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»Sekt oder Selters« (20.04.2005)
Blicken auf sechs Jahre erfolgreicher Arbeit zurück: Gabriele Walczak, Leiterin des evangelischen Gemeindedienstes, und Frank Gauls, Leiter der Fachstelle Glücksspielsucht
Von Manfred Horn
Spielsüchtig zu sein heißt in der allgegenwärtigen Warenwelt, viel Geld zu verlieren. Eine durchschnittliche Rechnung lautet so: Wer zehn Stunden im Monat an vier Geldspielautomaten spielt, macht rund 1.000 Euro Miese. Wobei zehn Stunden noch nicht einmal eine Stundenzahl ist, bei der Therapeuten von Sucht sprechen. Süchtige verbringen durchaus bis zu 200 Stunden im Monat in den Spielhallen. Fast die Hälfte der Glücksspielsüchtigen hat 5.000 bis 25.000 Euro Schulden, 14 Prozent sogar über 50.000 Euro. Wer den einarmigen Banditen verfallen ist, verpfändet schnell Haus und Hof. Verwandte und Bekannte werden unter fadenscheinigen Argumenten angepumpt, Spieler sind auch gute Lügner. Und immer geht es darum, den großen Gewinn zu machen, der die Schulden in Luft auslöst. Fast alle würden aber auch danach weiter spielen.
Typisch männliche Sucht
Die Mehrzahl der Glücksspieler sind mittleren Alters und männlich. Die Fachstelle Glücksspielsucht, die beim Evangelischen Gemeindedienst in Bielefeld angesiedelt ist, führt Statistik über diejenigen, die in die Beratung kommen. Die meisten sind abhängig von Geldspielautomaten, sie machen um die 90 Prozent der Klienten aus. Im kommen sind Sportwetten. Die wurden in der Bundesrepublik erst vor fünf Jahren im großen Stil eingeführt, bis 2004 durften sogar Jugendliche ganz legal mittippen. Dies ist inzwischen allerdings verboten. Hinzu kommen Casinospiele und auch sogenannte Unterhaltungsautomaten, an denen es qua Definition schon nichts zu gewinnen gibt, die aber immer raffinierter und populärer werden.
Ein besonders stumpfes Unterhaltungsspiel nennt Ina Hempelmann vom Ordnungsamt der Stadt Bielefeld: Sekt oder Selters. Im Prinzip wird Geld eingeworfen und entweder leuchtet Sekt oder Selters auf, das wars. Der Trick: An den Automaten gibt es sogenannte Token zu gewinnen. Dies sind Weiterspielmarken, die dann auch an weiteren Automaten gelten. Und es gibt Spielhallen, die die Token dann doch illegal in Euro auszahlen. Längst ist klar: Auch solche sogenannten Fun-Games können süchtig machen und kosten eine Stange Geld. Eine Toke kostet an der Kasse 2 bis 2,50 Euro, ein Spiel dauert oft nur zwei Sekunden. Im Ergebnis lässt sich an diesen Geräten noch schneller und noch mehr Geld verlieren als an Geldspielautomaten.
Frank Gauls, Sozialarbeiter in der Fachstelle, kennt den typischen Verlauf einer Glücksspielkarriere: Sie beginnt bereits mit 14 bis 18 Jahren. Sie startet mehr aus Langeweile in schnöden Imbissbuden und stickigen Gaststätten. Je früher die Karriere beginnt, desto schwieriger ist der Ausstieg: »Die Personen sind dann noch nicht so gefestigt«, sagt Gauls. Die Abhängigkeit kommt schneller, heftiger und anhaltender. Gauls berät und therapiert. Viele die kommen, spielen seit mehr als einem Jahrzehnt.
Kontrollverlust und Abstinenzunfähigkeit
Gauls ist kein Feind des Spiels. Aber er kennt den Unterschied und benennt das Spiel jenseits der Grenze als »pathologisches Glückspiel, einhergehend mit Kontrollverlust und Abstinenzunfähigkeit«. Mit zunehmender Spieldauer nicht 90 Minuten, sondern mehrere Jahre sinkt das Selbstvertrauen, verschwindet die Selbstachtung. Die Welt schrumpft auf die Größe der Spielhalle zusammen. Draußen sind immer mehr Probleme, nur die Automatenwelt bietet Frieden. Ruhe inmitten allgemeinen Blinkens und Dudelns. Nur scheinbar ein Widerspruch. Denn hier, im Herzen der Sucht, ist alles reduziert, ist alles in seiner Ordnung. Es gibt nur den Automaten und den Spieler. Hinzu kommt eine für das Spiel entworfene Umgebung: Eine künstliche Welt, in der der Mensch, solange er Spieler ist, etwas gilt.
»Sekt oder Selters« (Teil 2)
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