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Raum für Abschied und Erinnerung (03.08.2005)





Kritikern zufolge krankt die deutsche Bestattungskultur an Kirche, Klüngel und Kommerz, gestützt von Jugendwahn und Verdrängungsstrategien. Ein Versuch der Annäherung an den Tod und Trauerkultur. (Bild: 52/ Das Stillehalten)

von Aiga Kornemann

»Was is’n des, des komische Krabbeln an die Zehen da vorn? Jessas Maria, der erste Wurm! Du liegst da und kannst di net rühren, die Würmer krallen dir ins Hirn, und sie dinieren«, sang Ludwig Hirsch. Sein Publikum kriegte eine Gänsehaut, kicherte und stimmte zu. Welches Bild beschert das Wissen um die eigene Halbwertzeit, wenn das Märchen vom Engel mit dem großen Buch auf weißer Wolke nicht mehr zieht?

Für die große Frage, was nach dem Tod geschieht, bieten die großen Religionen unterschiedliche Antworten, industrialisierte Gesellschaften stellen sie naturwissenschaftlich. Ärzte haben ein »Zwischenleben« gefunden. Der Mensch ist hirntot, doch seine Zellen wirken noch so lange weiter, wie sie ohne frischen Sauerstoff auskommen. So können die Schweißdrüsen der Haut noch über 30 Stunden reagieren. Die Lunge lebt noch knapp eine Stunde, die Nieren zwei.

Magen und Darm arbeiten bis zu einem Tag über den Hirntod hinaus, dann dringen ihre Bakterien ins Körperinnere vor und greifen die noch lebenden Zellen an. Auf diese Weise können Tage vergehen, bis ein Körper wirklich tot ist. In dieser Zeit müssen die Hinterbliebenen Formalitäten abwickeln, deren gängige, oft entfremdete, heuchlerische und kommerzialisierte Ausprägung ihnen die Taschen leert, aber nicht weiterhilft.


Einnahmen gesichert

Die Ungereimtheiten der heutigen Trauerkultur in Deutschland sei im wesentlichen auf drei Mängel zurückzuführen, sagen Kritiker: Sie werde von nachwirkender christlicher Tradition eingeschränkt, leide an der Verdrängung des Todes durch eine Jugend-verliebte Gesellschaft und kranke überdies an einer kommerzialisierten Bestattungskultur.

Deren Wurzeln liegen im achten Jahrhundert. 785 genau ließ sich Karl der Große in Paderborn von seinen kirchlichen Beratern überzeugen, dass die alleinige Sorge um Bestattungen in die Hände der Kirche zu legen sei, was deren Einnahmen auf diesem Gebiet auf Jahrhunderte sicherte. Außerdem verbot das Paderborner Edikt die bis dahin üblichen Feuerbestattungen und sicherte den Kirchhof als einzig akzeptable Gräberstätte.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert richteten die Kommunen zusätzlich eigene Friedhöfe ein. Noch später kamen Friedhöfe freireligiöser Gemeinden und vereinzelte Freidenker-Friedhöfe dazu. Bis heute setzt das Gespann der Bestatter, Friedhofsverwaltungen und Pfarrer seine Formalitäten im Todesfall so selbstverständlich durch, dass es nicht nur Agnostiker, sondern auch eine wachsende Zahl nicht kirchentreuer Christen vor der Veranstaltung graust.