Webwecker Bielefeld: interviewbuetikofer01

»Erpressungen der CDU« (29.09.2004)








Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende von Bündnis 90/Grüne, hält Hartz IV für gerecht. An Widersprüchen bei der Arbeitsmarktreform sei die CDU schuld, sagt Bütikofer im Webwecker-Interview.



Interview: Mario A. Sarcletti

Webwecker: Die Umfragen vor den Kommunalwahlen in NRW zeigen, dass Bündnis 90/Grüne auch hier ganz gut dasteht. Sind die Grünen der große Gewinner der Diskussionen um Hartz IV?

Reinhard Bütikofer: Ich glaube jedenfalls, dass uns diese Diskussion nicht schadet, weil wir da schon seit langem einen ganz klaren Kurs fahren. Wir haben früh für die Notwendigkeit von Reformen geworben. Man hat für sie laut Umfragen mehr Unterstützung bei den Grünwählern als in anderen Bevölkerungsteilen. Aber wir haben auch immer klar gemacht, dass für uns der Maßstab der Gerechtigkeit unverrückbar zu diesen Reformen dazu gehört. Das zahlt sich offensichtlich aus. Aber es sind auch andere Dinge, die sich für uns auszahlen, wie die klare Positionierung zur Gentechnik oder die Verbraucherpolitik von Renate Künast.


Liegt die höhere Akzeptanz für die Reformen bei Grünwählern vielleicht daran, dass die von ihnen weniger betroffen sind?

Das bestreite ich. Die Arbeitslosenhilfe war ja am bisherigen Lebensstandard orientiert, während Sozialhilfeempfängern ja nur bares Existenzminimum blieb. Für die verbessert sich ja die Lage. Wenn man es polemisch beschreiben wollte, müsste man sagen, dass die Grünen nicht unbedingt die Partei der Sozialhilfeempfänger sind. Zum ersten Mal müssen sich durch diese Veränderung auch Grünwähler darauf einstellen, dass die Regel für den Sozialstaat der Zukunft nur heißen kann: Existenzsicherung für alle, plus das Angebot immer wieder eine Brücke zurück in den Arbeitsmarkt zu finden. Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass wir auf Dauer gerechterweise nicht zwei Systeme steuerfinanziert haben können, von denen wir das eine, nämlich die Sozialhilfe, den Kommunen ans Bein binden, die deshalb ihre Dienstleistungen und Investitionen nicht mehr finanziert gekriegt haben. Und es ist auch ein Faktum, dass wir derzeit nicht in der Lage sind, für alle Langzeitarbeitslosen eine Sicherung auf dem Niveau sagen wir 200 Euro jenseits der Sozialhilfe zu finanzieren.


Sie haben die »Brücken in den Arbeitsmarkt« angesprochen. Für andere heißen Arbeitsgelegenheiten, dass sie für zusätzlich 1 Euro pro Stunde arbeiten sollen. Wie sollen so Arbeitsplätze geschaffen werden, es wird ja immer von einer Arbeitsmarktreform gesprochen?

Das mit den 1 Euro-Jobs, wie sie das jetzt gesagt haben, ist ein Missverständnis. Da gibt es ja erstmal das Arbeitslosengeld II, da gibt’s das Wohngeld drauf und obendrauf noch 1 Euro oder 1,50.


Das sagte ich ja: Zusätzlich 1 Euro.

Ja, aber wenn man das zusammenrechnet, kommt das ungefähr auf brutto 1300 Euro und netto 900 Euro. Da gibt es auch im öffentlichen Dienst in den niedrigen Besoldungsgruppen, in den niedrigen Angestelltentarifen für junge Leute manche Stellen, die weniger zahlen. Nicht jede Verkäuferin hat mehr als das. Von daher glaube ich nicht, dass man diese Arbeitsgelegenheiten denunzieren kann. Überall, wo es die gibt, sind die gesucht. Ich wäre ja einverstanden, wenn man dagegen polemisiert, wenn man sagt, man soll die Leute nicht auf solche Arbeitsgelegenheiten abschieben oder parken. Deswegen würde ich sagen, das sollen Brücken zurück in den ersten Arbeitsmarkt sein, befristete Maßnahmen.