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Eric Friedler, Barbara Siebert, Andreas Kilian, »Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz«



Titel: Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz

Salmen Gradowski erstellte zwischen Herbst 1943 und Sommer 1944 eine Chronik des Geschehens in den Krematorien von Auschwitz. Als direkter Zeuge der Ermordung fühlte er sich wie die anderen Chronisten des Sonderkommandos, Lejb Langfuß und Salmen Lewenthal, verpflichtet, der Nachwelt zu berichten. Die Nationalsozialisten wollten die Spuren der Vernichtung vollständig auslöschen, doch ihre Berichte und die Aussagen der wenigen Überlebenden des jüdischen Sonderkommandos haben dies verhindert. „... ihre Aussagen sind mehr als historische Dokumente: Hinter den Fakten, die die Zeugen aus der Todeszone der Nachwelt überliefern, sind immer auch die Stimmen der Männer, Frauen und Kinder zu hören, die für immer in den Gaskammern von Birkenau verstummten,“ so die AutorInnen Eric Friedler, Barbara Siebert und Andreas Kilian der ersten Monographie „Zeugen aus der Todeszone“ über das jüdische Sonderkommando in Auschwitz. Interviews mit Überlebenden dienten als Grundlage für die umfassende und historisch verortete Darstellung.


Zum Sonderkommando gehörten zwischen 1942 und 1945 mehr als 2100 Häftlinge. Sie lebten mit dem Bewusstsein und der Realität, als Augenzeuge der Vernichtung keine Überlebenschance zu haben, von der SS ermordet zu werden. Dennoch überlebten ca. 100 Männer, einige leben noch heute.
Perfiderweise wurden gerade jüdische Häftlinge wurden von der SS ins Sonderkommando zur Zwangsarbeit in den Gaskammern und den Krematorien selektiert, vermeintlich zu Mittätern gemacht. Sie mussten den JüdInnen u.a. vor der Vergasung beim Ausziehen helfen, ihnen die Haare abschneiden, die Leichen nach Wertvollem durchsuchen und später beseitigen. Der Einsatz des Sonderkommandos entlastete mit Sicherheit die eigentlichen Täter, sowohl in körperlicher, die Arbeit war sehr schwer, als auch in psychischer Sicht: „Da sie selbst nicht „Hand anlegen „mussten, konnten sie den Massenmord an Tausenden von Männern, Frauen und Kindern als eine Art klinischen Vorgang wahrnehmen und ihren eigenen Anteil daran relativieren. Sie konnten „anständig“ bleiben.“ Anders die Häftlinge des Sonderkommandos: Im Lager Auschwitz kursierten Gerüchte, dass die Häftlinge des Sonderkommandos für die Gewährung von Privilegien (Nahrung, Kleidung) bereit wären, am Mordprozess mitzuwirken, sie wurden als Verbrecher verurteilt. Das Sonderkommando war vom übrigen Lager isoliert und konnte wenig tun, diese Behauptungen, die sich teilweise bis heute halten, zu entkräften. Die Häftlinge des Sonderkommandos lebten unter extremen existentiellem Druck, einige verloren den Willen zu überleben und starben, andere brachten sich um. Die meisten von ihnen hatten alle Hoffnung aufgegeben, viele wussten, dass sie die letzten Überlebenden ihrer Familien waren, hatten sie doch ihre Angehörigen aus der Gaskammer holen müssen. Anderen jedoch gelang es, den Willen zu überleben aufrechtzuerhalten, sei es durch das Gefühl der Verpflichtung gegenüber den Toten, Zeugnis ablegen zu müssen oder durch fatalistische Abstumpfung gegenüber ihrer Tätigkeit. Gefühle wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Panik mussten unterdrückt werden. Diese Gleichgültigkeit oder Apathie verhinderte freundschaftliche Kontakte unter den Häftlingen. Henryk Mandelbaum, einer der wenigen Überlebenden des Sonderkommandos: „Ob es so etwas wie Freundschaft oder Kameradschaft gab? Jeder hatte mit sich selbst zu tun. Jeder war krank und wollte diese Krankheit nicht an die Oberfläche dringen lassen. Und wir wussten ja alle von diesen Krankheiten – also worüber hätten wir miteinander sprechen können?“ Ins Sonderkommando zwang die SS Juden aus unterschiedlichen Transporten, die keine gemeinsamen Bezüge hatten, ein weiteres Hindernis für die Entwicklung von Zusammenhalt. Dennoch entstanden kleine Untergruppen, gebildet nach Nationalität oder gemeinsamer Sprache.