Webwecker Bielefeld: gewalt03

Wortgewaltig (Teil 3)





»Überschreiben von Regeln durch Regelbruch«, die Entwendung von Begriffen, die Veränderung des Verhältnisses von Publikum zu Akteur. Prägend für die Avantgarde der 68er, aber nicht für die RAF, findet Ingrid Gilcher-Holtey




Sicherlich habe sich damals schon die Gewaltfrage gestellt – Hanno Balz geht noch weiter: »Für die Linke hat sich die Gewaltfrage schon immer gestellt«, eben weil die Linke mindestens in der Opposition, oft genug aber verfolgt aus dem Untergrund operieren musste. Aber Gewalt hat eben nicht nur eine Linie, ein Gesicht, sondern viele Facetten. Insofern ist es leicht zu schreiben, es habe eine Linie der Gewalt von Dutschke zur RAF gegeben, richtig muss dies aber nicht zwingend sein.

Was die RAF tat, lässt sich vielmehr auf einer spezifischen sozialen Folie erklären. Dies deutete Balz in der Diskussion an, indem er auf die Implosion der bestehenden Verhältnisse Ende der 1960er Jahre verwies. »Man hatte damals den Eindruck, dass sich weltweit die Kräfte bündeln«. Hinzu kam die Erkenntnis, dass es nichts bringe, fahnenschwingend durch die Straßen zu laufen und Parolen zu laufen. Ton, Steine, Scherben gaben den Takt vor: »Die letzte Schlacht gewinnen wir«.


Illusion über bewegte Zeiten

In den Metropolen, im Mai 1968 in Paris beispielsweise, schaffte es die Opposition tatsächlich, das herrschende System in eine ernste Krise zu stürzen. Viele Eindrücke, die sich dazu verdichteten, dass eine soziale Revolution machbar sei. Und in Deutschland kam noch ein Faktor hinzu: Die Erfahrungen der Weimarer Republik – dass bei einer Wirtschaftskrise, wie es auch 1967 andeutungsweise gab – die parlamentarische Demokratie zusammenbricht und der Faschismus kommt. Das Drohgemälde des Faschismus hing in Deutschland wie ein schweres Stück Stoff vor dem Fenster, aus dem die bewegten Studierenden Ende der 1960er Jahre auf die Welt schauten, zumal zugleich viele Nationalsozialisten vorgeblich geläutert in Amt und Würden waren. Die RAF nun fokussierte diese Eindrücke und schlug den Weg einer Guerilla ein. »Nach 1972 schon hätte man allerdings sehen können: Das funktioniert nicht«, sagt Balz.

In der Summe tat das Historische Quartett an diesem Abend das, was von ihm erwartet worden war: Es zerpflückte das Buch. Es kritisierte die Gewaltlinie und auch die Simplifizierung von Geschichte, wenn sie sich Biographien einzelner vornimmt, ohne deren Handeln historisch einzubetten. Zumal Dutschke und Baader zwar posthum Lieblingsobjekte der Medien sind, aber nur 0,0 Prozent der Bewegung ausmachten, wie Klaus Weinhauer betonte. »Was sagt mir Dutschke über die Bewegung?« fragt er völlig zurecht. Denn, soviel steht fest, Dutschke war nicht die Bewegung, er war einer von vielen.


Weitere Artikel zum Thema unter anderem auf den Seiten der Zeitschrift Sozialgeschichte: www.stiftung-sozialgeschichte.de

Wolfgang Kraushaar/Karin Wieland/Jan Philipp Reemtsma (Hrsg.): Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF, Hamburger Edition, Hamburg 2005, 142 Seiten, gebunden 12 Euro.

Das Historische Quartett diskutierte auch noch über ein zweites Buch: Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus, Hamburger Edition 2005,
ISBN 3936096538, 300 Seiten, 20 Euro