Webwecker Bielefeld: Drohung oder Versprechen? (12.07.2006)

Drohung oder Versprechen? (12.07.2006)






Diskutieren in der Uni-Halle: ( v.l.n.r) Veronika Schmidt-Lentzen (Gleichstellungbeauftragte), Janosch Stratemann (AStA-Vorsitz), Rektor Dieter Timmermann, Moderator Andreas Liebold, Christian Lindner (FDP-Generalsekretär NRW), Reinhard Kreckel (Institut für Hochschulforschung), Peter Kühnlein (Personalrat wissenschaftlicher Mitarbeiter)




Am vergangenen Mittwoch widmete sich die Universität Bielefeld mit einem »dies academicus«, einem Akademischen Tag, dem vom Land geplanten »Hochschulfreiheitsgesetz«. Die Beteiligung der Studierenden daran hielt sich jedoch in Grenzen. Neben der Hitze am »dies« war wohl auch die sehr sparsame Werbung für die Veranstaltungen für das geringe Interesse verantwortlich. AStA und Rektorat war es nicht gelungen, den Studierenden die Brisanz der Pläne von Minister Pinkwart zu vermitteln.


Von Mario A. Sarcletti

Kurz vor 10 Uhr war das riesige Audi Max der Universität am vergangenen Mittwoch noch völlig leer. Dabei hatte das Rektorat den Studierenden für diesen Tag frei gegeben. Beziehungsweise war eine entsprechende Rundmail des Rektorats von vielen Studierenden so verstanden worden, gemeint war das aber anders. Der Ausfall von Veranstaltungen beziehungsweise der Wegfall der Teilnahmepflicht sollte ihnen die Teilnahme am »dies academicus« ermöglichen. Viele Studierenden hatten dies offensichtlich falsch verstanden und nutzten den Akademischen Tag als Frei-Tag. Dabei wird das Gesetz ihre Hochschule massiv verändern. Die sollen nämlich keine Landeseinrichtung mehr, sondern eine Körperschaft Öffentlichen Rechts wie etwa die ARD werden. Dadurch sollen sie Finanzautonomie erhalten und Dienstherr der Mitarbeiter werden. Ein mindestens zur Hälfte extern besetzter Hochschulrat soll künftig die Geschicke der Hochschulen lenken, die durch Zielvereinbarungen mit dem Land festgelegt werden.

Der Akademische Tag begann mit einem Vortrag von Reinhard Kreckel, Soziologieprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Hochschulforschung. Bereits die Begrüßung des Referenten durch Rektor Dieter Timmermann machte klar, dass die Wissenschaftler an die Versprechungen des Gesetzes nicht so recht glauben, durch das Politiker von CDU und FDP blühende Hochschullandschaften am Horizont sehen. »Das so genannte Hochschulfreiheitsgesetz ist das Thema«, sagte Timmermann. Auch Kreckel konnte sich einen kleinen Seitenhieb auf den Namen des Gesetzes nicht verkneifen: »Man könnte über den Sprachgebrauch schmunzeln – in Niedersachsen heißt das übrigens Hochschuloptimierungsgesetz - und sich der Tagesordnung zuwenden«, sagte Kreckel.

Das wollte er aber dann ebenso wenig, wie sich konkret zu den Inhalten des Gesetzes äußern. Nach der Föderalismusreform sei er ja alles Landesfremder dazu nicht befugt. Lieber wollte Kreckel sich mit dem Grundgedanken auseinandersetzen. »Freiheit musste in der Geschichte immer erkämpft oder verteidigt werden«, stellte er in Frage, dass Freiheit per Dekret funktioniert. »Wenn Ministerialbeamte Autonomie empfehlen, muss einem das zu denken geben«, führte der Soziologe aus.

Er hatte für den Vortrag keinen neuen Text verfasst. Vielmehr wiederholte und kommentierte Kreckel Passagen aus der Rede, die er 1996 gehalten hatte, als er zum ersten westdeutschen Rektor einer ostdeutschen Hochschule ernannt worden war. Die Zuhörer sollten ihre eigenen Schlüsse in Bezug auf das Hochschulfreiheitsgesetz ziehen. Titel des Vortrags damals wie auch am »dies academicus« in Bielefeld zehn Jahre später war: »Akademische Freiheit – heute«. Damals war ihm vom scheidenden Rektor der Talar überreicht worden, erzählte Kreckel. Für ihn ein bewusstes Zeichen der Hochschulautonomie, das nach dem Ende der DDR an den Hochschulen wieder eingeführt wurde.

Kreckel wies darauf hin, dass der Rektor einer Universität immer – oder fast immer – Gleicher unter Gleichen gewesen sei, das Prinzip der Kollegialität und das Recht auf Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten sollte den Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, möglichst frei zu sein. Im Hauptberuf sei der Rektor Gelehrter gewesen, was sich auch an den Rektorenreden gezeigt habe, die meist Fachvorträge gewesen seien. Dass sich die Stellung der Hochschulleitung in den letzten Jahren änderte zeigten auch wiederum diese Reden, die sich inzwischen meist um hochschulpolitische Themen drehen. »Das sind heute professionalisierte Hochschulleitungen mit hochschulpolitischem Hintergrund«, erklärte Kreckel. Das Hochschulfreiheitsgesetz bedeutet einen weiteren Schritt in diese Richtung. Dem hauptberuflichen Rektor oder Präsidenten soll noch der extern gesteuerte Hochschulrat vorgesetzt werden.


