Diskutieren in der Uni-Halle: ( v.l.n.r) Veronika
Schmidt-Lentzen (Gleichstellungbeauftragte), Janosch Stratemann
(AStA-Vorsitz), Rektor Dieter Timmermann, Moderator Andreas Liebold,
Christian Lindner (FDP-Generalsekretär NRW), Reinhard Kreckel (Institut
für Hochschulforschung), Peter Kühnlein (Personalrat wissenschaftlicher
Mitarbeiter)
Am vergangenen Mittwoch widmete sich die Universität Bielefeld
mit einem »dies academicus«, einem Akademischen Tag, dem vom Land
geplanten »Hochschulfreiheitsgesetz«. Die Beteiligung der Studierenden
daran hielt sich jedoch in Grenzen. Neben der Hitze am »dies« war wohl
auch die sehr sparsame Werbung für die Veranstaltungen für das geringe
Interesse verantwortlich. AStA und Rektorat war es nicht gelungen, den
Studierenden die Brisanz der Pläne von Minister Pinkwart zu vermitteln.
Von Mario A. Sarcletti
Kurz vor 10 Uhr war das riesige Audi Max der Universität am
vergangenen Mittwoch noch völlig leer. Dabei hatte das Rektorat den
Studierenden für diesen Tag frei gegeben. Beziehungsweise war eine
entsprechende Rundmail des Rektorats von vielen Studierenden so
verstanden worden, gemeint war das aber anders. Der Ausfall von
Veranstaltungen beziehungsweise der Wegfall der Teilnahmepflicht sollte
ihnen die Teilnahme am »dies academicus« ermöglichen. Viele
Studierenden hatten dies offensichtlich falsch verstanden und nutzten
den Akademischen Tag als Frei-Tag. Dabei wird das Gesetz ihre
Hochschule massiv verändern. Die sollen nämlich keine Landeseinrichtung
mehr, sondern eine Körperschaft Öffentlichen Rechts wie etwa die ARD
werden. Dadurch sollen sie Finanzautonomie erhalten und Dienstherr der
Mitarbeiter werden. Ein mindestens zur Hälfte extern besetzter
Hochschulrat soll künftig die Geschicke der Hochschulen lenken, die
durch Zielvereinbarungen mit dem Land festgelegt werden.
Der Akademische Tag begann mit einem Vortrag von Reinhard Kreckel,
Soziologieprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
und Direktor des Instituts für Hochschulforschung. Bereits die
Begrüßung des Referenten durch Rektor Dieter Timmermann machte klar,
dass die Wissenschaftler an die Versprechungen des Gesetzes nicht so
recht glauben, durch das Politiker von CDU und FDP blühende
Hochschullandschaften am Horizont sehen. »Das so genannte
Hochschulfreiheitsgesetz ist das Thema«, sagte Timmermann. Auch Kreckel
konnte sich einen kleinen Seitenhieb auf den Namen des Gesetzes nicht
verkneifen: »Man könnte über den Sprachgebrauch schmunzeln in
Niedersachsen heißt das übrigens Hochschuloptimierungsgesetz - und sich
der Tagesordnung zuwenden«, sagte Kreckel.
Das wollte er aber dann ebenso wenig, wie sich konkret zu den
Inhalten des Gesetzes äußern. Nach der Föderalismusreform sei er ja
alles Landesfremder dazu nicht befugt. Lieber wollte Kreckel sich mit
dem Grundgedanken auseinandersetzen. »Freiheit musste in der Geschichte
immer erkämpft oder verteidigt werden«, stellte er in Frage, dass
Freiheit per Dekret funktioniert. »Wenn Ministerialbeamte Autonomie
empfehlen, muss einem das zu denken geben«, führte der Soziologe aus.
Er hatte für den Vortrag keinen neuen Text verfasst. Vielmehr
wiederholte und kommentierte Kreckel Passagen aus der Rede, die er 1996
gehalten hatte, als er zum ersten westdeutschen Rektor einer
ostdeutschen Hochschule ernannt worden war. Die Zuhörer sollten ihre
eigenen Schlüsse in Bezug auf das Hochschulfreiheitsgesetz ziehen.
Titel des Vortrags damals wie auch am »dies academicus« in Bielefeld
zehn Jahre später war: »Akademische Freiheit heute«. Damals war ihm
vom scheidenden Rektor der Talar überreicht worden, erzählte Kreckel.
Für ihn ein bewusstes Zeichen der Hochschulautonomie, das nach dem Ende
der DDR an den Hochschulen wieder eingeführt wurde.
Kreckel wies darauf hin, dass der Rektor einer Universität immer oder
fast immer Gleicher unter Gleichen gewesen sei, das Prinzip der
Kollegialität und das Recht auf Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten
sollte den Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, möglichst frei zu
sein. Im Hauptberuf sei der Rektor Gelehrter gewesen, was sich auch an
den Rektorenreden gezeigt habe, die meist Fachvorträge gewesen seien.
Dass sich die Stellung der Hochschulleitung in den letzten Jahren
änderte zeigten auch wiederum diese Reden, die sich inzwischen meist um
hochschulpolitische Themen drehen. »Das sind heute professionalisierte
Hochschulleitungen mit hochschulpolitischem Hintergrund«, erklärte
Kreckel. Das Hochschulfreiheitsgesetz bedeutet einen weiteren Schritt
in diese Richtung. Dem hauptberuflichen Rektor oder Präsidenten soll
noch der extern gesteuerte Hochschulrat vorgesetzt werden.
