Webwecker Bielefeld: Hochschulgängelungsgesetz? (05.07.2006)

Hochschulgängelungsgesetz? (05.07.2006)






Bestimmen künftig Personen, die nicht mit der Uni zu tun haben, deren Geschicke? Es diskutierten (v.l.n.r) Neithard Bulst (Vorsitzender des
Senats der Uni), Michael Stückradt (Staatssekretär), Christoph
Dammermann (Moderator und ehem. Mitlglied des FDP-Landesvorstands),
Janosch Stratemann (AStA-Vorsitzender)





Nachdem das Land Nordrhein-Westfalen mit der Einführung von Studiengebühren einen ersten radikalen Kurswechsel in der Hochschulpolitik vollzogen hat, soll zum 1. Januar der nächste folgen. Denn dann soll das »Hochschulfreiheitsgesetz« in Kraft treten. Aus den Hochschulen gibt es Widerstand, anders als bei den Studiengebühren sind sich Hochschulleitungen und Studierendenvertretungen in ihrer Kritik an dem Gesetzesentwurf einig. Der stellte sich am vergangenen Mittwoch der Staatssekretär im Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Michael Stückradt, bei einer Podiumsdiskussion in der Uni Bielefeld.


Von Mario A. Sarcletti

Was von der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung als Podiumsdiskussion geplant war, wurde in der vergangenen Woche zu einer öffentlichen Expertenanhörung. Denn zu der Veranstaltung kamen vor allem Mitglieder des Senats der Uni Bielefled, Professoren und Mitglieder von Hochschulgruppen. Auch Rektor und Kanzler der Universität waren gekommen, um Michael Stückradt, Staatssekretär im Ministerium Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, ihre Probleme mit dem Entwurf des »Hochschulfreiheitsgesetzes« zu erläutern.

Dass sich nur etwa zwei Dutzend Interessierte zu der Podiumsdiskussion einfanden, liegt zum einen sicherlich daran, dass das Thema sperrig ist, Gesetzesentwürfe sind nun mal nicht die ideale Abendgestaltung. Zum anderen lag das geringe Interesse der (Hochschul-) Öffentlichkeit aber wohl auch daran, dass die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung nur sehr zaghaft für die Veranstaltung geworben hatte. Angesichts der Tatsache, dass es von verschiedenen Seiten Kritik an dem Gesetzesvorhaben des FDP-Ministers Andreas Pinkwart hagelt, vielleicht kein Zufall.

Werbung machte die Naumann-Stiftung dafür bei der Podiumsdiskussion für ihr Anliegen. Vor und im Hörsaal vermittelten Plakate worum es der Stiftung und wohl auch Minister Pinkwart mit dem Hochschulfreiheitsgesetz geht. »Bessere Bildung durch Freiheit und Wettbewerb« lautet das (neo)liberale Credo. »Wir brauchen bessere Chancen im Wettbewerb«, begründete Michael Stückradt denn auch die Pläne von »Innovationsminister« Andreas Pinkwart für die Hochschulen. Und die Chancen im Wettbewerb lägen eben in der Autonomie der Hochschulen, die diese in den vergangenen Jahren schließlich immer wieder gefordert hätten.


Noch weniger Mitbestimmung für Studierende

Mit dem Gesetz sollen die Hochschulen von Landeseinrichtungen zu Körperschaften Öffentlichen Rechts werden, der von den Hochschulangehörigen gewählte Senat soll Rechte abgeben. Ein Hochschulrat wird nach dem Willen des Gesetzgebers stattdessen höchstes Gremium der Universität, mindestens die Hälfte seiner Mitglieder darf nicht Angehörige der Hochschule sein. »Der Hochschulrat soll den Blick von außen ermöglichen«, erläuterte Michael Stückradt die Intention des Gesetzgebers. Der studentische Senator Ingo Bowitz kritisierte, dass durch die neue Leitungsstruktur »entscheidende Fragen durch Menschen dominiert werden, die nicht Mitglied der Hochschule sind«. Zudem würde die Möglichkeit der Mitbestimmung für die größte Statusgruppe, die Studierenden, weiter eingeschränkt. Der AStA-Vorsitzende Janosch Stratemann sieht mit dem Gesetz ein Versprechen gebrochen, mit dem die Einführung von Studiengebühren vorangetrieben wurde. »Die versprochene größere Partizipation von Studierenden ist da nicht drin«, kritisierte er die geplante Leitungsstruktur.

Gewählt wird der Hochschulrat von einer Findungskommission, die aus je zwei Mitgliedern des Senats und des amtierenden Hochschulrats zusammengesetzt ist. Dazu kommt ein Vertreter des Ministeriums, der nicht nur eine, sondern zwei Stimmen hat. »Das erinnert mich ans Mittelalter, als der Papst zwei Stimmen hatte, weil er ja auch den Heiligen Geist repräsentierte«, kommentierte der Historiker Neithard Bulst, Vorsitzender des Senats, diese Regelung. Den Hochschulrat selbst nannte er die »Verkörperung der Unfreiheit«.

