Das OS hat sich im Laufe der Jahre stark gewandelt und wurde immer wieder von oben reformiert. Im Mai schreibt der letzte Jahrgang des alten und der erste des neuen OS das Abitur. Die einen hatten vier Jahre Unterrichtszeit, die anderen drei. Drüber hinaus gibt es noch einige andere wichtige Unterschiede. Könnt ihr die Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte zusammenfassen?Martin: Der Gründer des OS, Hartmut von Henting, hat vor über dreißig Jahren nicht nur ein Oberstufenkolleg geplant sondern 16. Sie sollten eine Verbindung zwischen der Sekundarstufe zwei und der Universität knüpfen. Es sollte eine frühe Spezialisierung möglich sein. Neben dem Abitur sollten die Kollegiaten auch ein Grundstudium am OS absolvieren. Deswegen auch die vier Jahre Unterrichtszeit.
Tobias: Es hat sich nicht nur was an den Strukturen verändert. Früher richtete sich die Didaktik und Methodik hauptsächlich nach den Konzepten der Reformpädagogik. Man hat versucht nicht nur reinen Stoff zu vermitteln sondern auch Verständnis. Das große Motto war damals Lernen heißt erfahren. Frontalunterricht war verpönt obwohl es natürlich ein längerer Prozess ist, bis man sich von einem bloßen Träger von Informationen in einen Menschen zu verwandeln, der zu selbstständigem Lernen fähig ist. Es gab am alten OS mehr Freiheiten. Die Leute sollten sich selbst organisieren und Lerngruppen bilden. Es wurde versucht Lernen in einem sozialen Prozess zu verwirklichen. Das OS wurde ja auch so gebaut, das Platz für so etwas da ist. Es gibt beispielsweise Felder. Das ist so konzipiert, dass man sich dort ausbreiten kann und zusammen Lerngruppen bilden.
Es gab früher eine politische Kultur am OS. Es gab unter den Lehrenden und Lernenden verschiedene Parteien, die in den Krat und in die Ausschüsse gewählt werden konnten. Es gab auch radikale Strömungen. Obwohl es Gruppierungen, wie das feministische Forum oder die UNICEF-Gruppe noch gibt, sind es trotzdem viel weniger Leute die sich am OS organisieren um gesellschaftlich was zu verändern. Das liegt auch daran, dass die Leute immer mehr entmündigt werden.
Natürlich gab es damals wegen der vielen Freiheiten auch viele Konflikte und einzelne Kollegiaten sind, so könnte man sagen, verwahrlost. Das kann man aber nicht dem System zuschreiben. Wenn die Leute sich nicht selber aufraffen etwas zu tun, sind sie selber schuld. Es ist der falsche Weg, dem mit einem hierarchischen System entgegenzutreten. Dadurch entmündigt man sie und das hat schon faschistoide Züge.
Martin: Hartmut von Henting war der Meinung, dass eine Schule nicht nur dafür da sein sollte den jungen Menschen eine Basis zu geben um in der vorgefundenen Gesellschaft zu existieren, sondern sie auch dazu befähigen sollte die Gesellschaft zu kritisieren.
Am OS sollten die Leute aus eigenem Willen, selbstständig lernen. Natürlich mit Hilfestellung der Schule. Das war aber auch das Problem des OS. Viele Leute waren von der Regelschule gewohnt, sich berieseln zu lassen und einfach auswendig zu lernen. Dann kommen sie auf eine Schule, wo plötzlich gesagt wird: Versucht selber Wege zu finden.
Einige Leute haben das ausgenutzt, aber viele waren einfach nicht in der Lage ihr Lernen selber zu gestalten. Die Aufgabe des OS war dementsprechend groß und vieles konnte man nach außen auch nicht einfach präsentieren. Das war, glaube ich, das Verhängnis des OS. Viele Sachen, die die Leute dort lernen, kann man nicht einfach schwarz auf weiß in Noten oder ähnliches aufs Papier bringen und weil die Prinzipien des Oberstufenkollegs sowieso nicht mehr in den Zeitgeist passten, war es nur eine Frage der Zeit bis es reformiert wird.