Webwecker Bielefeld: Die Kosten tragen andere (23.08.2006)

Die Kosten tragen andere (23.08.2006)








Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gratuliert dem Marburger Bund zu dessen Abschluss eines Tarifvertrages für Ärzte an kommunalen Krankenhäusern. Zugleich warnt ver.di: Mit dem Abschluss kämen zusätzliche Belastungen auf die Krankenhäuser zu.


Von Manfred Horn

Der Marburger Bund hatte am Donnerstag der vergangenen Woche einen Tarifvertrag für die Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern abgeschlossen. Die Gehaltstabelle liegt unter dem Strich auf dem Niveau des Abschlusses an den Universitätskliniken und damit zugleich über dem ver.di Abschluss von Anfang August. Da hatte ver.di bereits einen Tarifvertrag mit den kommunalen Arbeitgebern ausgehandelt, den der Marburger Bund aber nicht akzeptierte. Der aktuelle Abschluss des Marburger Bundes bringt den Ärzten eine Gehaltsverbesserung von im Schnitt vier Prozent gegenüber dem ver.di-Abschluss, also circa sieben Prozent. Der Abschluss gilt zunächst für die Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft, die Tarifverhandlungen mit privaten und gemeinnützigen Trägern laufen noch.

Die ›Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände‹, die mit dem Marburger Bund den Abschluss ausgehandelt hatte, zeigte sich zufrieden, da der geregelte Betrieb in den Krankenhäusern wiederhergestellt sei. Andererseits erklärte Otto Foit, Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes: »Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass der uns heute aufgezwungene Kompromiss für manche Klinik die Existenzfrage verschärfen wird«.

Zugleich kündigte Foit an, die Vereinbarungen mit dem Marburger Bund auch in den mit ver.di abgeschlossenen krankenhausspezifischen Tarifvertrag »einvernehmlich zu integrieren«. Dies bedeutet: Der Tarifabschluss soll für alle Ärzte gelten, auch für diejenigen, die bei ver.di organisiert sind. »Wir wollen Verhältnisse vermeiden, in denen sich verschiedene Gewerkschaften an den Kliniken mit den Streiks abwechseln und so für dauerhafte Einschränkungen bei der Versorgung der Patientensorgen«, erklärte der Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber.

Der Tarifabschluss wird für die Krankenhäuser teuer: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rechnet für die kommunalen Krankenhäuser mit zusätzlichen Personalkosten von einer halben Milliarde Euro pro Jahr. Durch diese Belastung seien viele Kliniken in ihrer Existenz bedroht. Die Krankenhausgesellschaft forderte daher von der Politik finanzielle Unterstützung. »Für viele Kliniken stellt sich angesichts der Tatsache, dass die Personalmehrkosten nach geltendem Recht nicht refinanziert werden können, die Existenzfrage«, sagt Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, in der nahezu alle Krankenhäuser, auch die privaten, organisiert sind. Der Gesetzgeber begrenze den erstattungsfähigen Kostenzuwachs auf 0,63 Prozent, sagt Baum weiter. Wer glaube, dass eine halbe Milliarde Euro Personalmehrkosten ohne Folgen für die Patientenversorgung bleiben, irre. »Der Trend zu weniger Zuwendung, mehr Stress und einer weiteren Arbeitsverdichtung ist hiermit zwangsläufig eingeleitet«. Ein solch gewaltiger außerordentlicher Kostenschub könne selbst durch Rationalisierung nicht mehr von den Kliniken getragen werden.

Die DKG fordert die Große Koalition nun auf, die enormen Lasten der Kliniken zur Kenntnis zu nehmen und die Gesundheitsreform »grundlegend nachzubessern«. So soll unter anderem die mit der Gesundheitsreform geplante weitere Kürzung der Krankenhausbudgets in Höhe von 750 Millionen Euro zurück genommen werden. Die Große Koalition hatte beschlossen, dass die Krankenhäuser im Rahmen der Gesundheitsreform diesen Betrag, 1,5 Prozent ihres Budgets, abgeben müssen.