Nicht nur wegen der starken Position des Landes in der Hochschulrats-Findungskommission befürchten Kritiker, dass das »Hochschulfreiheitsgesetz« trotz seines Namens nicht zu einer größeren Freiheit der Hochschulen führen würde. Ansgar Beckermann, Dekan der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie sprach gar von einem »Hochschulgängelungsgesetz«. Zwar sollen die Hochschulen Finanz- und Personalautonomie erhalten, praktisch haben sie die aber heute schon. »Faktisch ist es so, dass die Lage für die Hochschulen im Moment ideal ist, wir müssen faktisch mit nichts mehr nach Düsseldorf«, beschrieb Kanzler Simm den Status quo, der bisher jedoch noch keinen Niederschlag im Hochschulgesetz gefunden hat. Das soll sich jetzt ändern, die gesetzliche Verankerung des Zuwachses an Autonomie wird jedoch durch Zielvereinbarungen mit dem Ministerium eingeschränkt. Sogar Michael Stückradt räumte ein, dass diese »eine Gratwanderung« seien. Auch der Staatssekretär sieht die Gefahr, »dass übereifrige Ministeriumsmitarbeiter die zu detailliert vorgeben«.

»Durch die Zielvereinbarungen hat sich das Land einen Blankoscheck ausgestellt«, befürchtet Ansgar Beckermann. Auch hier kritisierte er, dass die Bezeichnung nicht die Realität wiederspiegelt. »Hier findet keine Vereinbarung statt. Wenn es kein Einvernehmen gibt, legt das Land die Ziele fest«, erläuterte er seinen Einwand gegen die Zielvereinbarungen. Statt der Festlegung quantitativer Ziele wie Absolventenzahlen oder Drittmitteleinwerbung plädiert Beckermann für eine »Ex-Post-Evaluation«. Das bedeutet, dass im Rückblick analysiert wird, wo Stärken und Schwächen einer Hochschule liegen.


Kritik an »Schweinsgalopp«

Heftige Kritik gab es auch an dem engen Zeitplan, nach dem das Ministerium das Gesetz durchpeitschen will, verschiedene Redner sprachen von »Schweinsgalopp«. Zu Beginn der Semesterferien ging den Hochschulen der Gesetzesentwurf zu, bis April mussten die Hochschulen dazu Stellungnahmen abgeben, die überwiegend kritisch ausfielen. Im August soll es eine Expertenanhörung im Wissenschaftsausschuss geben, im Oktober soll das Gesetz verabschiedet werden und im Januar in Kraft treten. Der AStA-Vorsitzende Janosch Stratemann erinnerte daran, dass die Hochschulen zur Zeit immer noch mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge kämpfen, zum Wintersemester folgt der nächste organisatorische Brocken für die Hochschulen. »Sie müssen lernen mit Studiengebühren umzugehen«, benannte Stratemann das Problem, das den Hochschulen einen hohen Verwaltungsaufwand aufzwingt.

»Die Schnelligkeit scheint angesichts vieler ungeklärter Faktoren inadäquat zu sein«, formulierte Neithard Bulst diplomatisch. So seien viele Konsequenzen – auch finanzieller Natur – unklar, die sich aus der Umwandlung in Körperschaften öffentlichen Rechts ergeben. Tatsächlich hat das Ministerium erst jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Folgen des Gesetzes prüft. Rektor Dieter Timmermann sorgt sich um die Folgekosten der »Hochschulreform«. »Bei vielen öffentlichen Projekten war ja das Problem, dass man die Investitionskosten berechnet, aber die Folgekosten nicht bedacht hat«, sagte er. Michael Stückradt versprach, dass die Mittel, die das Land durch das Hochschulfreiheitsgesetz spart – so müssen wohl die Hochschulen zum Beispiel zukünftig Löhne und Gehälter der Mitarbeiter verwalten -, umgeschichtet werden würden.

Der Kritik am Zeitdruck hielt Staatssekretär Stückradt entgegen, dass über die Vorstellungen der Landesregierung bereits seit einem Jahr diskutiert werde und die Umstellung auf die konsekutiven Studiengänge bereits seit mehreren Jahren laufen würde. Fakt ist, dass an der Uni Bielefeld, die ein Vorreiter der neuen Studienstruktur war, erst im vergangenen Herbst, die ersten Studierenden das dreijährige Bachelorstudium beendet haben und die Universität immer noch mit Kapazitäts- und anderen Problemen kämpft. Michael Stückradt ist jedoch optimistisch, was den radikalen Umbau der Hochschullandschaft betrifft. »Ich bin überzeugt, dass unsere Hochschulen das schaffen können«, sagte der ehemalige Kanzler der RWTH Aachen.

Michael Stückradt gab sich alle Mühe, den Gesetzesentwurf zu verteidigen. Eine Frage vermochte er aber bis zum Schluss nicht zu beantworten, die Neithard Bulst wiederholt stellte: Bei der Vorstellung des Entwurfs hatte Minister Pinkwart laut Sprechzettel gesagt, dass die Hochschulen das Humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre neu definieren müssten. Was das denn konkret heißen solle, wollte Bulst wissen. »Was der, der diesen Sprechzettel vorgelesen hat, damit will, kann ich Ihnen auch nicht sagen«, erklärte Staatssekretär Stückradt erstaunlich offen.

Zum Hochschulfreiheitsgesetz findet heute ein »Akademischer Tag« an der Universität statt. Der beginnt um 10 Uhr im Audi Max mit einem Vortrag von Reinhard Kreckel, dem Direktor des Institut für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg, mit dem Titel: »Akademische Freiheit - heute«. Nach Workshops, unter anderem zur Frage der Auswirkungen des Gesetzes auf Bedienstete und Studierende, findet um 13.30 eine Podiumsdiskussion zum Hochschulfreiheitsgesetz statt, neben Kreckel werden unter anderem der Vorsitzende des Hauptpersonalrats, Klaus Böhme, Rektor Dieter Timmermann und FDP-Generalsekretär Christian Lindner erwartet. Um 15.30 Uhr folgt eine Demonstration gegen Bildungsabbau ab dem Hauptbahnhof.