Unterordnung der Wissenschaft problematisch

Reinhard Kreckel erläuterte auch aus soziologischer Sicht, warum das problematisch sein könnte. In Anlehnung an – wie sollte es in Bielefeld anders sein – Niklas Luhmann sprach er von der Ausdifferenzierung der Gesellschaft, von verschiedenen Systemen: Dem der Religion, der Wirtschaft, der Politik und eben dem der Wissenschaft. »Jede Unterordnung des Systems der Wissenschaft unter die Regeln der anderen Systeme hemmt die Erkenntnis«, betonte er. Und zitierte ausgerechnet ein Schreiben von Jürgen Rüttgers aus dem Jahr 1996. »Es müssen Freiheit und Eigenverantwortung der Wissenschaft gewahrt bleiben«, hatte der heutige NRW-Ministerpräsident damals geschrieben. Das Wissenschaftssystem könne am besten wirken, wenn andere Systeme möglichst wenig eingreifen würden, stimmte Kreckel dem damaligen »Zukunftsminister« zu.

Reinhard Kreckel nahm im Lauf des Tages auch an einer Podiumsdiskussion teil. Dabei unterstrich er noch einmal den Appell an die Hochschulen vom Vormittag, in der Auseinandersetzung um das Hochschulfreiheitsgesetz einen »langen Atem« zu haben: »Hochschulgesetze werden aufgrund wechselnder Mehrheiten selten älter als drei Jahre«, beschrieb er seine Erfahrung.

Dieter Timmermann erklärte bei der Diskussion auf Nachfrage von Moderator Andreas Liebold, dass einige personalrechtliche Aspekte des Gesetzesentwurfs positiv zu bewerten seien. Positiv sei auch, dass das ursprünglich vorgesehene Insolvenzrecht der Hochschulen gefallen sei. Er begrüßte im Gegensatz zu Kreckel auch den »langfristigen Trend zu hauptberuflichen Mitgliedern des Präsidiums«. Er bemängelte aber die Machtfülle für den Hochschulrat. »Viele Rektoren sind der Ansicht, dass die Kompetenzen von Senat und Hochschulrat umgekehrt werden müssen«, zeichnete er ein Meinungsbild aus der Landesrektorenkonferenz. Kritik gab es von Timmermann auch dafür, dass die Folgekosten der Reform unklar seien und forderte auch deshalb einen Aufschub des Gesetzes.

Christian Lindner, Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen, versprach, dass die Kosten durch Umschichtungen im Landeshaushalt kompensiert werden würden. Außerdem würde den Hochschulen im Land durch das Gesetz die Möglichkeit eröffnet Geld zu verdienen. »In den USA veranstalten die Universitäten in der Sommerpause ›Summer-Schools‹«, wusste der studierende Politiker. Er stellte auch in Abrede, dass der Senat entmachtet würde. Den Hochschulrat findet er als »Gremium, das nicht nur Gruppeninteressen vertritt« toll und meint: »Wir brauchen eine neue Form des Wissenschaftsmanagements«.




Protest auf der Straße gegen das Hochschulfreiheitsgesetz



Gar nicht so toll fand der AStA-Vorsitzende Janosch Stratemann die Pläne von Wissenschaftsminister Pinkwart. Mit der Prämisse des Gesetzes, ein effizienteres Hochschulsystem zu schaffen kann er sich noch anfreunden, erklärte aber auch: »Das leistet dieses Gesetz nicht«. Auch er bemängelte, dass Kosten für beziehungsweise Ausgleichszahlungen an die Hochschulen noch ungeklärt sind. Zudem kritisierte er, dass die »neue Struktur nach betriebswirtschaftlichem Muster in Richtung Rationalisierung« gehe. Die Freiheit von Forschung und Lehre könnte damit gefährdet und wirtschaftlich unrentable Fächer eingestellt werden.


Wettbewerb gleich weniger Fächer

Auch Klaus Böhme vom Hauptpersonalrat der in der Wissenschaft Beschäftigten befürchtet, dass der »knallharte Wettbewerb unter den Hochschulen« zu einer Einschränkung im Fächerangebot führt. Er begrüßte zwar, dass den Hochschulen mehr Autonomie zugewiesen werden soll. Aber auch von Seiten der Mitarbeiter gibt es vor allem Kritik an dem Gesetzesentwurf. Die bezieht sich unter anderem darauf, dass die Beschäftigten an den Hochschulen keine Landesbediensteten mehr sein sollen. Dass nach den Plänen des Ministeriums nur bereits bei Inkrafttreten des Hochschulfreiheitsgesetzes Beschäftigte den bisherigen Schutz genießen sollen, führe zu einer Zweiklassengesellschaft unter den Hochschulmitarbeitern. Während für die einen betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen seien, können neue Mitarbeiter bei wirtschaftlicher Schieflage gekündigt werden.

Christian Lindner wollten die Sorge der Beschäftigten nicht teilen: »Für die neuen Mitarbeiter eröffnet sich doch nicht der Raubtierkapitalismus«, findet der FDP-Generalsekretär von Nordrhein-Westfalen und erklärte allen Beteiligten: »Das Hochschulfreiheitsgesetz ist keine Drohung sondern ein Versprechen«. Die Betroffenen im Land, die sich mit dem Gesetzesentwurf befasst haben, sehen es offensichtlich anders. Die Bielefelder Studierenden sind wohl eher der Meinung von Christian Lindner oder haben vielleicht die Brisanz des Gesetzesvorhabens von Minister Pinkwart nicht erkannt. Zu einer Demonstration im Rahmen des dies academicus kamen auf jeden Fall nur gut fünfzig Studierende und zogen zügig vom Bahnhof zum Jahnplatz. »Wir sind nicht alle, es fehlen die im Freibad«, rief einer von ihnen.