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Wortgewaltig (Teil 2)





Sieht in dem Buch »Gewinner-Geschichtsschreibung«. Ein Tabu wäre es hingegen, die Geschichte der Yugoslawien-Politik Deutschlands in den 1990ern von der Gewaltperspektive her zu beschreiben, erklärte Hanno Balz



Ganz so, wie es Hanno Balz in der Diskussion tat und sich als jemand outete, der selbst aus der Linken komme. Die Markierung des Ich im Diskurs – entgegen dem ganzen Objektivitätsgetue – würde der Wissenschaft durchaus gut zu Gesicht stehen, wird aber viel zu selten vorgenommen.

Eben auch nicht von den Buchautoren. Sie schreiben über etwas, zu dem sie in einer vergangenen Gegenwart in einer Beziehung standen – und schreiben kein Wort darüber. Stattdessen nutzen sie ihr Wissen und das überquellende Archiv des Hamburger Instituts, um eine Delegitimierungsgeschichte zu verfassen. Da werde auf einmal das bürgerliche Individuum zum Maßstab aller Dinge, kritisierte der Historiker Klaus Weinhauer, Privatdozent an der Universität Bielefeld, in der munteren Dienstagabend-Runde.

Der Titel des Buches zeige schon, wo es langgehe: ›Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF‹ würden ohne Komma in eine Reihe gestellt, und so sei es auch gemeint. Die Buchautoren sehen die Gewalt als wirkungsmächtige Klammer. »Gewalt aber ist vom sozialen Setting abhängig«, bemängelte Weinhauer um dann gleich auch noch grundsätzlich zu werden: Welche Gewalt sei überhaupt gemeint? Einen allgemeingültigen Gewaltbegriff kennt die Wissenschaft zwar nicht, aber offenbar geht der gegenwärtige Mainstream, den das Hamburger Institut sicherlich für sich reklamiert, sogar hinter den Stand der 1970er Jahre zurück, der immerhin »strukturelle Gewalt« kannte. Ein Gewaltbegriff, den damals John Galtung prägte, und der subtile Formen der Gewalt meinte und eben nicht die zielgerichtete psychische Gewalt. Strukturelle Gewalt ist eben auch, wenn jemand grundlegende Bedürfnisse aufgrund sozialer Umstände nicht befriedigen kann.


Keine lange Linie

Ein weiteres Glied des Historischen Quartetts, Ingrid Gilcher-Holtey, Professorin für Geschichte an der Universität Bielefeld, differenzierte den Gewaltbegriff, indem sie für die zumindest für einen Teil der 68er Bewegung einen Gewaltbegriff reklamierte, der spielerisch dahergekommen sei. Eine Traditionslinie, die sie beim Surrealismus, Situationismus und Dadaismus beginnen lässt und die keineswegs – wie von den Buchautoren behauptet – in den Terrorismus führe. Die Gewalt der Situationisten äußerte sich eher in Form von Provokationen, in Form von Gewalt in der Sprache, in Form von subversiven Verschiebungen der Dinge und ihrer Wahrnehmungen und eben nicht als zielgerichtete Gewalt gegen Menschen.

Diese Differenzierungen sind die Sache der Buchautoren nicht, würden sie doch ihre Argumentation – durchaus gewaltsam – aufsprengen. Gilcher Holtey sieht in dem Entstehen der Stadtguerilla eher eine Antwort auf die weltweiten Befreiungsbewegungen, die im Ausgang der 1960er Jahre aktiv und erfolgreich waren. »Ob Guevara, ob Vietnam. Die Frage lautete: Wie kann man die Emanzipationskämpfe dieser Bewegungen unterstützen?« Eine Antwort war das Stadtguerilla-Konzept, ausgehend von einer Fokus-Gruppe, die nach und nach das Land erobern sollte. Rudi Dutschke und andere aber haben mit dem Stadtguerilla-Konzept eher wortgewaltig gespielt, um die ›alte Linke‹, die nicht aus den überschäumenden sozialen Bewegungen in den 1960er Jahren entstanden war, an einer Hegemonie innerhalb des SDS zu hindern.