Webwecker Bielefeld: elling01

Draußen vor der Tür (19.10.2005)








Von Manfred Horn


Elling und sein Freund Kjell Bjarne sind ein ungewöhnliches Paar. Irgendwie hat das Leben ihnen ein paar entscheidende Kratzer zugefügt. In der Psychiatrie sind sich die beiden, die als Kontrast funktionieren, näher gekommen – nun sollen auf Weisung der Stadt Oslo gemeinsam in die sozialpädagogisch geleitete Freiheit aufbrechen. Basis dafür ist eine Wohnung, die sie auf keinen Fall orange streichen dürfen. Elling Kjell Bjarne sind zwei Helden – oder Anti-Helden, ganz wie man will. Sie sind schrullig, aber nicht so verrückt, dass ihnen das Publikum nicht folgen könnte. Sie sind seltsam entrückt von der Wirklichkeit, beharren zunächst aber sympathisch auf ihrer eigenen. Wenn der Sozialarbeiter Frank, gespielt von Andreas Bentrup, in die Wohnung kommt, macht Elling erst einmal klar: Hier wird nicht geraucht.

Das ›Forum für Kreativität und Kommunikation‹ zeigt den Stoff, der seit seiner Verfilmung aus dem Jahr 2001 berühmt geworden ist, in einer gelungenen Inszenierung. Knotenpunkt des ausufernden Lebens ist die Wohnung, in der Elling und Kjell Bjarne erst einmal wieder die Betten zusammen schieben – schließlich wollen sie so schlafen, wie sie es aus der Psychiatrie gewohnt sind: Nebeneinander.




Elling, allein zu Haus


Elling ist schlau, ja ein Intellektueller. Doch er hat jahrelang in seinem kleinen Gefängnis gelebt: Telefonieren ging nicht, genauso wenig wie die Teilnahme an Öffentlichkeit. Jeder Raum, jede Erfahrung außerhalb der eigenen vier Wände ist ihm ein Graus. Nach und nach bricht der Panzer auf, und aus dem Korsett pellt sich ein blühender Elling, der seine Vision eines Untergrunddichters durch das Verpacken von Gedichten in Weinsauerkraut-Kartons realisiert, die er kauft, und dann mit den Gedichten versehen wieder in den Supermarkt zurückstellt. Er kommt in einer dicken Daunenjacke und geht schließlich einer leuchtenden orangenen Zukunft entgegen. Eine positive Geschichte mit einem dicken Happy-End. Dirk Wittke spielt den Elling überzeugend, als gewitzten Mann mit all seinen Brüchen.

Kjell Bjarne, ebenso überzeugend dargestellt von Martin Achterkamp, ist der Typ ›Schlicht, aber zu gut für diese Welt‹. Bei ihm klemmt es an anderer Stelle: Er kann seine basalsten Bedürfnisse nicht befriedigen, am liebensten würde er mal ficken, indes fehlt im die Frau. Er liegt Elling mit seinem Problem in den Ohren. Über die teure Zwischenlösung Telefonsex gelingt im schließlich die reale Annäherung an das andere Geschlecht. Am Heiligen Abend strandet eine betrunkene Nachbarin, gespielt von Sonja Bennfeld, vor seiner Tür. Er nimmt sich ihrer an und entdeckt die Lust der Liebe.

Was Elling und Kjell Bjarne so sympathisch macht, ist ihre Durchschaubarkeit. Ohne jedes Bemühen um politische Korrektness und dennoch mit viel Einfühlungsvermögen wird die Geschichte zweier Aussenseiter erzählt. Dies ist in der Vorlage von Ingvar Ambjornsen so angelegt, und wurde für das Forum von Regisseurin Christel Brünning auch so umgesetzt. In Deutschland hätte dieses Stück schwerlich entstehen können – hier schwankt der Diskurs zwischen ›Aktion Sorgenkind‹ und ›Aktion Mensch‹. zwischen Betroffenheitsgefasel und Unbedingt-Gleich-Sein-Diskurs.