Kritik an dem Abschluss kommt auch von ver.di. Einerseits sieht die Dienstleistungsgewerkschaft, das der Abschluss den Druck auf die sonstigen Beschäftigten eines Krankenhauses auswirkt. »Für die Masse der Beschäftigten bleibt nun weniger übrig«, erklärt Thomas Trittin, ver.di Gewerkschaftssekretär im Bezirk Bielefeld-Paderborn.

Andererseits sieht ver.di genauso wie die Klinikbetreiber, dass durch den Abschluss viele Krankenhäuser in den Ruin getrieben werden. »Ich befürchte nun ein schnelles Kliniksterben«, sagt Trittin. Knapp die Hälfte aller Krankenhäuser schreibt bereits heute rote Zahlen. Der Tarifabschluss des Marburger Bundes dürfte tatsächlich zur Schließung oder Privatisierung weiterer Kliniken führen. Die Folge sei ein »spürbarer Abbau der medizinischen und pflegerischen Qualität, wie wir sie in Deutschland kennen«, sagt Foit, Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber.

Sorge macht ver.di auch die Aufspaltung der Belegschaft. Der Alleingang der Ärzte könnte Folgen haben. Der Marburger Bund, bis vor zwei Jahren noch unter dem Dach von ver.di, hat sich erfolgreich verselbstständigt. Bliebe es dabei, würden die Ärzte dauerhaft bessere Abschlüsse erzielen – und sich die Schere zwischen Pflegepersonal und Ärzten noch weiter öffnen. Den die Ärzte in den Krankenhäusern sind gut organisiert: Teilweise haben an Krankenhäusern 90 Prozent der Ärzte gestreikt, und sie sind in der Hierarchie hoch angesiedelt. Die Unterstützung für die Streiks reichte bis in die Chefetage der leitenden Ärzte.


Flucht aus dem Arbeitgeberverband

An einem solchen Standesdünkel hat außer den Ärzten kaum jemand ein Interesse Weder ver.di noch die Arbeitgeber, die am liebsten nur ein Verhandlungspartner für die Tarifverträge in den Krankenhäusern hätten. Offen bleibt, wie es weitergeht. ver.di jedenfalls bleibt bei aller Rhetorik vorsichtig: »Der Marburger Bund ist für uns keine Feindorganisation», sagt ver.di-Sekretär Trittin, »ich kann mir vorstellen, künftig die Kräfte wieder zu bündeln«. Wahrscheinlich, dass bei künftigen Verhandlungen die Gegenseite ausgedünnt auftritt: Viele Krankenhäuser überlegen nun, aus dem Arbeitgeberverband auszutreten. Die Folge wäre, dass für jedes ausgetretene Krankenhaus einzeln Tarifverhandlungen geführt würden. Dies ist aber ein zäher und zeitraubender Prozess.



Ende der Solidarität

Ein Kommentar von Manfred Horn


ver.di steht mit dem Abschluss des Tarifvertrages zwischen Marburger Bund und den kommunalen Arbeitgebern ziemlich blöd da. Die Ärzte haben einen wesentlich höheren Tarifabschluss durchgesetzt als ver.di in der Lage gewesen ist. Die Ärzte waren sehr gut organisiert, ganz anders als die Gewerkschaft, die Schwierigkeiten hat, im Gesundheitsbereich viele Arbeitnehmer zu mobilisieren. Die Lehre lautet: Nur wer gut organisiert ist, kann auch viel durchsetzen. Zwar ist die Ankündigung des Marburger Bundes, möglicherweise künftig eine eigene Gesundheitsgewerkschaft für alle Beschäftigten sein zu wollen, in die Abteilung Rhetorikstrohfeuer einzuordnen – der Marburger Bund hat weder die Strukturen dafür noch dürfte es in seinem Interesse liegen, alle Arbeitnehmer zu vertreten – doch nun steht ver.di unter Druck.

