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Vertreiben oder bleiben? (Teil 3)



b) »Störender Alkoholgenus»

Verschiedene kommunale Satzungen enthalten Bestimmungen gegen »störenden Alkoholgenus in der Öffentlichkeit». Allein die Unterscheidung zwischen »störendem« und »nicht-störendem« Alkoholgenus ist untauglich: Der Stadtstreicher, der auf einer Bank in der Fußgängerzone sein Bier leert, stört, während lärmende Touristengruppen, die sich im wenige Meter entfernten Biergarten dasselbe tun, einen Beitrag zum Flair der Innenstadt leisten. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass öffentlicher Alkoholgenus als solcher rechtlich irrelevant ist, da von ihm (anders als beim Rauchen) keine unmittelbare Verursachung einer Fremdgefährdung ausgeht. Auch das Straßenrecht bietet keine Handhabe gegen das »Niederlassen zum Alkoholgenus«. Der inzwischen anerkannte weite Verkehrsbegriff sieht insbesondere innerörtliche Straßen und Plätze neben der reinen Verkehrsfunktion als Stätten menschlicher Kontakte an (4). Der Alkoholkonsum auf öffentlichen Straßen ist als solcher auch nicht nach dem Straßenverkehrsrecht zu beanstanden. Erst wenn Verkehrsuntüchtigkeit im Sinne des § 2 StVZO vorliegt, kommt ein entsprechendes Einschreiten in Betracht.


c) »Betteln»

Auch das Bettelverhalten der »Stadtstreicherszenen» wird vielerorts als »störend» empfunden und mit dem kommunalen Satzungsrecht bekämpft. Nach Streichung des »Bettlerparagraphen« im Zuge der Strafrechtsreform im Jahr 1974 ist jedoch allenfalls das »aggressive Betteln« (aufdringliches Bettelverhalten durch körperliche Bedrängung, Zupfen an der Kleidung usw.) auf seine rechtliche Relevanz hin zu untersuchen. Die einzige Grundlage ordnungsbehördlicher Verfügungen in NRW kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht von PassantInnen, nicht aber der Rückgriff auf die »öffentliche Ordnung« sein. Nach den Polizeigesetzen in NRW ist die »öffentliche Ordnung« kein polizeiliches Schutzgut und kann auch nicht durch die Verankerung entsprechender Vorschriften in kommunalen Satzungen – quasi über die Hintertür – zum Sicherheitsgut erhoben werden. Im konkreten Einzelfall ist polizeiliches oder ordnungsbehördliches Einschreiten bei »aggressivem Betteln« nur dann geboten, wenn es sich als Vorstufe zur Nötigung darstellt bzw. Gewalttätigkeiten zu befürchten sind. Begriffsbildungen in sogenannten Bettelsatzungen, die das Betteln (und andere Verhaltensweisen wie z. B. das »Niederlassen zum Genus von Alkohol«) als ein »andere unzumutbar beeinträchtigendes Verhalten« einstufen und auf dieser Grundlage Platzverweise begründen wollen, halten einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand.


d) »Sondernutzung öffentlichen Straßenraums»

Eine weitere Begleiterscheinung der »Randgruppenszene« stellen die Lagerplätze auf öffentlichen Wegen und Plätzen dar. Sie können das Straßenrecht tangieren, da sie über den Gemeingebrauch hinausgehen und als erlaubnisbedürftige Sondernutzungen anzusehen sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt der Anwendung des Straßenrechts allerdings enge Grenzen, denn es dürfen keine Anordnungen getroffen werden, die sich faktisch als Schlaf- und Essverbote darstellen. Die Begründung eines Lebensmittelpunktes auf der Straße durch das Einrichten von Schlaf- und Kochplätzen könnte nur durch einen örtlich begrenzten Platzverweis verschoben werden, wenn das Lager andere PassantInnen in ihrer Fortbewegung behindert.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass gegen freiwillige Obdachlosigkeit, einfaches Betteln, Alkoholgenus in der Öffentlichkeit und das Lagern auf öffentlichem Straßenraum ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechtes oder des kommunalen Satzungsrechtes vorgegangen werden darf.