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Eintauchen in die 70er-Lebenswelt (24.11.2004)







In der Universitätsbibliothek zeigt eine Ausstellung Anfänge und Entwicklung der Universität Bielefeld. Nebenbei präsentiert sie sehr anschaulich ein Stück Zeitgeschichte.


Von Mario A. Sarcletti

Zur Eröffnung der Ausstellung »Zusammenarbeit bei hoher Reizbarkeit – die politische Kultur in den Anfangsjahren der Universität Bielefeld« fanden sich passenderweise auch einige Protagonisten eben dieser Kultur ein. Die ehemaligen Kanzler Eberhard Firnhaber und Karl Hermann Huvendick wollten sich die Vernissage ebenso wenig entgehen lassen, wie die ehemaligen Rektoren Helmut Skowronek und Karl-Peter Grotemeyer. Der amtierende Rektor Dieter Timmermann weilte zu seinem Bedauern zu einer Dienstbesprechung im Ministerium. Deshalb übernahm Elke Wild, Prorektorin für Organisationsentwicklung die Eröffnung der Ausstellung, genau 35 Jahre nachdem der Vorlesungsbetrieb an der Universität aufgenommen worden war.

Die Ausstellung wurde von Studierenden der Geschichtswissenschaft im Rahmen eines einjährigen Praktikumsseminars erstellt. »Wir sind dabei in Universitäts- und Stadtarchiv in die damalige Lebenswelt eingetaucht«, beschreibt eine Studentin den Lernprozess. Der entspricht einem Ansatz aus den Anfangszeiten der ehemaligen Reform-Universität, dem Forschenden Lernen. Auf einer der Stellwände ist nachzulesen, dass den bereits der Gründer der Universität, Helmut Schelsky, vor Augen hatte. Die Bielefelder Universität solle keine normale Hochschule werden, wird Schelsky zitiert, sondern »eine Ausnahmeuniversität im deutschen Bildungssystem, die das Humboldtsche Postulat der Einheit von Forschung und Lehre wiederherstellen sollte«.

In Zeiten von Bachelor-Ausbildungen, in denen Studierende in einem zunehmend verschulten Studium immer weniger mit Wissenschaft zu tun haben, wirken solche Postulate zwar fast antiquiert. Das Ergebnis des Praktikumsseminars zeigt aber auf eindrucksvolle Weise, dass sie auch heute noch befruchtend auf den Lernprozess der Studierenden wirken. »Die Ausstellung beweist, dass Forschendes Lehren und Lernen auch an der Ausbildungs- und Massenuni möglich ist«, freut sich Johannes Altenberend, der die Studierenden betreut hat. Dass die Bielefelder Universität tatsächlich zu einer Massenuniversität geworden ist, lässt sich leicht an den Zahlen nachvollziehen, die auf einer Stellwand abgebildet sind. Die Zahl der C4-Professuren entspricht 2004 der von 1973. Damals betrug die »Studierendenplanzahl« 11.500, heute sind fast 5000 Studierende mehr eingeschrieben.


Berufsverbot wegen AJZ-Flugblättern

Das Spannende an der Ausstellung ist vor allem die Zeit, die sich in ihr wiederspiegelt. Die 70er waren auch in Bielefeld eine Zeit der Revolte, selbst wenn sie in Bielefeld »friedlicher als anderswo« verlief, wie Elke Wild formuliert. Aber auch in der ost-westfälischen Provinz kamen die großen Konflikte dieser Zeit an, so protestierten Bielefelder Studierende gegen den Vietnamkrieg. Die Ausstellung zeigt auch den repressiven Umgang des Staates mit Protest. Zum Beispiel verlor ein Jurist seinen Lehrauftrag, weil er zum Widerstand gegen Kernkraftwerke aufgerufen hatte. Auch zwei Berufsverbote nach dem Radikalenerlass gegen Absolventen der Uni Bielefeld thematisiert die Schau. Einer Mathelehrerin wurde die Einstellung in den Schuldienst verweigert, da sie für die DKP für den Rat kandidiert hatte. In einem zweiten Fall wurde ein Junglehrer nicht eingestellt, da er auf Demos Flugblätter gegen eine Fahrpreiserhöhung der Verkehrsbetriebe und für das AJZ verteilt hatte. Die juristische Auseinandersetzung um diesen Fall werden in einem dicken Aktenordner dokumentiert.