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Wie wirkt Hartz IV in den Schulen? (23.02.2005)



In einem Gastbeitrag beschäftigt sich der Karl-Theodor Stiller mit den Auswirkungen von Hartz IV auf Schulen. Der Bielefelder ist Diplom- und Sonderpädagoge und Grund- und Hauptschullehrer. Er beschäftigt sich seit längerem mit der sozialen Lage vonFamilien mit schulpflichtigen Kindern und mit der Kooperation von Schulen und Familien.

An einigen Schulen wird das ALG II zur Lebensgrundlage für die Mehrheit der Familien werden. Gleichzeitig führen Kommunen und Verbände Ein-Euro-Jobs an Schulen ein. Seit dem 1. Januar wird die Einrichtung eines neuen ›1-Euro-Jobs‹ in einem befristeten Programm mit einer Prämie von 500 Euro monatlich belohnt. Dies bringt die soziale Realität in die Schulen, meint Stiller.. Er befürchtet, dass es auch Menschen mit ›1-Euro-Jobs‹ geben wird, die aus ihrer Armutssituation heraus ihre Arbeitsgelegenheit zu kriminellen Handlungen nutzen. Auch werden möglicherweise sozial bedenkliche Lernprozesse in Gang gesetzt. Was lernen Schulkinder beispielsweise, wenn Frauen mit sogenannten 1-Euro-Jobs die Toiletten ihrer Schule pflegen und sie 10 Cent pro Toilettengang bezahlen, während nebenan die kostenlosen ›öffentlichen‹ Toiletten verdrecken?




Am 1. Januar 2005 sind die Regelungen von ›Hartz IV‹ in Kraft getreten, die für Millionen arbeitslose Menschen, ihre Familien und Kinder einschneidende Veränderungen bringen. Die Schätzungen von Ämtern und Verbänden über die Zahl der Betroffenen gehen weit auseinander: 2 bis 2,7 Millionen Langzeitarbeitslose und 1 bis 2 Millionen Sozialhilfe-Empfängerinnen und -Empfänger sollen als »Erwerbsfähige« zwischen 15 und 65 Jahren von den Regelungen rund um das sogenannte Arbeitslosengeld II (ALG II) erfasst werden. Diese Fallzahlen muss man mit einem »Familien«-Faktor zwischen 1,8 und 2,2 multiplizieren, wenn man die Gesamtzahl aller Betroffenen erfahren will. Sie liegt demnach irgendwo zwischen fünf und zehn Millionen Menschen. Dass die Prognosen so unterschiedlich sind, hat wohl viel mit dem politischen Kalkül derjenigen zu tun, die sie errechnen. In den Zeitungsmeldungen werden die Zahlen zur Zeit immer wieder nach oben korrigiert.

Es macht Sinn, nach den Auswirkungen von ›Hartz IV‹ an den Schulen zu fragen, weil Schülerinnen und Schüler Veränderungen spüren werden, materiell, aber auch sozial und psychisch. Zudem werden auch an Schulen die sogenannten »1-Euro-Jobs« eingerichtet. So berichtete zum Beispiel die ›Neue Westfälische‹ am 19. November 2004 von zwei Frauen, die in einer der Gesamtschulen die Toiletten für Schülerinnen und Schüler pflegen. Bis zum 1. Januar dieses Jahres waren solche Jobs freiwillig, jetzt werden sie Pflicht. Wie werden sich die schulische Arbeit und Atmosphäre verändern?


Hartz IV ist ALG II plus Bedarfsgemeinschaft plus Pflichtarbeit

Die sogenannte Hartz-IV-Reform verändert die soziale Unterstützung für Arbeitslose und ihre Familien grundlegend. Sie wird nicht mehr als erworbener Anspruch des einzelnen Menschen definiert, der durch Einzahlung in eine Versicherung oder Anspruch an die »Allgemeinheit« zustande kommt, sondern als Fürsorge- und Transferleistung des Staates; die müssen die Betroffenen durch Pflichten kompensieren. Diese Umdeutung sozialstaatlicher Leistungen firmiert unter dem Schlagwort »workfare statt welfare«. Allerdings wird das ALG II zum allergrößten Teil nicht aus Steuermitteln aufgebracht, sondern aus der Arbeitslosenversicherung entnommen. Es handelt sich also um einen staatlich organisierten Transfer von Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Beiträgen. So kann jemand, der Jahrzehnte lang in die Arbeitslosenkasse eingezahlt hat und erst vor einem Jahr arbeitslos wurde, seine erworbenen Ansprüche und sein Geld an den Staat verlieren, der es ihm dann mit strikten Auflagen als ALG II zurückgibt.