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»Darf ich den Knopf drücken?« (24.05.2006)





Weizenbaum in Aktion gegen Wortmüll: Ist der Aufdruck »Mindestens haltbar bis« sinnvoll oder bedeutet er nicht das gleiche wie »Haltbar bis«.


Das Regionet Bildungsforum war am vergangenen Donnerstag zu Gast im Vortragssaal des Historischen Museums. »Medienbildung und E-Kompetenz« war das Thema der Veranstaltung. Unbestrittener Star des Nachmittags war Joseph Weizenbaum. Der ehemalige Professor des Massachusetts Institure of Technnology (MIT) trug seine Vorstellungen von Computerintelligenz und Menschenwürde vor.


Von Manfred Horn

»Computer sorgen für Apfelmus im Kopf«, tönte Joseph Weizenbaum. Klar, Weizenbaum will provozieren. Der inzwischen 83-jährige, der das Alter nach eigenen Angaben genießt, weil er nun Dinge sagen kann, die er sich früher verkniffen hat, reiste mit der Bahn von Berlin nach Bielefeld. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Weizenbaum, mit langem grauen Haar und Goldbrille, ist kein Technikverweigerer. Er rückte zu der Veranstaltung mit einer kleinen digitalen Fotokamera und einem Handy an. Über ein Auto verfügt er nicht. Aber nicht aus Prinzip, sondern eher aus Bequemlichkeit. Wozu gibt es Züge und Taxis?

Weizenbaum interessiert sich auch in hohem Alter für alles, was um ihn herum passiert. Besonders die Technik steht dabei im Mittelpunkt seines Interesses. Das war schon damals so, als er bereits 1950 Mitarbeiter an einem Computerprojekt war. Seine Eltern flohen 1936 aus Nazideutschland. Da war Joseph Weizenbaum 13. Die Familie jüdischer Abstammung entkam nur knapp dem Holocaust. 1963 dann wurde Weizenbaum Mitarbeiter am ziemlich berühmten Massachusetts Institue of Technology (MIT), dort lehrte und forschte er ab 1970 als Professor für Computer Science. Inzwischen lebt er wieder in Berlin, wo er seine Wurzeln hat.


Kein Heroin, bitte

Weizenbaum gefällt sich durchaus als Redner. Ein Geschäft, dass er scheinbar lässig beherrscht. Andere mühen sich mit Powerpoint-Folien und Flashanimationen ab, Weizenbaum reicht sein gesprochenes Wort. Medienpädagogik? Das wäre so, als ob man einem Marihuna-Raucher Heroin verabreiche. Ziemlich bääh also. Computer veränderten die neurologischen Strukturen im Gehirn. Und zwar irreversibel, wie Weizenbaum betont. Kinder sollen in der Schule lieber andere Dinge lernen.

Medienkompetenz sei sowieso schon da und entwickele sich ausserhalb der Schule. »Was sagt ein kleines Mädchen, wenn es mit dem Papa den Aufzug betritt«, fragt Weizenbaum das Publikum. Mit leichter Verzögerung kommt die richtige Antwort: »Darf ich den Knopf drücken?«. Selbst in der Dritten Welt wüssten kleine Kinder, dass sie in eine Muschel sprechen können, um mit jemand, der gar nicht anwesend ist, reden zu können. Telefonieren, eine hohe Abstraktionsleistung kleiner Kinder.

Weizenbaums Lieblingsthema in Variationen ist der Mensch und der Computer. Er bringt Informatik und Gesellschaft zusammen. Er sei kein Computerkritiker. Die Kisten ließen sich schließlich nicht kritisieren, sondern nur die Menschen, die sie entwickelten und anwendeten. Weizenbaum bezeichnet sich vielmehr als Gesellschaftskritiker. »Ich habe gelernt zu lesen«, sagt er über sich selbst und fügt hinzu: »Eine Kunst, die nicht viele beherrschen«. Also werden die Zuhörer erst einmal auf eine semantische Reise mitgenommen. »Digitale Medien«? Blödsinn. »Auch Gutenberg war ein bißchen digital«. »Digitale Medien entwickeln sich«? Noch schwachsinnger: »Medien entwickeln sich nicht, sie werden entwickelt«. Weizenbaum ist daran gelegen, in der ganzen Technikeuphorie den Menschen wieder sichtbar zu machen. Ein mühsames Unterfangen. »Wenn man wirklich liest, erkennt man, dass der Mensch verschwunden ist«, beschreibt Weizenbaum den akuten Zustand.