Unterordnung der Wissenschaft problematisch
Reinhard Kreckel erläuterte auch aus soziologischer Sicht, warum
das problematisch sein könnte. In Anlehnung an wie sollte es in
Bielefeld anders sein Niklas Luhmann sprach er von der
Ausdifferenzierung der Gesellschaft, von verschiedenen Systemen: Dem
der Religion, der Wirtschaft, der Politik und eben dem der
Wissenschaft. »Jede Unterordnung des Systems der Wissenschaft unter die
Regeln der anderen Systeme hemmt die Erkenntnis«, betonte er. Und
zitierte ausgerechnet ein Schreiben von Jürgen Rüttgers aus dem Jahr
1996. »Es müssen Freiheit und Eigenverantwortung der Wissenschaft
gewahrt bleiben«, hatte der heutige NRW-Ministerpräsident damals
geschrieben. Das Wissenschaftssystem könne am besten wirken, wenn
andere Systeme möglichst wenig eingreifen würden, stimmte Kreckel dem
damaligen »Zukunftsminister« zu.
Reinhard Kreckel nahm im Lauf des Tages auch an einer
Podiumsdiskussion teil. Dabei unterstrich er noch einmal den Appell an
die Hochschulen vom Vormittag, in der Auseinandersetzung um das
Hochschulfreiheitsgesetz einen »langen Atem« zu haben:
»Hochschulgesetze werden aufgrund wechselnder Mehrheiten selten älter
als drei Jahre«, beschrieb er seine Erfahrung.
Dieter Timmermann erklärte bei der Diskussion auf Nachfrage von
Moderator Andreas Liebold, dass einige personalrechtliche Aspekte des
Gesetzesentwurfs positiv zu bewerten seien. Positiv sei auch, dass das
ursprünglich vorgesehene Insolvenzrecht der Hochschulen gefallen sei.
Er begrüßte im Gegensatz zu Kreckel auch den »langfristigen Trend zu
hauptberuflichen Mitgliedern des Präsidiums«. Er bemängelte aber die
Machtfülle für den Hochschulrat. »Viele Rektoren sind der Ansicht, dass
die Kompetenzen von Senat und Hochschulrat umgekehrt werden müssen«,
zeichnete er ein Meinungsbild aus der Landesrektorenkonferenz. Kritik
gab es von Timmermann auch dafür, dass die Folgekosten der Reform
unklar seien und forderte auch deshalb einen Aufschub des Gesetzes.
Christian Lindner, Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen,
versprach, dass die Kosten durch Umschichtungen im Landeshaushalt
kompensiert werden würden. Außerdem würde den Hochschulen im Land durch
das Gesetz die Möglichkeit eröffnet Geld zu verdienen. »In den USA
veranstalten die Universitäten in der Sommerpause Summer-Schools«,
wusste der studierende Politiker. Er stellte auch in Abrede, dass der
Senat entmachtet würde. Den Hochschulrat findet er als »Gremium, das
nicht nur Gruppeninteressen vertritt« toll und meint: »Wir brauchen
eine neue Form des Wissenschaftsmanagements«.
Protest auf der Straße gegen das Hochschulfreiheitsgesetz
Gar nicht so toll fand der AStA-Vorsitzende Janosch Stratemann die
Pläne von Wissenschaftsminister Pinkwart. Mit der Prämisse des
Gesetzes, ein effizienteres Hochschulsystem zu schaffen kann er sich
noch anfreunden, erklärte aber auch: »Das leistet dieses Gesetz nicht«.
Auch er bemängelte, dass Kosten für beziehungsweise Ausgleichszahlungen
an die Hochschulen noch ungeklärt sind. Zudem kritisierte er, dass die
»neue Struktur nach betriebswirtschaftlichem Muster in Richtung
Rationalisierung« gehe. Die Freiheit von Forschung und Lehre könnte
damit gefährdet und wirtschaftlich unrentable Fächer eingestellt
werden.
Wettbewerb gleich weniger Fächer
Auch Klaus Böhme vom Hauptpersonalrat der in der Wissenschaft
Beschäftigten befürchtet, dass der »knallharte Wettbewerb unter den
Hochschulen« zu einer Einschränkung im Fächerangebot führt. Er begrüßte
zwar, dass den Hochschulen mehr Autonomie zugewiesen werden soll. Aber
auch von Seiten der Mitarbeiter gibt es vor allem Kritik an dem
Gesetzesentwurf. Die bezieht sich unter anderem darauf, dass die
Beschäftigten an den Hochschulen keine Landesbediensteten mehr sein
sollen. Dass nach den Plänen des Ministeriums nur bereits bei
Inkrafttreten des Hochschulfreiheitsgesetzes Beschäftigte den
bisherigen Schutz genießen sollen, führe zu einer
Zweiklassengesellschaft unter den Hochschulmitarbeitern. Während für
die einen betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen seien, können
neue Mitarbeiter bei wirtschaftlicher Schieflage gekündigt werden.
Christian Lindner wollten die Sorge der Beschäftigten nicht teilen:
»Für die neuen Mitarbeiter eröffnet sich doch nicht der
Raubtierkapitalismus«, findet der FDP-Generalsekretär von
Nordrhein-Westfalen und erklärte allen Beteiligten: »Das
Hochschulfreiheitsgesetz ist keine Drohung sondern ein Versprechen«.
Die Betroffenen im Land, die sich mit dem Gesetzesentwurf befasst
haben, sehen es offensichtlich anders. Die Bielefelder Studierenden
sind wohl eher der Meinung von Christian Lindner oder haben vielleicht
die Brisanz des Gesetzesvorhabens von Minister Pinkwart nicht erkannt.
Zu einer Demonstration im Rahmen des dies academicus kamen auf jeden
Fall nur gut fünfzig Studierende und zogen zügig vom Bahnhof zum
Jahnplatz. »Wir sind nicht alle, es fehlen die im Freibad«, rief einer
von ihnen.