Webwecker Bielefeld: folter02

Gewalt gegen Gewalt (Teil 2)



Daschner entwickelte im Prozess seine eigene Definition von Folter. Folter sei erst »die vorbedachte Auferlegung schwerer körperlicher Qualen, die ernste und grausame Leiden hervorruft und in der besonderen Situation nicht zu rechtfertigen ist«. Keineswegs war es so, dass Daschner alleine stand: Ihm wird von vielen Seiten Beistand signalisiert, des Volkes Meinung war auf seiner Seite. Jörg Schönbohm, Innenminister Brandenburgs erklärte, wenn durch Terroristen eine Gefahr für eine Vielzahl von Menschen drohe, müsse auch über Folter nachgedacht werden.

Nun war im konkreten Fall nicht so, dass das Leben Tausender bedroht gewesen wäre. Aber es ging um ein Kind. Und das ist, weil im umfassenden Sinn unschuldig, oft mehr wert als mehrere Erwachsene oder gar Alte. Ein Gewalttäter und ein Kind, ein gefundenes Fressen für die Boulevard-Medien. Darf das Monster unversehrt bleiben, das Kind sterben lassen, unbehelligt von der Polizei, nur weil es ein Gesetz verbietet? Wer die Frage richtig stellt, dem wird ein millionenfaches »Nein« entgegenschallen.

Daschner befand sich aus Sicht vieler im Notstand. Und diese vor allem moralische Kategorie erhpb ihn über geltendes Recht. Schon Altbundeskanzler Helmut Schmidt berief sich in den 1970ern auf einen »übergesetzlichen Notstand«, um eine Kontaktsperre zwischen den Gefangenen der ›Rote Armee Fraktion‹ zu verhängen. In NRW gibt es im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine gesetzliche Regelung zum finalen Rettungsschuss, der eigentlich finaler Todesschuss heißen müsste, doch auch nach dem gültigen Polizeigesetz haben Polizisten die Möglichkeit, als letztes Mittel zur Waffe zu greifen. Der tödliche Schuss diene als letztes Mittel zur Abwehr einer Lebensgefahr, erklärt die Polizei in NRW.

Wie weit darf der Staat also gehen? Der Fall des entführten Bankierssohnes war klar: Hier war das Ziel, ein Menschenleben zu retten. Ein Fall prädestiniert dafür, die Grenze zu verschieben. Aber nicht immer sind die Ziele so deutlich. Und gerade wenn es um Terrorismus geht, wird es reichlich diffus. Die vergangenen Jahre zeigten deutlich, wie wenig der Staat eigentlich über angebliche und tatsächliche, islamisch motivierte Terroristen weiß und wie oft Tatsachen sich mit Spekulationen vermengen.

In diese Situation hinein schrieb Peukert sein ›2009‹. Die Moraldebatte taucht dabei in der Inszenierung von Olga Wildgruber in kaltes Neonlicht. Angestrahlt wird damit ein Spanplattenambiente, eine notdürftige Umgebung, mit der Tobias Schunk, der für die Bühne zuständig war, dem unerfreulichen Thema den richtigen Rahmen gibt. Peuckert modifiziert die tatsächlichen Ereignisse: Der Täter, dargestellt von Matthias Reiter, ist nicht nur von Folter bedroht, sondern in der Nacht zuvor tatsächlich mit Elektroschocks gefoltert worden. Dem Täter, der im Polizeigebäude zum Opfer wird, steht ein Pflichtverteidiger zur Seite, jung und ehrgeizig. Er glaubt seinem Mandanten. Er will den Fall an die Öffentlichkeit bringen. Weil, wie ihm Peuckert unterstellt, er nach Berühmtheit strebt.


»Tu ich dir weh?«

Der Anwalt, gespielt von John Wesley Zielmann, kennt wiederum die Ärztin, die einen Vertrag mit der Polizei hat. Gibt es einen Notfall, wird sie, dargestellt von Claudia Mau, gerufen. In der Nacht zuvor gab es einen Notfall: Der Beschuldigte brach zusammen. Die Ärztin wurde nicht Zeugin der Folter, konnte aber schnell eins und eins zusammenzählen. Wie es die Geschichte so will, kennen sich der aufstrebende Anwalt und die Ärztin. Sie hatten gemeinsam Sex, der, würde er nicht in beiderseitiger Übereinkunft geschehen, als gewalttätig bezeichnet werden muss. Dies wird angedeutet als der Anwalt antwortet: »Mach weiter, bitte«, nachdem ihn die Ärztin fragt: »Tu ich dir weh?«.