Der Abschluss eines eigenen, mäßigen, Tarifvertrages Anfang August erscheint im Nachhinein durchaus als zweifelhaft, kann er doch als Versuch verstanden werden, dem Marburger Bund zuvorzukommen und dessen Streikaktivitäten auszubremsen. Interessant auch die Argumentation, der Abschluss des Marburger Bundes sei zu hoch, weil der zu einem Kliniksterben führe. Ein öffentlicher Schulterschluss mit den Arbeitgebern, der von ver.di sonst selten zu vernehmen ist. Der aber, mit dem Blick von ganz oben, durchaus zu der Rolle der Gewerkschaften passt.

Im Nachkriegsdeutschland sind die Gewerkschaften von Klassenkampforganisationen zu Sozialpartnern mutiert. Dies kann man durchaus unterschiedlich bewerten, im Ergebnis bedeutet dies aber, dass die Gewerkschaften neben den Interessen der Beschäftigten sehr wohl so etwas wie ein gesamtgesellschaftliches Verantwortungsgefühl kennen.

Der Marburger Bund nun ist eine reine Standesorganisation. Bis heute dürfen nur Akademiker beitreten. Das die Ärzte gut dabei organisiert sind, zeigten die Streiks in den vergangenen Monaten zunächst bei den Landes- und dann bei den Kommunalkrankenhäusern. Die Weißkittel auf der Straße waren medial präsent. Und sie hielten die Kritik, dass Patienten unter dem Streik litten, in Grenzen. Denn Streiks in Gesundheitseinrichtungen sind an sich ein heikles Thema, legen sie nämlich keine Produktion von Steckdosen lahm sondern greifen in das Leben der Patienten ein. Noch im Februar diesen Jahres haben Chefärzte Streiks nichtärztlichen Personals als unverantwortliches Risiko für Leib und Leben dargestellt, um wenige Monate später prompt selbst zu streiken.


Marburger Bund bekommt mehr Gewicht

Unwahrscheinlich, dass der Marburger Bund wieder in die zweite Reihe zurückhüpft und sich bei ver.di einreiht. Denn dem Marburger Bund ging es in den vergangenen Wochen weniger um mehr Prozente für die Ärzte denn um die öffentliche Aufmerksamkeit. Dies wurde auch sichtbar am Abschluss zwischen den Ländern und dem Marburger Bund: Der hatte zuvor großspurig Gehaltserhöhungen von 30 Prozent gefordert, landete aber letztlich bei einem eher bescheidenden Tarifvertrag. Ohne Frage, der Marburger Bund hat seine Bedeutung wesentlich erhöht. Sollte es künftig wieder zu einer Zusammenarbeit mit ver.di kommen, wird der Marburger Bund Bedingungen stellen. Zwar war er bei den Verhandlungen über den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TvÖD) – bei denen er mit ver.di bis kurz vor Abschluss des Vertrages noch gemeinsame Sache machte – auf Gewerkschaftsseite bereits überproportional repräsentiert.

Doch das wird künftig nicht mehr reichen. Die beim Marburger Bund organisierten Ärzte haben sich so oder so ein größeres Stück vom Kuchen gesichert. Die Leidtragenden werden die Masse der Beschäftigten sein, die eben keine Ärzte sind, und die Patienten. Beides ist fatal. Denn wenn das Modell Schule macht, werden diejenigen, die an Schaltstellen sind, wie etwa auch die Flugzeugpiloten, hohe Abschlüsse durchsetzen können, die anderen Arbeitnehmer aber schauen in die Röhre. Solidarität, einheitliche Arbeitsbedingungen und angemessene Vergütung für alle: Begriffe, die zu Fremdwörtern werden.

Gerade Ärzte sollten, aus ihrem Ethos heraus, eine Verantwortung gegenüber den anderen Beschäftigten wahrnehmen und die Konsequenz ziehen: Gemeinsam als Beschäftigte eines Betriebes dafür kämpfen, dass es allen besser geht. Denn auch Ärzte können ohne Pflegepersonal nicht arbeiten.