Bemerkenswert ist auch der Umgang mit dem Obelisken: 1945 von ehemaligen Häftlingen auf dem Friedhof zum Gedenken an die Opfer erbaut, liegt die Pflege bis heute in der Verantwortung des Landes NRW. Der Friedhof samt Obelisk steht längst unter Denkmalschutz. 1956 jedoch plante die damalige CDU-Landesregierung, den Obelisken abzureißen. Nicht ungewöhnlich in der Hochzeit des Kalten Krieges: Seichter berichtet in seinem Buch von Sandbostel, wo ebenfalls ein sowjetisches Denkmal stand. Dies wurde 1956 kurzerhand gesprengt, » weil Teile der dortigen Bevölkerung und der Politiker sich von dem Makel der an ihm fixierten hohen Zahl der Umgekommenen befreien wollten«, wie Seichter schreibt.
Auf Intervention der Sowjetischen Militärmission und den seiner Zeit zuständigen britischen Dienststellen wurde der Bildersturm in Stukenbrock jedoch abgebrochen. Die Glasplastik auf der Spitze des Denkmals, eine rote Fahne, wurde aber bis heute nicht wieder angebracht. Stattdessen ziert seitdem ein Kreuz der orthodoxen Kirche die Spitze des Obelisken. Jahrzehntelang forderten die Überlebenden wie auch der Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock, dass das Denkmal wieder in seinen Originalzustand versetzt wird.
Zum Antikriegstag 2004 auf dem Friedhofsgelände kam auch der damalige NRW-Bundesminister Wolfram Kuschke und überbrachte die Nachricht, dass die Spitze des Denkmals nun wieder in eine rote Fahne geändert werden könnte. Das NRW-Bauministerium, damals noch mit Michael Vesper an der Spitze, fragte bei der orthodoxen Kirche und der russischen Regierung an. Die Kirche habe grünes Licht gegeben, hieß es damals aus dem Ministerium (
WebWecker berichtete).
Das war vor eineinhalb Jahren. Bis heute ist allerdings nichts passiert. Jochen Schwabedissen, zweiter Vorsitzender des Arbeitskreises Blumen für Stukenbrock, hat noch nicht aufgegeben: Er schrieb an die russisch-orthodoxe Landeskirche in Deutschland und erhielt kürzlich eine Antwort. »Die Kirche äußert Bedenken, aber es ist kein grundsätzliches Nein«. Denkbar wäre eine Kapelle, in die das Kreuz der Obelisken-Spitze versetzt werden könnte. Auf politischer Ebene tut sich aber nichts: »Seit der Landtagswahl im Mai 2005 ist Funkstille«, ergänzt Schwabedissen.
Auch die Bevölkerung in Schloß Holte-Stukenbrock ist in ihrer Mehrzahl nicht gerade begeistert von der Erinnerungsarbeit vor Ort ein typisches Phänomen, das unter anderem auch in Wewelsburg zu beobachten ist. Waren in den vergangenen Jahrzehnten noch viele persönlich involviert, weil sie selbst in das NS-System verstrickt waren, so steht heute eher die Angst vor einem negativen Image im Vordergrund. Wie angefeindet der Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock zeitweise war, erwähnt Seichter in seinem Buch. Er berichtet von einer im Vorfeld der jährlichen Gedenkfeier ausgesprochenen Morddrohung: »Am 28.8.74 gegen 13.45 Uhr erfolgte bei der Gemeindeverwaltung Schloß Holte-Stukenbrocks ein Anruf mit folgendem Inhalt: Wenn am Samstag die Kundgebung der Kommunisten stattfindet, gibt es ein Blutbad, dann geht eine Bombe hoch«. Zum Glück passierte damals nichts.
Seichters Buch ist zugleich seine Magisterarbeit. Er studierte bis vor kurzem in Bielefeld Geschichte und Literaturwissenschaft. In Stukenbrock geboren, früh kam er mit der dortigen Friedensinitiative in Kontakt. »Der Weg zum Friedhof und den alljährlichen Gedenkveranstaltungen war kurz«, sagt er.
Der Arbeitskreis ist was BesonderesGefragt, was die Quintessenz seines Buches sei, stellt er heraus, dass die Rezeptionsgeschichte des Stalag analog zur allgemeinen Rezeptionsgeschichte des Nationalsozialismus gelaufen sei. Will heißen, dass ein breiteres Interesse erst mit der 68er Bewegung einsetzte, zuvor aber Täter verschwiegen, entschuldigt und wieder eingebunden wurden. Gleiches galt für die Tatorte: sie blieben unsichtbar oder wurden gar beseitigt.