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»Papierwende jetzt« (15.06.2005)





Wühlen in der Werbeflut: Isolde Wrazidlo, Leiterin des ›namu‹ (links), und Monika Nolle von ›Ara‹




Das Naturkundemuseum Bielefeld – kurz ›namu‹ – ruft zur Papierwende auf, zumindest austellerisch: Denn seit Sonntag dreht sich in dem Museum an der Kreuzstraße alles um das Material, dass vor allem aus fest gewordenen Cellulose-Brei besteht


Von Manfred Horn

Papier hat viel mit Natur zutun: Schließlich wird es nahezu ausschließlich aus Holz gewonnen. Andersherum ausgedrückt: Jeder fünfte gefällte Baum landet in der Papiermühle.

Die Ausstellung ist als lange Papierbahn auf Ständern konzipiert. Verantwortlich dafür zeichnet ›Ara‹, die Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz, mit Sitz im Bielefelder Umweltzentrum und die Stiftung ›Eine Welt – Eine Zukunft‹, die ebenfalls im Umweltzentrum zu Hause ist. Die Ausstellung, die zuvor schon in sechs Städten zu sehen war, ist ideell um zwei Achsen herum konzipiert. Zum einen zeigt sie die Geschichte des Papiers von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zum zweiten problematisiert sie den immensen Papierverbrauch, weil er weltweit die Wälder bedroht.

Die Anfänge des Papiers reichen weit zurück und haben nichts mit Holz zu tun. Aus China, wo das Papier im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erfunden wurde, kam es nach Europa. Dies dauerte allerdings: Während die vornehmen Chinesen im zweiten Jahrhundert schon in Papierhandtücher schnäuzen, mussten die Europäer bis zum zwölften Jahrhundert warten. Erst dann kam zumindest Schreibpapier auf. Anfänglich bestand das Papier hauptsächlich aus Lumpen. Die machten es extrem widerstandsfähig. »Noch heute werden Geldscheine aus Lumpen gemacht«, erläutert Monika Nolle, die die Ausstellung bei ›Ara‹ mit konzipiert hat, schließlich müssen Geldscheine von Zeit zu Zeit ja auch mal einen Vollwaschgang 1200 Schleudertouren in der Waschmaschine überleben.

Richtig populär wurde Papier in Deutschland erst im 20. Jahrhundert: 1900 betrug der Papierverbrauch pro Reichsbürger und Jahr 13 Kilogramm, im Jahr 2000 verbrauchte der bundesdeutsche Durchschnittsbürger trotz PC-Revolution und Träumen vom papierfreien Büro satte 233 Kilogramm. Davon sind 115 Kilogramm graphische Papiere, 90 Kilogramm Verpackungsmaterial und 13 Kilogramm Hygieneartikel. Alleine ein Viertel des gesamten Papierverbrauchs in Deutschland geht für Journale drauf, davon werden allerdings nur drei Viertel überhaupt gelesen, der große Rest landet unbesehen im Abfall. Die Ausstellungsmacher von Ara haben ausgerechnet, dass das verbrauchte Papier in der Bundesrepublik aneinander gelegt rund 404.000 Kilometer ergeben würde. Damit reicht der Jahresverbrauch in Entfernungen gedacht von der Erde bis zum Mond.


40 Kilo reichen

Nach wie vor ist es so, dass vor allem reiche Länder zu viel Papier verbrauchen. Ein einjähriges Kind in Deutschland hat im Schnitt schon so viel Papier zu Gesicht oder in die Hände bekommen wie ein durchschnittlicher Afrikaner in seinem ganzen Leben. Die Vereinten Nationen errechneten, dass 40 Kilogramm Papier den Bedarf an Bildung und Kommunikation für ein ganzes Leben abdecken. Die Bundesrepublik liegt da immerhin rund 190 Kilogramm drüber.

Papier einsparen und mehr Recyclingpapier einsetzen sind die zwei Antworten auf den immensen Papierverbrauch. Auf den ersten Blick sieht es da gut aus in Deutschland: Das Volk der leidenschaftlichen Sammler von Joghurtbechern und Altbatterien häuft eben auch weltmeisterlich Altpapier an: 65 Prozent des in Deutschland hergestellten Papiers wird aus Altpapier gewonnen; nur ein Viertel direkt aus Zellstoff, dem weichen Inhalt des Baumes, gekocht und befreit vom Holzanteil.