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Jules Schelvis, Eine Reise durch die Finsternis. Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern (Teil 2)



Wie konnte Jules Schelvis, wie konnten Menschen diese erbarmungslose Verfolgung und Ausbeutung bis zum Letzten überleben? Es gibt keine eindeutige Ursache, eher günstige Umstände wie die tiefe Freundschaft zwischen den drei deportierten Niederländern Jules Schelvis, Leo de Vries und Joop Wins, die versuchten während ihrer sinnlosen Odyssee nicht getrennt zu werden, um sich gegenseitig moralischen und auch praktischen Halt zu geben. Das Erleben von Solidarität in äußerst prekären Verhältnissen und immer wieder unberechenbares Glück und unvorhersehbare Zufälle, hatten kurzfristig erst einmal das Leben, wie auch immer, statt den Tod zur Folge, aus heutiger Sicht fast unglaublich. Auch der Taschenspiegel mit dem Porträt Rachels, Jules Schelvis erster Ehefrau, scheint eine Rolle zu spielen. Unmittelbar nach der Ankunft in Sobibor wird das Ehepaar Schelvis plötzlich getrennt, ein unerwarteter Abschied für immer, denn „Chel“ wird wie fast alle Menschen dieses Transportes aus den Niederlanden sofort in der Gaskammer von Sobibor ermordet. Trotz der nüchternen Sprache wird der Schmerz über diesen Verlust mehr als deutlich. Jules Schelvis gelingt es, dieses Liebespfand die ganze folgende Zeit bei sich zu behalten, immer wieder findet er neue Verstecke für seinen Talisman. am 8. April 1945 erlebt Jules Schelvis aufgrund von Typhus mit dem Tode ringend in Vaihingen die unspektakuläre Befreiung durch die französische Armee. Sein Freund Leo de Vries, der seinen Weg durch die Lager teilte, starb kurz vor der Befreiung an Entkräftung. Joop Wins, den Dritten aus dem Trio, trifft er direkt nach seiner Rückkehr nach Amsterdam Ende Juni 1945 im ehemaligen Judenviertel zufällig auf der Straße wieder. Der Taschenspiegel kommt überaus symbolträchtig während der Rekonvaleszenz im Krankhaus plötzlich abhanden, Jules Schelvis vergisst ihn auf der Ablage vor dem Duschen. „Ich hatte das Kostbarste verloren, was ich in jenem Moment besaߓ, ein Erinnerungsstück an das alte Leben, das komplett ausgelöscht war, keine Anknüpfung an Vertrautes ist möglich.

Auch wenn es mittlerweile viele veröffentlichte Berichte von Überlebenden des Nationalsozialismus gibt, auch jetzt noch, sechzig Jahre nach Kriegsende macht es Sinn, sich für diese Zeitzeugnisse Zeit zu nehmen. Sicherlich war es für die Überlebenden alles andere als leicht, sich zu erinnern. Ihre Berichte sind einzigartige Dokumente, die Antworten auf teilweise immer noch ungeklärte Fragen geben. „Die Generation dieses Jahrhunderts, die sich etwas eingehender mit der Judenverfolgung beschäftigen will, kann sich keine Vorstellung davon machen, was in Wirklichkeit passiert ist. Es ist möglich, dass zum Zeitpunkt der Herausgabe dieses Buches auf Deutsch, sechzig Jahre danach, in bereits existierenden und noch folgenden Publikationen ein Bild entstehen kann, dass nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wer soll das dann noch beurteilen? Darum beschreibt der Autor äußerst genau, was ihm , als einem der wenigen, die sowohl Sobibor, Auschwitz als auch zahllose andere Lager überlebt haben, widerfahren ist“, so Jules Schelvis in Vorwort zu seiner „Reise durch die Finsternis“, dem ist nichts hinzuzufügen.

Jules Schelvis, Eine Reise durch die Finsternis. Ein Bericht über zwei Jahre in deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Reihe antifaschistischer Texte, Unrast Verlag, 192 S., 2005, 16 Euro

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