass die Krankenkassen vor allem um junge, gesunde und gut
verdienende Mitglieder konkurrieren. Denn diese zahlen die Beiträge,
verursachen aber nur geringe Ausgaben. Kassen mit vielen alten und
kranken Versicherten konnten bereits in der Vergangenheit nur
mithalten, wenn sie bei den Leistungen kürzten oder kostenträchtigen
Versicherten nahe legten, zu einer anderen Kasse zu wechseln. Dies wird
noch zunehmen, wenn der Wettbewerb nicht um die beste Versorgung,
sondern um den günstigsten Beitragssatz beziehungsweise keinen Zuschlag
gehen wird. Darüber hinaus werden dem Gesundheitssystem so weitere
Mittel entzogen werden, die eigentlich für eine zukunftsfähige
Versorgung nötig wären.
Begrüßen Sie die Teilfinanzierung aus Steuermitteln?
Die geplante Umstellung auf eine stärkere Steuerfinanzierung ist
mehr als fragwürdig. Mit dieser Ankündigung will die Bundesregierung
über die zu erwartende Finanzierungslücke der Krankenversicherung
hinwegtäuschen. Gerade hat sie den Steuerzuschuss für
versicherungsfremde Leistungen gestrichen und den Versicherten dadurch
höhere Belastungen aufgebürdet. Gleichzeitig kündigt sie an, in Zukunft
die Krankenversicherung der Kinder aus Steuermitteln finanzieren zu
wollen. Klar ist, dass dies 16 Milliarden Euro im Jahr kosten wird. Für
die Jahre 2008 und 2009 sollen aber nur 1,5 beziehungsweise 3
Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Wer soll die Differenz
zahlen?
Wäre es vom Grundsatz nicht sinnvoll, die Gesundheitsversorgung
verstärkt oder ausschließlich aus Steuermitteln zu betreiben?
So sinnvoll es erscheint, gesellschaftliche Aufgaben aus Steuern zu
finanzieren, so ist auch dies nur eine weitere Maßnahme, mit der die
Arbeitgeber aus der paritätischen Finanzierung entlassen werden sollen.
Die Arbeitgeber werden entlastet, während den gesetzlich Versicherten
eine Verlagerung der Beitragslast über Steuern wahrscheinlich wieder
über eine unsoziale Mehrwertsteuererhöhung droht.
Kommt es zu einer Zerschlagung der solidarischen Krankenversicherung?
Nicht wenn es nach uns geht. Aber ganz nebenbei wird den
Krankenkassen auch noch der Status einer Körperschaft öffentlichen
Rechtes entzogen. Sie sollen in Zukunft dem Handelsgesetzbuch
unterliegen und insolvenzfähig werden. Damit wird ihre Überführung in
private Versicherungen vollzogen.
Das ist vermutlich nicht der Wettbewerb, den Sie sich vorstellen?
Ganz sicher nicht. Bei der ganzen Diskussion über die Einführung
von Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Versicherungen
stellte sich bereits die Frage, wie Wettbewerb zwischen
Profitorientierung und Versorgungsauftrag, zwischen Risikobeitrag und
Umlagefinanzierung funktionieren kann. Nun wird die Privatisierung
eines seit über 100 Jahren gut funktionierenden paritätisch und
solidarisch finanzierten Systems der gesetzlichen Pflichtversicherung
eingeläutet. Das gilt es zu verhindern.