Ende des Arbeitszwangs (13.07.2005)
In der vergangenen Woche kritisierte Volker Koehnen, Bereichsleiter Jugend und Jugendbildung beim Landesbezirk Hessen der Gewerschaft ver.di, die aktuelle neoliberale Politik der großen Parteien (WebWecker berichtete)..
In dieser Woche setzt er eins drauf und fordert ein Ende des Arbeitszwangs. Ein neues gesellschaftliches Leitbild müsse her: Dabei stünde nicht mehr die Leistung des Einzelnen im Vordergrund, die Existenz ist nicht mehr abhängig davon, dass sie verdient wäre. Der Paradigmenwechsel heißt Grundeinkommen. Hier bekommt jeder Staatsbürger vom Staat einen monatlichen Betrag zur Verfügung gestellt, mit dem er seine Existenz langfristig sichern kann. Der Staat zahlt einfach nur aufgrund der Tatsache, dass ein Mensch hier lebt und Teil der Gesellschaft ist. Mit der Krise der Erwerbsarbeit bietet sich eine Chance für mehr selbstbestimmte Lebenszeit.
Eine Gesellschaft, die derart auf Kreativität und Selbstentfaltung von Menschen setzte, würde aufblühen, meint Volker Koehnen. Klingt nach Paradies und folglich nach Utopie. Dabei ist das Konzept durchaus gesellschaftlich tragfähig, also auch finanzierbar: Das Zauberwort heißt Umschichtung des vorhandenen Reichtums. Koehnen plädiert für ein Netzwerk und eine Art Zukunftskongress, um das neue Leitbild der »Kreativgesellschaft« stärker im politischen Raum zu platzieren.
Volker Koehnen ist seit 2001 Bereichsleiter Jugend und Jugendbildung beim Landesbezirk Hessen der Gewerkschaft ver.di. Koehnen ist Politikwissenschaftler, Erwachsenenbildner sowie systemischer Coach und Organisationsberater. Der Beitrag gibt seine persönliche Sicht zum Thema wieder.Ein Beitrag von Volker KoehnenI. Was soll die Industriegesellschaft tun, deren einst tragendes Fundament Erwerbsarbeit und Vollbeschäftigung bröckelt? Was soll demokratische Politik tun, wenn die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Sozialstaates nicht mehr gegeben sind? Will man den Kollaps unseres Gemeinwesens verhindern, muss ein alternatives gesellschaftliches Leitbild demokratischer Politik jenseits der Vollbeschäftigung entworfen werden.
Ein solches Leitbild zur Orientierung demokratischer Politik erfüllt zwei Funktionen: als Werteorientierung vermittelt es ein Bild vom Menschen und vom gesellschaftlichen Zusammenleben, welches demokratische Politik leitet. Als Organisationsprinzip orientiert es politisches Handeln auf einen erwünschten gesellschaftlichen Zustand hin.
Das bisherige Leitbild setzt auf das Organisationsprinzip »Erwerbsarbeit für Wohlstand«. Individuelle Verfügung über materielle Teilhabe ist über erwerbsförmig organisierte »Leistung« des Einzelnen möglich. Das dahinter stehende Menschenbild knüpft menschenwürdige Existenz an eine Bedingung: die materielle Voraussetzung für die Führung eines Lebens muss erst im doppelten Sinne »verdient« werden.
In der erwerbszentrierten Industriegesellschaft ist gesellschaftliche Anerkennung, persönliche Identität und die nötige materielle Absicherung untrennbar mit dem Besitz eines Erwerbsarbeitsplatzes verwoben. In dem historischen Moment, in dem die Voraussetzung für dieses Organisationsprinzip verschwindet und gleichzeitig aber die Produktivität pro Kopf der Bevölkerung in den Industrienationen so hoch ist wie nie zuvor, muss umgesteuert werden.
Welche neue Organisationsform und Werteorientierung können wir uns also geben, wo wir doch für die Produktion nur noch in sehr eingeschränktem Maße gebraucht werden? Hier kann an die zum Erwerbsmodell kontrastierende Alternative angeknüpft werden: das existenzsichernde und erwerbsunabhängige Grundeinkommen. Eine solche Konzeption bedeutete jedoch einen epochalen Paradigmenwechsel.