Vertreiben oder bleiben? (Teil 4)
3. Der besondere Teilraum »Drogenszene«
Anders als im Fall der Stadtstreicherszene treten bei der sogenannten »Junkieszene« tatsächlich originäre polizeiliche Zuständigkeiten (Verfolgung von Straftaten, Verhinderung konkreter Straftaten, vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) auf. Damit scheint das Eingreifen der Polizei zur »Bekämpfung der offenen Rauschgiftszene« gerechtfertigt, wenn nicht gar unausweichlich. Doch Drogenabhängigkeit ist eine behandlungsbedürftige Krankheit und das Problem des Drogenkonsums ist mit polizeilichen Mitteln nicht zu lösen. Selbst die scheinbar unstrittige Verfolgung der »kommerziellen Rauschgifthändler« erweist sich in der Praxis von polizeilichen Interventionen in der Straßenszene als kaum möglich, da in aller Regel weder der »reine Konsument«, noch die »reine Händlerin» auszumachen ist, sondern die Mischform des drogenabhängigen Händlers dominiert. Dies hat in einer Reihe von Städten seit Anfang der 90er Jahre (Frankfurt, Köln, Dortmund) zu großangelegten Polizeiaktionen geführt, die auf eine generelle Verdrängung speziell der »offenen Drogenszene» abzielten. Durch massiven und langanhaltenden Personaleinsatz war ein erhöhter Kontrolldruck auf die Drogenabhängigen möglich. Ingewahrsamnahmen, Platzverweise, längerfristige Aufenthalts- bzw. sogar generelle Innenstadtverbote durch die Ordnungsämter (die durch eine Weiterleitung von Festnahmedaten der Polizei möglich wurde) und Festnahmen bildeten die Hauptelemente dieser Vertreibungskampagnen, die als »Junkie-Jogging« bekannt wurden.
Diese Rundumschläge haben zu einer Auflösung ehemaliger Szenegebiete geführt und werden daher von den Verwaltungen der o. g. Städte nach außen als »erfolgreich» eingestuft. Tatsächlich müssen aufgrund der Erfahrungen mit Verdrängungsfeldzügen gravierende Bedenken gegen diese vorgebracht werden, die hier nur knapp skizziert werden können:
a) Die Verdrängungswirkung wurde nur durch aufwendigen Personaleinsatz erzielt und wird nur durch fortgesetzte Polizeipräsenz aufrechterhalten. Sie ist teuer.
b) Der Zugang sozialer und medizinischer Dienste zu den Abhängigen ist erschwert, da sich die Szene in Kleinstgruppen zerstreut hat.
c) Die Preise für illegale Drogen sind durch die Beseitigung des »Marktplatzes» stark gestiegen, so dass auch der Geldbeschaffungsdruck für einzelne Süchtige gestiegen ist.
d) Ordnungsbehördliche »Stadtverbote« in Form regelrechter Ausweisungen sind verfassungsrechtlich (Grundrecht der Freizügigkeit) mindestens bedenklich.
Die besonderen Ursachen und Bedingungen der Rauschgiftproblematik erfordern vorrangig die Intervention der Träger der Sozialarbeit. Angesichts des Charakters der Suchtabhängigkeit als Krankheit und auch angesichts der Zuständigkeiten der Träger der freien Wohlfahrtspflege kommt ein eigenständiges polizeiliches und ordnungsrechtliches Interventionsprogramm weder aus sachlichen noch aus rechtlichen Gründen in Betracht.